John Barnard: Das perfekte Auto eines Perfektionisten

Von Mathias Brunner
​Der Engländer John Barnard (73) hat den Rennwagenbau revolutioniert. Bahnbrechende Entwicklungen gehen auf den eigenwilligen Londoner zurück. Jetzt erzählt er seine Geschichte.

Manchmal lohnt es sich, ein Buch von hinten zu beginnen. Nicht weil wir hier am Ende einer spannenden Geschichte aus England erfahren, wer der Mörder ist (in der Regel der Gärtner), sondern am Ende von «The Perfect Car» eine ganz ausserordentliche Liste wartet. Autor Nick Skeens hat aufgeschrieben, welche Neuerungen der Londoner John Barnard im Rennwagenbau eingeführt hat. Um nur einige zu nennen und nicht in korrekter Reihenfolge: Kohlefaser-Monocoque, Bodeneffekt-Auto im IndyCar-Sport, halbautomatisches Getriebe mit Wippenschaltung hinterm Lenkrad, Einzelstütze für den Heckflügel, Colaflaschen-Form am Heck, seitliche Luftleit-Elemente (barge boards), Motoraufhängung am Chassis mit nur vier Bolzen, Drehstäbe anstelle von Federn, zahlreiche Verbesserungen im Windkanal. Die Liste ist sehr lang.

Dies ist ein Buch über einen Techniker, das sich nicht trocken liest. Es hilft dabei, dass Autor Nick Skeens aus der Design-Ecke kommt und nicht mit Benzin im Blut zur Welt gekommen ist. Technisch sehr komplexe Zusammenhänge werden auf einleuchtende Weise aufgeschlüsselt. Das ist eine Stärke von Skeens. Die andere besteht darin, dass er nicht nur den Techniker John Barnard erfassen kann, sondern vielmehr den Menschen. Und es ist typisch Barnard, dass er Skeens ausdrücklich darum gebeten hat, nichts zu beschönigen. Denn John Barnard ist kein einfacher Zeitgenosse, wie alle bestätigen können, die mit ihm gearbeitet haben. Der Brite stellte höchste Anforderungen, an sich selber und an seine Mitarbeiter, immer mit dem Ziel, das perfekte Rennauto zubauen. Seine Wutausbrüche sind legendär geworden.

Schon als Kind war John nicht der Einfachste. Heute würden wir so etwas als verhaltensauffällig bezeichnen, und Eltern sässen bei einem Spezialisten, um es abklären zu lassen. Dabei steckte in diesem Jungen einfach ein – in Ermangelung eines besseren Wortes – Genie. Als es darum geht, im Fach Werken eine Abschlussarbeit zu bauen, zimmerten einige ungelenk an einem Kerzenständer herum. John Barnard baute ein Rennboot, zur grossen Begeisterung seines Lehrers.

Dieses Buch ist deshalb so lesenswert, weil nichts beschönigt wird. Und weil wir viele Hintergründe erfahren, von welchen wir noch nie etwas gehört hatten. Barnard erhielt seinen ersten Job beim legendären Lola-Gründer Eric Broadley, er wechselte erstmals zu McLaren (1972 bis 1975), als Emerson Fittipaldi Weltmeister wurde.

Dann ein Intermezzo in den USA: Barnard arbeitet Seite an Seite mit den Grössten der Branche – Parnelli Jones, Mario Andretti, Johnny Rutherford, Jim Hall. Das Abenteuer Nordamerika endet mit einer riesigen Enttäuschung.

Barnard kehrt zurück nach Europa und schliesst sich dem neuen McLaren-Team an, in welchem nun Ron Dennis das Sagen hat. 1984, 1985 und 1986 folgen mit Niki Lauda und Alain Prost weitere Titel. Barnard hat das erste Kohlefaser-Auto gebaut, allein wie es dazu kam, ist das Buch zu kaufen wert. In dieser Phase erhält John einen wenig schmeichelhaften Spitznamen: «Prinz der Dunkelheit». Mitarbeiter erzählen, wie es ihnen schon halb den Magen umdrehte, wenn sie nur Barnards Auto aufs Gelände fahren hörten.

John Barnard erliegt der Verlockung Ferrari und schafft, was niemand für möglich gehalten hätte: Der grosse Enzo Ferrari erlaubt, dass ein Auto in England konzipiert wird. Was dem Alten verschwiegen wird: In Italien entsteht ein Konkurrenzauto. Dies ist nur eine Episode aus der Schlangengrube Maranello.

Benetton-Manager Flavio Briatore lockt mit Engelszunge, Barnard wechselt zum englischen Team, wo Michael Schumacher seinen ersten GP-Sieg erobert. Aber auch das Kapitel Benetton endet mit Wut und Enttäuschung.

Also zurück zu Ferrari, wo John Barnard das Fundament zur grössten Siegesserie der Italiener giesst. Barnard leitet Entwicklungen ein, die Michael Schumacher zu fünf WM-Titeln in Folge verhelfen werden.

Die GP-Karriere von Barnard trudelt unangemessen aus: Bei Arrows und Prost kann sich der grandiose Designer nicht mehr wie erhofft verwirklichen.

Der Text endet mit dem Schliessen einer Klammer: Barnard kehrt nach so vielen Jahren zu McLaren zurück, als Ron Dennis dort um seine Macht kämpft. Nick Skeens begleitet die beiden bei einem Gang durch das Werk. Auch diese Passage alleine ist das Geld für dieses hervorragend recherchierte Buch wert.

Alle reden heute vom genialen Adrian Newey. Barnard war gewissermassen der Newey der Generation zuvor. In dieser Liga spielen nur zwei andere Männer mit: Lotus-Gründer Colin Chapman sowie Gordon Murray.

«The Perfect Car» ist packend, rührend, es macht einen bisweilen nachdenklich, manchmal wütend, wir haben laut herausgelacht und mehrfach laut gesagt: «Das darf doch nicht wahr sein!» Wir dürfen diesem tollen Wurf das höchste Lob aussprechen, das wir jedem Buch, egal aus welchem Bereich, zollen können – es fällt wirklich sehr schwer, es aus der Hand zu legen.

John Barnard mit Nick Skeens: The Perfect Car – The Biography of John Barnard, Motorsport’s most creative designer
Von Evro Publishing (England)
ISBN: 978-1-910505-27-4
Format 23,4 x 15,6 cm
656 Seiten
Mehr als 125 Fotos
Text in englischer Sprache
Für rund 45 Euro im Fachhandel

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