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MotoGP-WM: Die körperlichen Höchstleistungen

Von Adam Wheeler
Cal Crutchlow, Bradley Smith und Aldon Baker, der als Trainer bereits mit vielen GP-Stars arbeitete, verraten, welche körperlichen Anforderungen der moderne Rennsport an die Fahrer stellt.

Cal Crutchlow führt die MotoGP-WM-Tabelle an. Als zum letzten Mal ein Brite in dieser Position war, ließ er ein Loch durch seinen Helm bohren, um in letzter Minute in der Startaufstellung eine Zigarette rauchen zu können, was als nichts Außergewöhnliches wahrgenommen wurde. Wie es auch in fast jedem anderen Lebensbereich der Fall ist, blieb auch im Sport fast nichts, wie es 1979 war. LCR-Honda-Pilot Cal Crutchlow ist einer der freimütigsten und zielstrebigsten Motorradfahrer seit den sepia-gefärbten Zeiten von Barry Sheene. Der Weltmeister von 1976 und 1977 wurde für seinen eisernen Willen genauso bewundert wie für viele andere Dinge, die alle zu seinem Ruhm beitrugen. Doch die großen Anforderungen des GP-Sports haben nun eine Generation von mustergültigen Athleten hervorgebracht.

Der 32-jährige Cal Crutchlow, der auf der Isle of Man lebt, erreichte nun den Höhepunkt seiner bereits acht Jahre andauernden MotoGP-Karriere mit seinem dritten MotoGP-Sieg und der WM-Führung. Der Circuit of the Americas ist nun ein Paradebeispiel für eine Strecke, die es zur körperlichen Herausforderung macht, eine fast 160 Kilogramm schwere und 350 km/h schnelle Explosion auf zwei Rädern zu kontrollieren. 5,5 Kilometer mit 20 Kurven in etwas mehr als zwei Minuten sind ein hartes Stück Arbeit, das im Rennen 20 Mal wiederholt werden muss.

Acht der MotoGP-Fahrer des Jahrgangs 2018 befinden sich bereits in ihren 30ern oder erreichen sie in diesem Jahr. Valentino Rossi zieht den Altersdurchschnitt mit 39 Jahren nach oben. Die meisten sind besessen von Radfahren, Fitness und Training. Das ist bei 19 Rennen und zahlreichen Tests pro Jahr auch notwendig.

«Die körperliche Herausforderung, eine MotoGP-Maschine zu fahren, steht auf einer Stufe mit anderen Top-Level Sportarten der Welt. Es ist einfach eine andere Disziplin mit bestimmten Ansprüchen», erklärt Crutchlow. «Wir haben nicht die immer gleichen Bewegungen, die wie bei einem Läufer wiederholt werden, und müssen unterschiedliche Situationen meistern. Das übt zusätzlichen Stress auf den Körper aus.» Dieser Stress beinhaltet harte Bremszonen und starke Beschleunigungsphase, bei denen die G-Kräfte den Wert von 20 übersteigen. Wir bei einem Kampfjetpiloten. Körperliche Stärke ist eine der Hauptanforderungen.

Einer der begehrtesten Trainer im Motorradsport ist der Südafrikaner Aldon Baker. Der in Florida lebende Experte trainierte fünf der letzten sechs AMA Supercross-Champions. Der 48-Jährige arbeitete auch mit Nicky Hayden, dem MotoGP-Weltmeister von 2006, als dieser für Honda antrat. Danach stärkte er seinen Status als gefragtester Spezialist im Motorradsport. «In der MotoGP-Klasse hängt viel von Kraft ab», sagt der Trainer, der seinen «Bakers Factory»- Komplex in Sumter County betreibt. Dort entwickelt er auch eine umfangreiche Off Road-Anlage in Zusammenarbeit mit der KTM Group. «Cal ist beispielsweise ein kleiner Muskelball. Ich war mit ihm Radfahen. Er ist nicht groß, er ist stämmig. Auf der einen Seite musst du stark sein, um diese Bikes fahren zu können, aber das Gewicht ist auch ein kritischer Faktor.»

«Es ist wichtig, den Fahrer zu lesen und seine Stärken zu erkennen», betont Baker. «Ich erinnere mich an Nickys erste Tage auf dem MotoGP-Bike. Er musste auf der Maschine vor allem bei den Richtungswechseln stark sein, aber er war kein schmächtiger Junge, dem Kraft fehlte. Deshalb passten wir sein Programm zu Gunsten der Beweglichkeit an und brachten Dinge wie Yoga ein. Ein Kerl wie Valentino Rossi fährt sehr präzise und sanft, während Jungs wie Marc Márquez oder Cal sich sehr viel bewegen und regelrecht mit dem Bike ringen. In einer perfekten Welt musst du so stark wie möglich und so dünn wie möglich sein.»

Um für die MotoGP-Klasse fit zu sein, braucht der Athlet nicht nur Aktivitäten, welche die Herzfrequenz auf ein ähnliches Level bringen und für ähnlich viel Adrenalin sorgen, sondern auch die Genauigkeit für das Fahren einer Maschine schulen.

«Auch in Argentinien, dem zweiten Rennwochenende, fuhr ich den ersten Tag und am nächsten Tag schmerzten die Muskeln», berichtete Crutchlow. «Du kannst nichts fahren, das einem GP-Bike gleichkommt. Ein Superbike auf der Rennstrecke zu fahren oder ein Tag beim Motocross sind anders, denn das beansprucht andere Muskeln. Ich bezweifle, dass dir nach einem Motocross-Tag im Gegensatz zu einem MotoGP-Tag der Nacken schmerzt. Mit der MotoGP-Maschine fährst du 320 km/h, wenn du dich aufrichtest, wird dir dein Helm durch den Wind fast vom Kopf gerissen. Die G-Kräfte sind stark. Ich glaube nicht, dass man das im Training imitieren kann.»

«Manche spüren die Ermüdung im Oberkörper, andere mehr in den Beinen. Das hängt von ihrer Körperstruktur ab», weiß Crutchlow. «Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Mick Doohan. Er sagte, dass er immer das Gefühl hatte, dass seine Beine etwas mehr leisten als sein Oberkörper. Das war in den Zeiten der 500-ccm-Zweitakter. Andere Bikes, andere Anforderungen. Das ist sehr unterschiedlich. Márquez hat meiner Meinung nach an Muskeln zugelegt, wenn man einen Vergleich zu seiner Statur von vor ein paar Jahren zieht. Vielleicht brauchte er mehr Kraft, damit er seinen lockeren Stil fahren kann. Es geht um viele Details. Personal Training heißt hier wirklich, dass es ein auf dich persönlich abgestimmtes Training ist.»

Viele Rennfahrer wie Márquez oder Superbike-Weltmeister Jonathan Rea üben sich regelmäßig im Motocross, Flattrack, Supermoto oder Enduro, um ihre Gashand zu trainieren. Rossis Flattrack-Ranch in Tavullia gilt mittlerweile wie auch seine ikonische Nummer 46 als Symbol für den Italiener. Crutchlow schwimmt gegen den Strom und zeigt, dass nicht nur eine bestimmte Methode der Schlüssel zum Erfolg sein kann. «Ich fahre zwischen den Rennen keine Motorräder. Vor dem ersten Test war ich einmal mit einem Trial-Bike unterwegs und fuhr in Kalifornien für 25 Minuten Motocross. Mehr war es im gesamten Winter nicht.»

Konditionstraining bedeutet bei den meisten MotoGP-Piloten Radfahren. Man muss sich nur ihre Social Media-Profile ansehen. Großbritanniens MotoGP-Star ist ein leidenschaftlicher Radfahrer, der Profi Mark Cavendish zu seinen engsten Freunden zählt. Vor der Saison 2018 bewältigte Crutchlow 11.000 Kilometer ohne Motor. «Früher lief ich ab und zu, aber ich gehe nicht ins Fitnessstudio, weil ich dann zu schwer werde. Egal, was ich mache», erklärt Crutchlow. «Vor ein paar Jahren trainierte ich mit leichten Gewichten, aber ich legte trotzdem zu. Ich habe keine Probleme mit der Stärke meines Oberkörpers auf der Maschine. Natürlich werde ich irgendwann ein bisschen müde, aber ich glaube, dass ich auch ohne Fitnessstudio auf demselben Level wie die Gegner bin. Ich fahre einfach mein Rad. Das liebe ich. Und es funktioniert für mich.»

Das Training muss funktionieren. Ein MotoGP-Bike zu fahren, beansprucht nicht nur viele unterschiedliche Muskelgruppen und die Konzentration, sondern fordert auch den menschlichen Motor. «Die Herzfrequenz ist unglaublich hoch. Ich wette, dass sie bei den Rennen durchschnittlich bei 180 Schlägen pro Minute liegt. Es hängt von der Art des Rennens, der Strecke und dem Wetter ab.»

Das bedeutet unglaublichen Stress für den Körper, wenn man bedenkt, dass MotoGP-Fahrer Probleme haben, diesen Wert bei normalem Training zu erreichen. Hinzukommen die Auswirkungen des Adrenalins. «Ich komme nicht einmal auf 180, wenn ich wie ein Verrückter einen Berg hochradle», sagt Aprilia-Pilot Scott Redding. «Bei 185 ist meine maximale Sauerstoffaufnahme erreicht. Den Rest regelt das Adrenalin. Du fühlst nicht, dass deine Herzfrequenz bei 180 liegt, wenn du auf dem Bike sitzt. Du müsstest eigentlich nach Luft ringen, aber das tust du nicht.»

«Deine Herzfrequenz ist so hoch, dass es schwierig ist, dasselbe Level beim Training zu erreichen», weiß Moto2-GP-Sieger Sam Lowes. «Auf dem Bike können es 185 bis zu 189 sein. Um das auf dem Laufband zu erreichen, muss ich 25 km/h schnell sein. Die Auswirkung des Adrenalins ist schwierig zu verstehen.»

Red Bull-KTM-Pilot Bradley Smith berichtet: «Meine höchste Herzfrequenz erreiche ich auf einem MotoGP-Bike und kann sie auf dem Rad oder beim Laufen nicht wiederholen. Das zeigt, auf welchem Level wir fahren. Ich denke, das Adrenalin spielt eine große Rolle, denn es sorgt für eine Art Wärmeregulierung.»

«Ein weiterer Faktor sind Selbstvertrauen und mentale Verfassung», erklärt Smith. «Es gibt Tage, an denen du nicht kämpfst und deine Herzfrequenz bei 93 Prozent liegt, aber du denkst, dass du stirbst, aber an anderen Tagen liegt sie bei hundert Prozent und du denkst, dass du noch einen Schritt machen kannst. Man darf nie die mentale Seite unterschätzen. Wenn du nicht richtig fokussiert bist, wird alles zehnmal schwieriger.»

GP-Fahrer haben jedoch Techniken, die dabei helfen. Crutchlow betont die Bedeutung der Atmung. «Auf diesen GP-Bikes halten wir unseren Atem lang an, wenn wir in die Kurven fahren. Wenn eine Bremsphase etwa vier Sekunden dauert, dann wirst du deinen Atem für diese Zeit anhalten. Vielleicht gibt es pro Runde fünf solcher Bremsphasen.»

«Nicht jeder ist gleich, aber wenn du in den Bremsphasen atmest, ist es schwierig, das Bike zu stoppen, denn du konzentrierst dich auf die Atmung statt auf das Abbremsen», fügt Crutchlow hinzu. «Du spannst deinen gesamten Körper beim Bremsen an. Wenn du Gewichte hebst, machst du es genauso. Stell dir vor, das für 20 Runden auf einer Strecke wie Austin mit den vielen Kurven zu tun. Wir versuchen, uns Zeit für die Atmung zu nehmen wie auf den Geraden, aber viele Geraden sind nicht wirklich gerade. Du kämpfst trotzdem mit dem Bike.»

Auch Reaktionsfähigkeit und Konzentration werden durch eine konsequente körperliche Vorbereitung gefördert. Die MotoGP-Fahrer müssen sofort starke Rundenzeiten vorlegen, wenn sie die Box verlassen. Egal, wie sie sich fühlen. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum Menschen wie Crutchlow und Andrea Dovizioso, der ebenfalls 32 Jahre alt ist, nun in der MotoGP-Klasse so glänzen. Sie können ihre Erfahrung und ihre Reife mit körperlicher Fitness verbinden. Obwohl die MotoGP-Klasse kräftezehrend ist, pusht die ständige Konkurrenz die Leistungen. «Die Menschen fragen mich immer zum Thema mentales Training. Ja, es gibt Dinge, um die Augen zu trainieren und den Fokus zu halten, wie Bälle fangen. Aber ich denke nicht, dass man um das ständige Üben dessen, was man wirklich tut, herumkommt. Das muss zum natürlichen Instinkt werden, denn alles geht sehr schnell», weiß Baker.

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