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Tom Lüthi (MotoGP): «Ich kam in eine Negativ-Spirale»

Von Günther Wiesinger
Die verpassten ersten MotoGP-Tests, der Zerfall des Marc VDS-Teams, die problematische Honda, der souveräne Teamkollege Morbidelli: Tom Lüthi wurde 2018 auf eine harte Probe gestellt.

Tom Lüthi geht mit 32 Jahren in seine 18. GP-Saison, die letztjährige hat er inzwischen analysiert und ad acta gelegt. Es war eine lehrreiche Saison mit zahlreichen Tiefschlägen. Und womöglich wird der Schweizer sein ganzes Leben mit dem Mangel leben müssen, nie einen MotoGP-Punkt ergattert zu haben.

Toms erste Saison in der Königsklasse stand unter einem unglücklichen Stern. Lüthi konnte im November 2017 nicht testen, weil er sich beim Moto2-Rennen in Sepang verletzt hatte. Lüthi musste also bei den ersten Tests in Valencia und Jerez zuschauen.

Er brachte mit dem Franzosen Gilles Bigot einen Crew-Chief zu Marc VDS mit, der seit 2004 kein MotoGP-Team mehr betreut hatte. Dazu hatte der Eidgenosse, der 2005 die 125er-WM auf Honda gewann, mit Franco Morbidelli einen extrem starken Teamkollegen und mit der 2017-Honda RC213V ein problematisches, störrisches Motorrad, mit dem sogar Marc Márquez in der Saison 2017 nicht weniger als 27 Mal gestürzt war und das auch Pedrosa und Crutchlow damals viel Kopfweh bereitet hat.

Und zu allem Überdruss brach beim vierten Grand Prix in Jerez noch das Marc VDS-Team auseinander. Tom Lüthi stürzte im Mai und Juni innerhalb von drei Grand Prix acht Mal, er verlor das Vertrauen zum Vorderrad. Dass er mit CGBM-Teamchef Fred Corminboeuf dazu wegen der bis heute nicht bezahlten 2017-Gage von rund 300.000 Franken Gage vor Gericht ziehen musste, machte das Leben 2018 auch nicht einfacher.

Aber Tom Lüthi will sich 2019 unbedingt rehabilitieren. In der Moto2-WM fährt er im deutschen Dynavolt-Intact-GP-Team mit frischer Motivation. Die neuen Moto2-Maschinen haben dank der 765-ccm-Dreizylinder-Motoren von Triumph «mehr Bumms», wie Intact-Teamchef Jürgen Lingg sagt, 20 Newtonmeter mehr Drehmoment und durch die neue Einheits-ECU von Magneti Marelli mehr elektronische Systeme.

Tom, wie schätzt du deine MotoGP-Saison 2018 mit etwas zeitlichem Abstand ein? Warum hast du dich in der MotoGP nicht durchsetzen können, obwohl die Saison in Katar mit Platz 16 gut losgegangen ist? Es kam dann viel zusammen?

Ja, es gibt nicht nur einen einzigen ausschlaggebenden Grund. Es ist wirklich viel zusammen gekommen. Es gab nicht ein einzelnes Problem, das zu unseren Schwierigkeiten führte, es gab mehrere. Es sind mehrere Sachen zusammen gekommen.

Die Auswirkungen der zwei verpassten Tests im November habe ich persönlich unterschätzt. Das gebe ich zu. Ich habe gedacht, ich könne das aufholen, ich würde dann in großen Schritten an die Gegner wie Morbidelli herankommen.

Aber das Gefühl, über den Winter schon zu wissen, wie sich das MotoGP-Bike anfühlt, was alles auf mich zukommt, das wäre wirklich wichtig gewesen. Das fehlte mir, und diesen Nachteil habe ich unterschätzt.

Nachher ist der Zerfall des Marc VDS-Teams im Mai sehr früh losgegangen. Diese Misere hat mich mehr beschäftigt als Morbidelli. Daraus habe ich viel gelernt. Ich darf solche Dinge nicht mehr so stark an mich heranlassen. Ich habe gesehen, dass Franco anders aufgestellt und in seinem eigenen Team und Umfeld besser eingebettet war. Deshalb hat er in dieser Phase besser funktioniert als ich.

Daraus habe ich für die Zukunft meine Lehren gezogen.

Zu den verpassten November-Tests: Du hast damals geglaubt, Testfahrer Takahashi werde das Bike für dich perfekt abstimmen, du kannst dich dann an Sepang im Januar ganz aufs Fahrern konzentrieren. Das war ein schlimmer Irrtum?

Ja, wie gesagt, ich habe das unterschätzt, das gebe ich zu. Ich dachte, Gilles kann bei den Tests schon Erfahrung mit dem Motorrad sammeln und das Bike kennenlernen. Aber er hat natürlich genau wie ich extrem viel Neues lernen müssen, weil die Honda ein schwieriges Motorrad ist.

Wir haben nicht geahnt, wie viel Erfahrung der Pilot und die Technikcrew deswegen braucht. Gilles und ich, wir waren beide Newcomer in dieser Klasse. Das hat die Situation nicht einfacher gemacht.

Teamkollege Morbidelli hat mit Diego Gubellini einen ausgezeichneten Crew-Chief mit fast 20 Jahren MotoGP-Erfahrung gehabt. Er war bei Gresini-Honda, dann bei Aprilia, 2017 schon mit Rabat bei Marc VDS-Honda.

Ja, das hat Franco sicher geholfen. Diego hat Erfahrung mit diesem Motorrad gehabt, auch mit der Elektronik und den Reifen. Das war für Morbidelli sicher ein Vorteil, ja.

Beim Jerez-GP ging bei dir die Serie mit den acht Stürzen los. So etwas war man von dir nicht gewöhnt. Du hast komplett das Vertrauen zum Vorderrad verloren und bist dadurch lange völlig verunsichert gewesen?

Ja, wenn du mit 340 km/h zu einer Kurve kommst und zweifelst, ob dir der Vorderreifen genug Grip vermittelt, das ist ein Scheißgefühl.

Zu Beginn der Saison habe ich mich noch relativ gut herantasten können. In Katar bin ich mit dem Vorderreifen gut zurechtgekommen, das hat relativ gut funktioniert. Aber dann haben wir schauen müssen, dass ich die Zeitabstände verringere, also musste das Material besser abgestimmt werden. Plötzlich konnte ich den Vorderreifen nicht mehr genug belasten. Dieser Vorderreifen ist extrem empfindlich. Wenn du da nicht genug Druck drauf hast, fehlt der Grip, das Vorderrad rutscht weg. Das ist ein sehr schmaler Grat.

Ich habe danach ein paar Stürze gehabt, dadurch ist das Vertrauen zum Vorderreifen verloren gegangen, das ist logisch, wenn man übers Vorderrad stürzt. Ich habe mich danach verkrampft, ich saß nicht mehr locker auf dem Motorrad, so hatte ich noch weniger Gefühl zum Vorderrad.

Ich bin in eine Negativ-Spirale geraten. Aus dieser Spirale musste ich zuerst wieder rauskommen, ich musste das Vertrauen zum Vorderrad wieder gewinnen. Und dann die verlorenen Zehntelsekunden wieder finden…

Aber das war ein Prozess, der viel Zeit gebraucht hat. Und diese Zeit habe ich nicht gehabt. Ich habe eine halbe Saison Zeit gehabt, das war mit immer klar. Wir war von vornherein bewusst: Ich habe nur einen Ein-Jahres-Vertrag und muss mich in der ersten Saisonhälfte beweisen.

Solche Rückschläge können im Rennsport passieren. Als gleichzeitig das Team zerfallen ist, wurde es mühsam. Die Mechaniker wussten nicht, ob sie weiter einen Job haben. Geht es weiter? Geht es nicht weiter? Wie sieht es für 2019 aus?

Man hat sich schon im Mai ausmalen können, dass Marc VDS das MotoGP-Team nach der Saison 2018 zusperren wird.

Ja, unser Team ist auseinander gefallen. In Le Mans saßen am Freitag noch 50 Leute beim Abendessen, am nächsten Tag beim Frühstück fehlten sechs oder acht. Darunter Teammanager Michael Bartholemy, der mir den MotoGP-Vertrag 2017 nach dem Sachsenring-GP angeboten hat.

Danach funktionierte nichts mehr. Es musste sogar der wichtige Barcelona-Test abgesagt werden, weil die Zuständigkeiten neu geordnet und manche Verträge umgeändert werden mussten.

Bartholemy hatte mit seiner Schweizer Firma bei HRC die Leasing-Verträge unterschrieben und gab die Maschinen für den Test nicht heraus. Die Teilnahme am Mugello-GP geriet auch in Gefahr.

Es gab für uns im Team plötzlich keinen Ansprechpartner mehr. Ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase der Saison…

Dass du für 2017 beim Schweizer CGBM-Moto2-Team keine Gage erhalten hast und im Mai 2018 Klage einreichen musstest, hat dich wohl auch beschäftigt?

Ja, das ist immer noch ein Ärgernis. Dieses Problem mit Fred Corminboeuf ist bis heute nicht gelöst. Ja, sicher.

Immerhin habe ich 2018 wieder einen Vertrag gehabt, ich konnte also meinen Job weitermachen. Aber ich habe 2017 eine gute Moto2-Saison abgeliefert; trotzdem fehlen bis heute der Grundlohn und natürlich auch die Bonuszahlungen.

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