90-Grad-V4: Das Racing-Triebwerk par excellence

Von Gino Bosisio
Nicht nur für Ducati markiert das 90-Grad-V4-Layout die Krönung sportlicher Motorbaukunst. So ist es kein Zufall, dass diese Lösung auch bei der Panigale V4 zum Einsatz kommt.

Bei der 90-Grad-V-Bauweise gleichen sich die Massenkräfte erster Ordnung auf natürliche Art aus, was eine Ausgleichswelle zur Eliminierung der Vibrationen erübrigt. Das spart Gewicht und erhöht Drehfreudigkeit wie Leistungsfähigkeit gleichermaßen. Dieser konstruktive Vorteil, entscheidend für die Zuverlässigkeit und mechanische Effizienz eines bis zu 14.000/min hochdrehenden Motors, ist nur einer von vielen Vorzügen, die diese von Ducati gewählte Konfiguration zur technisch raffiniertesten Bauweise macht.

Verglichen mit einem klassischen Reihenvierzylinder erlaubt die geringere Baubreite des V-Arrangements eine bessere Massenzentralisierung und reduziert die Stirnfläche des Motorrades. Darüber hinaus verringert die kürzere Kurbelwelle den gyroskopischen Effekt. All diese Aspekte wirken sich positiv auf die Fahrdynamik aus, sie machen vor allem Richtungswechsel schneller und leichter. Im großen Freiraum innerhalb des V bleibt Platz zur Unterbringung der Wasserpumpe und einer sehr großen Airbox (12,8 Liter), die den Desmosedici Stradale tief und leistungsfördernd einatmen lässt.

Die gelungene Integration vom Motor in das Fahrwerk war schon immer ein spezielles Merkmal jeder Ducati. Aus diesem Grund ist der Desmosedici Stradale um 42 Grad nach hinten geneigt, wie die von Ducati in der MotoGP eingesetzten Triebwerke. Das optimiert die Gewichtsverteilung, erlaubt den Einbau größerer Kühler und bringt den Schwingendrehpunkt so weit nach vorne wie nur möglich.

Darüber hinaus ist der Desmosedici Stradale als mittragendes Element des Rahmens konstruiert. Mit diesem ist er an der Front der oberen Kurbelgehäusehälften und über die hinteren Zylinderköpfe verbunden. Außerdem sind Schwinge wie Federbein direkt im Kurbelgehäuse gelagert.

Leicht und kompakt

Die Synergien mit Ducati Corse münden in einem kompakten, leichten und extrem leistungsstarken Motor. Die akribische Planung und die intensive Entwicklung durch Ducati-Ingenieure beschert ein Leistungsvermögen, das den Fahrspaß auf der Straße maximiert und gleichzeitig herausragende Rennstreckenqualitäten sicherstellt.

Mit lediglich 64,9 kg bringt der Desmosedici Stradale gerade einmal 2,2 Kilo mehr auf die Waage als der 1285 ccm große Superquadro Twin. Allein das demonstriert die großen Anstrengungen für ein möglichst niedriges Gewicht aller Bauteile, die jedem Ducati-Projekt zugrunde liegen.

Das horizontal geteilte Leichtmetall-Motorgehäuse ist im Kokillengussverfahren gefertigt. Das obere Kurbelgehäuse beherbergt vier Aluminium-Zylinderlaufbuchsen, deren Nikasil-Beschichtung Verschleiß und Reibung minimieren.

Die 81 mm großen Kolben aus gegossenem Aluminium sind mit zwei reibungsarmen Kompressionsringen und einem Ölabstreifring versehen und nach der Box-in-Box-Technologie konstruiert: Hierbei werden die Kolbenhemdhöhe und Unterboden-Materialstärke besonders berücksichtigt, um den Verschleiß und die Massenträgheitskräfte zu reduzieren, ohne die notwendige Steifigkeit und Festigkeit zu beeinträchtigen. Die Kolben sitzen auf geschmiedeten Stahlpleueln mit einer Länge von 101,8 mm zwischen den Pleuelaugen.

Die Abstammung vom Hochleistungs-Rennmotor manifestiert sich ebenfalls im hohen Verdichtungsverhältnis von 14:1.

Die Kurbelwelle aus nitriertem Stahl rotiert in drei Hauptlagern mit Messinglagerschalen und weist einen Hupzapfenversatz von 70 Grad auf – genau wie die Desmosedici-Motoren aus der MotoGP-WM. Zusammen mit der V-Bauweise sorgt diese besondere Konstruktion für eine außergewöhnliche «Twin Pulse»-Zündfolge.

Zur Gewichtsreduzierung sind alle Gehäusedeckel aus Magnesiumlegierung. Auch die Zylinderkopfdeckel, die Ölwanne, der Lichtmaschinendeckel und die zweiteilige Kupplungsabdeckung bestehen aus diesem leichten Material.

Gegenläufige Kurbelwelle

Üblicherweise rotiert die Kurbelwelle bei Serienmotorrädern in der gleichen Richtung wie die Laufräder. In der MotoGP-Klasse dominieren stattdessen in entgegengesetzter Richtung laufende Kurbelwellen, weil sie zwei Aspekte der Fahrdynamik positiv beeinflussen: Die gyroskopische Wirkung und die Massenträgheitskräfte. Wegen dieser Vorzüge haben sich die Ducati-Entwickler beim Desmosedici Stradale für diese Highend-Lösung entschieden.

Eine gegenläufig rotierende Kurbelwelle gleicht einen Teil der durch die rollenden Räder entstehenden stabilisierenden Kreiselkräfte aus. Die Minimierung dieses gyroskopischen Effekts verbessert das Handling und macht das Motorrad vor allem bei Richtungswechseln im hohen Geschwindigkeitsbereich agiler.

Der zweite Vorteil betrifft die Massenträgheit des gesamten Motorrades wie der rotierenden Motorenbauteile. Beim Beschleunigen wirkt das Antriebsdrehmoment einer herkömmlich drehenden Kurbelwelle nach unten und verursacht eine Wheelie-Neigung. Die rückwärts drehende Kurbelwelle produziert dagegen eine gegenläufige Kraft, welche die Front des Motorrads nach unten zwingt und dadurch die Wheelie-Tendenz reduziert. Dies kommt dem Beschleunigungsvermögen zugute.

Analog agiert das Motorrad im umgekehrten Fall: Beim harten Bremsen neigt das Hinterrad um Abheben. Weil die Kurbelwelle selbst ebenfalls abbremst, ihre Umdrehungszahl also sinkt, wird wiederum eine entgegengesetzte Kraft erzeugt, die einem steigenden Hinterrad entgegenwirkt. Eine gegenläufig rotierende Kurbelwelle verbessert also das Fahrverhalten beim Beschleunigen und beim Bremsen.

Diese Bauart erfordert eine zusätzliche Umkehrwelle, damit Getriebe und das Hinterrad in der richtigen Drehrichtung, also vorwärts, bewegt werden. Die Umkehrwelle als zusätzliches Bauteil der Kraftübertragung muss bei der Ermittlung von Motorleistungsdaten an der Kurbelwelle mit einkalkuliert werden, sofern die Messung über das Hinterrad erfolgt. Auf Rollenprüfständen muss deshalb ein besonderer Korrekturfaktor eingerechnet werden, der mit 0,98 fixiert ist.

Twin-Pulse-Zündfolge

Ein V4-Motor mit einem Hupzapfenversatz von 70 Grad erzeugt eine Twin-Pulse-Zündfolge, die der Arbeitsweise eines doppelten Zweizylinders entspricht. Die Besonderheit ergibt sich dadurch, dass die beiden linken wie auch die beiden rechten Zylinder nahezu zeitgleich zünden: Bei 0 Grad, 90 Grad, 290 Grad und 380 Grad. Durch diese ausgefallene Zündfolge klingt der V4 wie eine MotoGP-Desmosedici.

Beginnend bei 0 Grad zündet zuerst der vordere Zylinder auf der Lichtmaschinenseite. Bei 90 Grad zündet der hintere Zylinder auf der gleichen Seite, gefolgt von einem Intervall, in dem der Motor kein Drehmoment erzeugt bis die beiden Zylinder auf der Kupplungsseite zünden – wiederum 90 Grad nacheinander. Damit erzeugt der V4 nicht nur ein in der Motorradwelt einzigartiges Verbrennungsgeräusch. Die Twin-Pulse-Zündfolge legt das Fundament für eine herausragende Motorenperformance und deren superbe Kontrollierbarkeit – besonders in der Kurve und am Kurvenausgang –, welche Ducatis MotoGP-Piloten derzeit so stark macht.

Variable Ansaugtrichter

Der Desmosedici Stradale saugt sein Gemisch durch vier ovale Drosselklappenkörper (entsprechen 52 mm Durchmesser) an, die erstmals bei Ducati mit variablen Ansaugtrichtern versehen sind. Diese Technologie ermöglicht es, die Länge der Ansaugwege über den gesamten Drehzahlbereich anzupassen und damit die Leistungsentfaltung zu optimieren.

Entsprechend der Motorendrehzahl und der Lastanforderung durch die Gasgriffstellung variiert das System die Länge der Ansaugtrichter, um die Gasströmung und Druckwellen im Ansaugtrakt ideal darauf abzustimmen.

Das von der ECU gesteuerte System besteht aus zwei Teilen: einem fixen Ansaughorn direkt am Drosselklappenkörper und einem verschiebbaren Teil, das von einem elektrischen Stellmotor in Stahlhülsen bewegt wird. Wird das bewegliche Bauteil abgesenkt, bildet es zusammen mit dem feststehenden Horn einen durchgehenden, deutlich längeren Ansaugtrichter. Nach dem Abheben des verschiebbaren Teils strömt die Ansaugluft nur durch das feststehende Horn, der Motor wird über kurze Ansaugwege versorgt.

Jeder Drosselklappenkörper ist mit zwei Einspritzdüsen ausgerüstet: die erste sitzt unter der Drosselklappe und sorgt bei niedrigeren Lastanforderrungen für das richtige Gemisch, während die zweite oberhalb der Drosselklappe zusätzlich angesteuert wird, wenn Höchstleistung gefordert ist. Die Drosselklappen jeder Zylinderbank werden von einem eigenen Stellmotor betätigt. Das Rideby Wire ermöglicht eine weitreichende und präzise elektronische Steuerung sowie eine exakte Anpassung der Motorcharakteristik an den gewählten Fahrmodus.

Moderne Desmodromik

Wie bei allen Ducati-Motoren spielt die Desmodromik auch beim Desmosedici Stradale eine entscheidende Rolle für die Performance. Beim Desmosedici Stradale kommt eine komplett neue Desmodromik mit überarbeiteten und gewichtsoptimierten Komponenten zum Einsatz. Nur dadurch war die Konstruktion der extrem schmalen Zylinderköpfe überhaupt möglich – so leicht und kompakt wie noch nie bei einer Ducati. Jedes einzelne Bauteil wurde im Hinblick auf besondere Drehzahlfestigkeit entwickelt und getestet, um den möglichen, hohen Drehzahlen des V4-Motorenkonzepts gerecht zu werden. Kleinere als üblicherweise verwendete Zündspulen tragen ebenfalls dazu bei, die Zylinderköpfe kompakt zu halten.

Vier Nockenwellen bedienen beim Desmosedici Stradale sechzehn Ventile. Während die Einlassventil-Durchmesser 34 mm betragen, weisen die Auslassventile 27,5 mm Durchmesser auf. Die Ventilsitze sind aus Sintermetall gefertigt.

Angesichts der möglichen hohen Drehzahlen des V4 und der Größe der Ventile wäre eine herkömmliche Ventilbetätigung mit Federn überfordert – die Ventile könnten den Vorgaben der steilen Nockenprofile nicht folgen. Hier wird eine desmodromische Zwangssteuerung unumgänglich. Beim Desmo-System werden die Ventile drehzahlunabhängig mechanisch genauso akkurat geschlossen wie sie geöffnet werden. Erst das ermöglicht die steilen Nockenerhebungskurven und extremen Steuerzeiten, die neben den optimierten Strömungsverhältnisse im Zylinder die höchstmögliche Motorenleistung erzeugen.

Die Nockenwellen werden von zwei Steuerketten bedient. An der vorderen Zylinderbank treibt die Steuerkette die Einlassnockenwelle an, die ihrerseits die Auslassnockenwelle über ein Zahnradpaar antreibt (Ketten-Zahnrad-Hybridantrieb). An der hinteren Zylinderbank treibt die Steuerkette dagegen die Auslassnockenwelle an, die ihrerseits die Einlassnockenwelle steuert. Diese Lösung minimiert Kraftverluste und verbessert die Performance und Zuverlässigkeit. An der vorderen Zylinderbank läuft die Steuerkette auf der rechten Motorseite, angetrieben von der Kurbelwelle über ein Zahnrad, das auf das Primärzahnrad greift. Der Nockenwellenantrieb der hinteren Zylinderbank befindet sich auf der linken Motorseite und wird von einem Zahnrad auf der Kurbelwelle angetrieben. Jeder Zylinderkopf ist mit einem Klopfsensor versehen, der den Zündzeitpunkt optimiert um ungewünschte Detonationen im Zylinder zu verhindern.

Semi-Trockensumpfschmierung

Wie bei den MotoGP-Motoren sorgt beim Desmosedici Stradale eine Semi-Trockensumpfschmierung mit Druck- und Rückförderpumpen für eine effektive Schmierung aller beweglichen Teile zu jeder Zeit.

Die Ölversorgung wird von vier Pumpen sichergestellt: Eine kettengetriebene Rotationspumpe fördert als Druckpumpe das Öl an die belasteten Stellen, dazu gibt es drei Rückförderpumpen. Eine dieser Pumpen, eine Zahnradpumpe, sammelt das Öl über zwei Kanäle aus den Zylinderköpfen, während die anderen beiden Kreiskolbenpumpen eine effiziente Ölrückführung unter allen Bedingungen sicherstellen. Diese sorgen für ein konstantes Vakuum im Bereich unter den Kolben, was den Widerstand gegen den Abwärtshub des Kolbens minimiert, also den Kraftverlust minimiert, der durch den Luftwiderstand und das Kolbenboden-Spritzöl verursacht wird.

Der Öltank – der zugleich den Ölfilter beherbergt – befindet sich in einer Magnesiumwanne unterhalb des Motorgehäuses. Er ist zum Kurbelgehäuse hin geschlossen, jedoch zum Getriebe hin offen. Ein Ölkühler unterhalb des Wasserkühlers sorgt für effiziente Temperaturreduzierung.

Kühlsystem

Die im freien Bauraum zwischen den Zylinderbänken untergebrachte Wasserpumpe wird von einer zahnradgetriebenen Welle betätigt. Durch diese Einbaulage wird der Kühlkreislauf verkürzt, was ihn effizienter macht und das Motorengewicht reduziert.

Getriebe und Kupplung

Das Sechsganggetriebe wurde speziell für den Desmosedici Stradale entwickelt und verfügt über einen Gangsensor, der die optimale Bedienung durch das Ducati Quick Shift up & down-System sicherstellt.

Dieser Sensor erfasst die Position der Schaltwalze besonders präzise und garantiert, dass erst nach korrekt eingelegtem Gang der Kraftschluss zum Getriebe wieder hergestellt wird. Das verhindert übermäßige Belastungen der Zahnflanken beim Eingriff und lässt die Schaltvorgänge stets geschmeidig, präzise und schnell ablaufen.

Die hydraulisch betätigte Nasskupplung besteht aus elf Kupplungsreibscheiben und verfügt über einen progressiven Self-Servo-Mechanismus, der die Kupplungsscheiben unter Zug zusätzlich zusammenpresst und dadurch die vom Fahrer aufzubringenden Kupplungs-Bedienungskräfte verringert.

Die höhere Reibungseffizienz mündet ebenfalls in einem fahrerfreundlich leichten, sehr exakten Kupplungsgefühl. Der gleiche Mechanismus reduziert bei sportlicher Fahrweise über eine Slipper-Funktion den Druck auf die Kupplungsscheiben, wenn das Hinterrad im Schiebebetrieb ein entgegengesetzt gerichtetes Drehmoment (Rückdrehmoment) produziert. So wird unangenehmes Stempeln des Hinterrads beim aggressiven Runterschalten verhindert und die Fahrstabilität erhöht.

Lange Wartungsintervalle

Während die Performance des Desmosedici Stradale den Superquadro Zweizylindermotor deutlich übertrifft, bleiben die Intervalle für die Ventilspielkontrolle (Desmo Service) mit 24.000 km genau so lang und unverändert, wie jene für die normalen Wartungsarbeiten: Alle 12 Monate oder nach 12.000 km Laufleistung.

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