Lorenzo-Trauerspiel: Wer fährt 2020 neben Márquez?

Von Günther Wiesinger
Kommen glänzend miteinander aus: Stefan Bradl und Marc Márquez

Kommen glänzend miteinander aus: Stefan Bradl und Marc Márquez

Jorge Lorenzo wirkt nicht wie ein Athlet, der alles gibt, um wieder zur alten Form zu finden. Er grübelt, sinniert und lässt kryptische Aussagen vom Stapel. Seine Tage bei Repsol dürften gezählt sein.

Jorge Lorenzo erlitt in Assen Ende Juni zwei Brustwirbelbrüche und kehrte nach zweimonatiger Pause in Silverstone wieder in die MotoGP-WM zurück. Seither sind keine Fortschritte zu beobachten, weder beim Selbstvertrauen noch bei den Rundenzeiten oder den Platzierungen. In Buriram erlebte der fünffache Weltmeister einen neuerlichen Tiefpunkt. Nach Platz 20 am Freitag und Rang 18 im Rennen wirkte der 32-jährige Mallorquiner ratlos. «Man würde nicht glauben, dass dieser Mensch fünf WM-Titel gewonnen hat», meinte ein enttäuschtes Teammitglied.

Eines ist klar: Die aktuellen Ergebnisse genügen den Ansprüchen von HRC und Repsol nicht. Lorenzo hat bei Repsol-Honda noch keinen Top-Ten-Platz erreicht, dabei sind schon 15 Grand Prix vorbei.

Vor den zwei schweren Stürzen beim Montag-Test in Catalunya und im Training in Assen zeigte Lorenzo einen ersten Aufwärtstrend. Er räumte aber dann beim Barcelona-GP gleich in der Anfangsphase Rossi, Viñales und sich selbst ab, als er einen Podestplatz anstrebte. Denn dort hatte er im Qualifying 2 den respektablen zehnten Startplatz erobert.

Aber seit den zwei Brustwirbelbrüchen wirkt Lorenzo mental angeschlagen. Das innere Feuer scheint erloschen. «Nach so einer schweren Verletzung macht man sich Gedanken über das Leben und die Karriere», räumte er in England ehrlich ein.

Lorenzo wirkt wie ein Zerrissener. Einerseits hat er 2018 bei Ducati noch drei triumphale GP-Siege gefeiert, anderseits ist er dem Rollstuhl im Juni nur knapp entkommen.

Mit beispielhafter Offenherzigkeit schilderte Jorge beim Comeback in Silverstone, dass die Angst jetzt beim Fahren ein ständiger Begleiter sei. Hat Jorge diese Angst inzwischen überwunden?

Lorenzo gestern dazu nach dem Buriram-GP: «In Silverstone war mein Gefühl am schlechtesten, du bist dann vorsichtiger. In England habe ich mich körperlich schwach gefühlt. Je schwächer du dich fühlst, umso weniger willst du stürzen. Sobald es dir besser geht, betrachtest du die Möglichkeit eines Sturzes nicht mehr so negativ oder so bedrohlich. Du kannst also jedes Mal mehr riskieren und näher ans Limit herangehen.»

Aber nach zwei 14. Plätzen in den Rennen von Silverstone und Misano schaffte Lorenzo in Aragón und Buriram nur die Ränge 20 und 18. Mit 46,0 und 54,7 Sekunden Rückstand auf den Sieger, der jeweils sein Teamkollege war. Eine erschütternde Bilanz.

Honda-MotoGP-Testfahrer Stefan Bradl wundert sich: «Jorge hat kein Vertrauen. Deshalb fährt er dauernd hinten und vorne mit den Soft-Mischungen.»

Honda diskutiert über die Zukunft

Bei HRC wird seit Monaten diskutiert, wie es mit Lorenzo  weitergehen soll. Sein Manager Albert Valera hat ihn im Sommer sogar bei Ducati angeboten. Er sollte damals den Platz von Jack Miller bei Pramac-Ducati übernehmen und dann 2021 wieder ins Winnow-Werksteam zurückkehren.

Doch HRC widersetzte sich einer Freigabe von Lorenzo. Die Japaner wolten ihn nicht zum stärksten Gegner gehen lassen. 

Was Lorenzo seither aufführt, sieht verdächtig wie Dienst nach Vorschrift aus. Er sprüht nicht gerade vor Tatendrang und Angriffslust, auch wenn er nicht mehr 3 oder 4 Sekunden pro Runde verliert wie in England. Aber an den Positionen hat sich seit dem Silverstone-Comeback nicht viel verändert. Aus dem Superstar ist ein bemitleidenswerter Nachzügler geworden, der seinen Ruf aufs Spiel setzt. Am Freitag landete Jorge in Buriram auf Platz 20, am Samstag auf Rang 19. Jorge wollte für Samstag den Rückstand von 1,5 sec auf 1 sec drücken. Aber er wuchs auf 1,886 sec an. Im GP von Thailand waren nur Abraham und Syahrin langsamer.

Lorenzo macht sich Sorgen um seine Gesundheit. «Mit den Schmerzen muss ich vorläufig leben. Wenn ich mit Bekannten rede, die ähnliche Wirbelbrüche erlitten haben, sprechen sie von einem langen Heilungsprozess, er kann sechs oder sieben Monate beanspruchen. Ich weiß nicht, ob ich deswegen auch in Zukunft Unannehmlichkeiten und Beschwerden spüren werde. Ich hoffe nicht.»

Es ist kein Geheimnis, dass Johann Zarco nach seinem Rückzug bei KTM für 2020 mit Repsol-Honda verhandelt hat. Honda kam aber zur Überzeugung, der Franzose werde mit der V4-Honda dieselben Schwierigkeiten haben wie mit der KTM. Deshalb bekam Zarco einen Korb.

Takaaki Nakagami hat bisher nur einen fünften Platz vorzuweisen, er wird deshalb bei LCR bleiben. Sponsor Idemitsu möchte diese Neuigkeit beim Japan-GP am 20.10. bekannt geben. Cal Crutchlow steht bei Repsol nicht zur Diskussion. Bei Ducati hat sich gezeigt: Er ist nicht kompatibel mit den Ansprüchen eines Werksteams. 

Deshalb werden Stefan Bradl weiter ausgezeichnete Chancen auf den zweiten Repsol-Honda-Platz für 2020 zugebilligt. Aber bevor es so weit kommt, müssen HRC und Lorenzo eine einvernehmliche Vertragsauflösung nach der Saison 2019 vereinbaren.

Was spricht für Bradl? Er hat 50 Top-Ten-Plätze in der MotoGP vorzuweisen, er ist verfügbar, er hat bei den letzten fünf MotoGP-Einsätzen drei Top-Ten-Plätze erreicht, er kommt mit der RC213V tadellos zurecht – und ist sich mit Marc Márquez bei der Richtung für die Weiterentwicklung völlig einig. WM-Leader Márquez lobt Bradls technische Fähigkeiten bei jeder Gelegenheit. «Seit Stefan Testfahrer bei Honda ist, habe ich nur noch brauchbare Teile zum Probieren bekommen», versichert Márquez.

Lorenzo: Wer macht den ersten Zug?

Stefan Bradl hat sich mit Honda über einen neuen Testfahrer-Vertrag geeinigt. Diese Vereinbarung könnte jedoch im Oktober, November oder im Dezember in einen Stammfahrer-Vertrag geändert werden. Denn Honda wartet auf eine Kündigung von Lorenzo, der Honda-Pilot lässt es aber lieber auf eine Entlassung ankommen – um zumindest einen Teil seiner auf 3,5 Millionen geschätzten Jahresgage von 2020 kassieren zu können.

Klar, von Bradl sind keine Podestplätze zu erwarten und keine Siege wie von Repsol-Piloten des Kalibers Doohan, Rossi, Hayden, Stoner Pedrosa oder Marc Márquez. Aber man kann ihm Top-Ten-Plätze zutrauen. Bei Lorenzo ist das bisher nicht der Fall. Bei ihm zeichnet sich keine Besserung ab. Mit einem steilen Aufwärtstrend der #99 rechnet nach sechs Wochen Stillstand seit dem Silverstone-GP niemand mehr.

Beim Aragón-GP vor zwei Wochen schaffte Lorenzo nur Platz 20, er verlor 46 Sekunden auf Sieger Márquez. Dabei wollte er schon in Misano höchstens 30 sec verlieren. In Buriram war Márquez sogar 54,7 sec schneller! So eine Performance kann das ruhmreiche Repsol-Team nicht auf die Dauer hinnehmen.

Stefan Bradl beobachtet die Performance von Lorenzo natürlich aufmerksam. Er hat in der vergangenen Woche am Montag und Dienstag in Jerez getestet. In Motegi und Phillip Island wird er als Experte für ServusTV dabei sein.

«Ich lass‘ mich wegen der Situation mit Lorenzo nicht verrückt machen», erklärte Stefan Bradl am Wochenden im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich denke, meine Chancen auf einen Platz bei Repsol sind gering. Die Honda-Manager haben nur über den Testvertrag mit mir gesprochen. Aber dass ich gerne Stammfahrer wäre, daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht.»

Neben Bradl existiert momentan kein Fahrer mit Top-Ten-Format, wenn man von Zarco (geht zu Yamaha) und Nakagami absieht, der keinen anderweitigen Vertrag für 2020 hat. Deshalb tut sich ja auch Red Bull KTM schwer, den vierten Platz nach dem Abgang von Zarco zu besetzen. Mika Kallio hat beste Aussichten, obwohl er 37 Jahre alt wird – und keine Ideallösung darstellt.

Jorge Lorenzo gibt regelmäßig Durchhalteparolen von sich. «Ich bin ein Kämpfer. Und ich habe einen HRC-Vertrag für das kommende Jahr», stellte er fest.

Jorge räumt jedoch ein: «Ich habe große Mühe mit der Honda. Meine Situation ist nicht einfach. Selbstverständlich bin ich bei den Grand Prix unglücklicher als früher… In meiner Yamaha-Zeit, als ich Rennen gewonnen habe und letztes Jahr, als ich Siege mit Ducati errungen habe, war es anders. Ein ehrgeiziger und konkurrenzfähiger Fahrer kann nicht happy sein, wenn er so weit hinten ins Ziel kommt. Aber ich war immer ein Kämpfer. Deshalb bemühe ich mich und versuche, Lösungen mit diesem Motorrad zu finden. Ich versuche mein Bestes.»

Wird Jorge Lorenzo, der seine Schäfchen längst im Trockenen hat (25 Millionen Euro für zwei Ducati-Jahre), also seinen Vertrag 2020 erfüllen und eine weitere Saison für Repsol-Honda fahren? «Viele Leute stellen mir diese Frage. Ich antworte ihnen: In meinem Kopf existiert die ‚Ich gebe auf’-Möglichkeit jetzt nicht. Außerdem habe ich einen Vertrag für das nächste Jahr. Im Moment möchte ich ihn erfüllen. Ich möchte sehen, wie weit wir uns bei den nächsten Rennen verbessern können.»

Lorenzo gesteht aber auch: «Ich habe viele Qualitäten verloren.»

So spricht nur ein Athlet, der seine Haut nicht mehr zu Markte tragen will.

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