Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Nachwuchs Brasilien: Wo bleibt der nächste Senna?

Von Mathias Brunner
​Auch der Interlagos-GP 2019 findet ohne brasilianischen Formel-1-Fahrer statt. Seit Felipe Massa Ende 2017 in Rente gegangen ist, haben wir erstmals seit 1969 keinen brasilianischen GP-Stammfahrer!

Die Szene war rührend: Die brasilianische Rennlegende Emerson Fittipaldi umarmte zum Schluss der Formel-1-Saison 2017 seinen Landsmann Felipe Massa. Fittipaldi, Formel-1-Weltmeister von 1972 und 1974 sowie Indy-500-Sieger und IndyCar-Champion, schaute regelmässig bei Massa vorbei, wenn er einen Grand Prix besuchte. Ihr Zusammensein war von hohem, symbolischen Charakter.

Denn Emerson Fittipaldi war der erste brasilianische Stammfahrer im GP-Sport, als ihn Lotus-Chef Colin Chapman 1970 in die Formel-1-WM holte. Es begann eine Serie, die bis 2017 ungebrochen blieb: Brasilien hatte immer mindestens einen Piloten in der Formel 1. Um nur die Wichtigsten zu nennen – Emerson und Wilson Fittipaldi, Carlos Pace, Nelson Piquet, Ayrton Senna, Rubens Barrichello, Felipe Massa. Brasilien schien über Jahrzehnte ein fast unerschöpfliches Reservoir an vielversprechenden Piloten zu sein, doch seit Felipe Massas Rücktritt blicken die Fans in die Röhre. Die Saison 2018 war das erste Jahr seit 1969 ohne brasilianischen Piloten mit Formel-1-Festanstellung, 2019 geht die Misere weiter.

Schon als Felipe wegen Schwindelgefühlen Ende Juli 2017 in Ungarn das Handtuch werfen musste (für ihn kletterte der Schotte Paul Di Resta in den Williams), verfielen Statistiker ins Grübeln: Genau, es war 606 Rennen her, dass wir einen Grand Prix ohne Brasilianer im Startfeld erlebt hatten, beim Grossen Preis von San Marino 1982. Es war das Skandalrennen von Imola, als der Sport zerrüttet war im Machtkampf zwischen dem Automobilverband und den englischen Herstellern im Bernie Ecclestone, als die meisten britischen Teams dem Grand Prix fernblieben, daher war von Nelson Piquet und Chico Serra in Imola nichts zu sehen. Es war auch das Rennen mit dem erbitterten Ferrari-Duell zwischen Gilles Villeneuve und Didier Pironi.

Zurück zum Thema: Schon seit Jahren fällt in Interlagos auf, dass die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Während in Mexiko-Stadt 90.000 Fans zu einem Freitagtraining kommen, verliert sich in São Paulo ein Bruchteil davon auf den Tribünen. Der grösste Grund für den krassen Unterschied bei den Zuschauerzahlen: Die Mexikaner gieren förmlich nach der Formel 1. In Brasilien hingegen hat sich eine gewisse Formel-1-Müdigkeit eingeschlichen.

Das liegt vorrangig an den Identifikationsfiguren. Den Fans war seit Jahren klar, dass Felipe Massa Siegen und dem WM-Titel nie wieder so nahekommen würde wie zu seiner besten Saison 2008, als er im Finale von Interlagos hauchdünn Lewis Hamilton unterlag. Danach blieb Massa neun Jahre lang sieglos. Hand aufs Herz – hätten Sie ohne zu googeln gewusst, wer der vorherhand letzte brasilianische GP-Sieger ist? Es ist Rubens Barrichello in Monza 2009, mit einem BrawnGP-Mercedes, das ist also mehr als zehn Jahre her!

TV Globo, jahrelang der Formel-1-Leuchtturm von Brasilien, berichtet nur noch fragmentarisch aus der Formel 1. Der Sender muss sparen und hat Personal von den Strecken abgezogen. Zu Zeiten von Ayrton Senna wäre so etwas undenkbar gewesen. Massa warnte schon vor drei Jahren: «Globo ist aber noch immer die Informationsquelle Nummer 1 für die Fans, was unseren Sport betrifft. Aber wenn die immer weniger Berichte bringen, dann wird das nicht dazu beitragen, das Interesse wieder anzufachen.»

Wirtschaftskrise in Brasilien, immer neue Skandale um Korruption bei Privatfirmen und staatlich geführten Unternehmen, dazu kein neuer Senna weit und breit, das WM-Rennen bereits entschieden – das alles drückt die Stimmung.

Brasilien braucht dringend eine neue Lichtgestalt, und die könnte vielleicht einen berühmten Namen tragen: Fittipaldi oder Piquet. In den Nachwuchsklassen ist die Zahl der aufstrebenden Brasilianer überschaubar. McLaren-Nachwuchspilot Sérgio Sette Camara belegt in der Formel-2-Zwischenwertung den vierten Platz, der 21-Jährige aus Belo Horizonte konnte in der laufenden Saison ein Rennen gewinnen und sass im GP-Renner der Engländer.

In der Formel 3 wurde Pedro Piquet (der 21jährige Sohn des dreifachen Formel-1-Weltmeisters Nelson Piquet) Gesamtfünfter, Felipe Drugovich (wer?) wurde F3-Gesamt-16.

Besser läuft es dem 18jährigen Enzo Fittipaldi, Enkel des grossen Emerson Fittipaldi. Der Ferrari-Nachwuchspilot ist 2018 in der italienischen Formel 4 Meister geworden, in der deutschen Meisterschaft reichte es zum dritten Schlussrang. 2019 wurde Enzo Zweiter der Formula Regional Europe (einer Meisterschaft mit F3-Rennwagen), hinter dem Dänen Frederik Vesti.

In der italienischen Formel 4 wurde Gianluca Petecof (17) Zweiter, der Teenager aus São Paulo gehört wie Enzo Fittipaldi dem Nachwuchskader von Ferrari an.

Pietro Fittipaldi (23), Bruder von Enzo, ist vor einem Jahr von Haas als Testfahrer verpflichtet worden. Seither hat der in Miami geborene Enkel von Emerson Fittipaldi einige Male den GP-Renner getestet. Er hat sich dabei gut aus der Affäre gezogen, aber Bäume ausgerissen hat er jetzt auch keine. In der DTM wurde er 2019 nur 15.

Fazit: Die brasilianischen Fans werden sich noch gedulden müssen.

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