Gefahr für die Formel 1: Immer neue Quali-Blamagen
George Russell nach seinem Sprint-Sieg in Interlagos
Formel-1-Geschäftsleiter Stefano Domenicali denkt intensiv darüber nach, wie ein GP-Wochenende spannender gestaltet werden kann, über die Einführung der Sprint-Rennen hinaus, von welchen es 2023 gleich sechs geben wird (siehe Tabelle unten).
Der Italiener hat gesagt: «Wir haben die Verpflichtung, für alle Vorschläge offen zu sein.» Aber die Formel-1-Historie hat besonders punkto Format des Abschlusstrainings immer wieder gezeigt – gut gemeint kann das Gegenteil von gut sein.
Viele Fans fanden vor Einführung der Sprintrennen: Diese Art und Weise der Qualifikation mit den drei Segmenten, die passt. Aber wie war das eigentlich früher? Die Formel-1-Geschichte zeigt – es ist sehr viel experimentiert worden, besonders in den letzten 25 Jahren.
1950–1996: Abschlusstraining mal zwei
Vor der Gründung der Formel 1 wurden die Startpositionen schon mal ausgelost. Doch mit Beginn der Formel-1-WM 1950 ändert sich das: Ein entscheidendes Training am Freitag, eines am Samstag. Erstaunlicherweise änderte sich daran 46 Jahre lang nichts, selbst wenn es zahlreiche Nuancen gab. Wir erinnern uns an die Qualifikations-Reifen, die nach einer schnellen Runde in die Tonne kamen; unvergessen auch die Minutenbrenner der stärksten Turbo-Motoren in den 1980er Jahren, mit Werten jenseits von 1300 PS.
Viele denken angesichts des heutigen Magerfelds von 20 Autos wehmütig zurück, als Ende der 1980er Jahre eine Vorqualifikation eingeführt werden musste. Bis zu 39 Autos wollten an einem GP teilnehmen, daher wurde schon am Freitagmorgen in dreissig brutalen Trainingsminuten gesiebt.
Grosser Nachteil des so lange verwendeten Formats: Nach einem Freitag bei gutem Wetter bedeutete ein Samstag im Regen, dass die Zeiten nicht mehr verbessert werden konnten. Es musste sich etwas ändern.
1996–2002: Die Stunde der Wahrheit
In nur noch 60 Minuten und bei maximal zwölf Runden wurde ab nun der Mann für die Pole-Position gesucht. Was als Thriller gedacht war, wurde teilweise zur Formel Gähn – oft warteten die besten Piloten bis zum Schluss der Quali, um auf die Bahn zu gehen, wenn die weniger schnellen Autos die Piste gesäubert hatten und sich die Strecke im besten Zustand präsentierte. Daher erneut eine Änderung.
2003: Es kann nur eine geben
Die scheinbare Lösung des Problems: Jedes Auto geht einzeln auf die Bahn. Vorteil davon – Hinterbänkler sind so lange im Fernsehen zu sehen wie Top-Autos, die Sponsoren freuten sich. Am Freitag gab es eine Stunde in diesem Format, die Fahrer machten sich in Reihenfolge des WM-Stands auf die Socken. Am Samstag dann die Entscheidung, dieses Mal mit dem Langsamsten des Freitags als erstem Fahrer auf der Bahn, mit dem Schnellsten ganz zum Schluss. Gefahren wurde überdies am Samstag mit der Spritmenge, mit welcher auch ins Rennen gegangen wurde. Nachteil: Wechselnde Wetterverhältnisse machten die Quali zur Lotterie.
2004: Alles am Samstag
Die beiden Einrunden-Einsätze wurden auf den Samstag verschoben. Neu zu Beginn in Reihe des Einlaufs des vorhergegangenen Rennens. Die beiden Segmente lagen nun so dicht beisammen, dass Schlitzohre begannen, bei wechselndem Wetter taktisch zu fahren. Etwa in der Art, im ersten Teil absichtlich zu patzen, um im zweiten Teil zu Beginn fahren zu können – weil Regen im Anmarsch war und es von Nachteil sein würde, gegen Ende des Trainings auf der Bahn zu sein.
2005: Zückt die Taschenrechner!
Daher die Lösung: Die Zeiten der beiden Einzel-Darbietungen wurden neu addiert. Eine Runde am Samstagmorgen mit wenig Sprit, eine Runde am Sonntagmorgen mit jener Spritmenge, mit welcher ins Rennen gegangen wurde. Dieses System mochte keiner, weil der Samstag entwertet wurde. Nach sechs GP-Wochenenden war Schluss. Für die restlichen dreizehn Qualifyings wurde nur noch am Samstag gefahren, mit Rennspritmenge.
2006/2007: Die Ausscheidung
Endlich konnten wieder mehr Runden gefahren werden, aber erstmals gab es ein Ausscheidungsverfahren mit drei Quali-Segmenten. Die Fans fanden das sehr gut, aber perfekt war es nicht – denn noch immer musste zum Schluss mit jener Spritmenge gefahren werden, die ein Pilot ins Rennen mitzunehmen gedachte.
2008/2009: Kleine Änderung
Der Quali-Dreiteiler blieb, doch jetzt konnte nach Q3 kein Kraftstoff mehr nachgefüllt werden.
2010: Das heutige Format
Nachtanken im Rennen war passé, damit konnten die Piloten im Abschlusstraining endlich wieder mit ganz wenig Benzin auf die Bahn gehen und es nach Herzenslust krachen lassen.
2016: Missglücktes Experiment
Für die Saison 2016 wurde in der Formel 1 ein auf dem Papier aufregendes Ausscheidungsverfahren eingeführt – die Uhr läuft und in regelmässigen Abständen scheidet der jeweils langsamste Fahrer aus. In der Theorie sollte das Ausscheidungsverfahren Überraschungsmoment fördern. In der Praxis waren alle vom Blick auf die herunterzählende Uhr fasziniert, weniger vom Geschehen auf der Bahn. Einige Rennställe schickten ihre Piloten zu spät auf die Bahn und gaben sich damit der Lächerlichkeit preis. War es für die angeblich besten Strategen der Branche zu schwierig auszurechnen, wann der eigene Fahrer auf die Bahn muss, um nicht von der Stoppuhr abgefangen zu werden? Jeder Zweitklässler kann das.
Gipfel der Peinlichkeit beim WM-Auftakt in Australien: Wenige Minuten vor Schluss des Qualifyings in Melbourne, theoretisch die heisseste Phase des Formel-1-Abschlusstrainings, nun sollte es für die besten Grand-Prix-Fahrer der Welt um alles gehen – wer ist der schnellste Mann im Albert-Park? Und dann das: Auf der Bahn – niemand. Die Fans trotteten von den Tribünen davon, die meisten schüttelten ungläubig den Kopf darüber, was sie soeben erlebt hatten. Viele fluchten, völlig zu Recht. Die Formel 1 hatte sich wieder mal bis auf die Knochen blamiert.
Entrüstete Fans forderten ihr Geld zurück, Fahrer und Teamchefs schimpften, und was machte die damalige Formel-1-Führung? Sie liess das Feld in Bahrain gleich nochmals im Ausscheidungsverfahren antreten. Das Ergebnis war nicht besser, der Ärger der Fans dafür grösser. Ergebnis: Zum dritten WM-Lauf 2016 in China kehrte die Formel 1 zum bewährten System zurück.
2021: Der Sprint ist da
An drei GP-Wochenenden wurde mit einem neuen Ablauf experimentiert – am Freitag ein erstes Training, dann die Quali (nach bekanntem Muster) für den Sprint. Am Samstag ein zweites freies Training, dann das kurze Rennen über ein Drittel der GP-Distanz, also 100 Kilometer. Die Reihenfolge des Sprints gab die Startaufstellung für den WM-Lauf vor. Die Reaktion der Fans war kontrovers. Nur wenige der Sprints konnten überzeugen. 2023 wird gleich sechs Mal in diesem Format gefahren.
Formel 1 2023
Präsentationen
11. Februar: AlphaTauri in New York (nur Lackierung)
13. Februar: Aston Martin in Silverstone
14. Februar: Ferrari in Maranello
Wintertests
23. bis 25. Februar: Bahrain International Circuit
Formel-1-WM-Kalender
05.03. Bahrain-GP, Bahrain International Circuit, Sakhir
19.03. Saudi-Arabien-GP, Jeddah Corniche Circuit, Dschidda
02.04. Australien-GP, Albert Park Circuit, Melbourne
30.04. Aserbaidschan-GP, Baku City Circuit, Baku *
07.05. Miami-GP, Miami International Autodrome, Miami
21.05. Emilia Romagna-GP, Autodromo Enzo e Dino Ferrari, Imola
28.05. Monaco-GP, Circuit de Monaco, Monte Carlo
04.06. Spanien-GP, Circuit de Barcelona-Catalunya, Montmeló
18.06. Kanada-GP, Circuit Gilles Villeneuve, Montreal
02.07. Österreich-GP, Red Bull Ring, Spielberg *
09.07. Grossbritannien-GP, Silverstone Circuit, Silverstone
23.07. Ungarn-GP, Hungaroring, Budapest
30.07. Belgien-GP, Circuit de Spa-Francorchamps, Spa *
27.08. Niederlande-GP, Circuit Zandvoort, Zandvoort
03.09. Italien-GP, Autodromo Nazionale di Monza, Monza
17.09. Singapur-GP, Marina Bay Street Circuit, Singapur
24.09. Japan-GP, Suzuka International Racing Course, Suzuka
08.10. Katar-GP, Losail International Circuit, Doha *
22.10. Austin-GP, Circuit of the Americas, Austin *
29.10. Mexiko-GP, Autódromo Hermann Rodríguez, Mexiko-Stadt
05.11. Brasilien-GP, Autódromo José Carlos Pace, Interlagos *
18.11. Las Vegas-GP, Las Vegas Street Circuit, Las Vegas
26.11. Abu Dhabi-GP, Yas Marina Circuit, Yas Island
* Sprint-Format