29. November 2024: Ein schwarzer Tag für die KTM AG
Unter Diplomingenieur Stefan Pierer, der am 25. November 68 Jahre alt wurde, wuchs die Pierer Mobility AG in den vergangenen Jahrzehnten zum größten europäischen Motorradhersteller, 2023 wurden mit den Marken KTM, Husqvarna, GASGAS, CFMOTO und MV Agusta rund 382.000 Motorräder verkauft.
Der Oberösterreicher hat 1992 die damals insolvente KTM-Motorradfabrik gekauft, seither ging es meistens bergauf. Die Belegschaft wurde von anfänglich 150 Mitarbeitern auf über 6000 in den besten Zeiten gesteigert.
Die Finanzkrise 2008 hat KTM, auch dank staatlicher Unterstützung, mit einem blauen Auge überstanden und die Corona-Krise 2020/2021 auf bewundernswerte Weise bewältigt. 2022 wurde das Rekordjahr 2018 übertroffen, 2023 gelang das erneut.
Zum 31.12.2023 waren insgesamt 6184 Mitarbeiter in der Pierer-Gruppe beschäftigt, davon rund 5000 in Österreich. Das Geschäftsjahr 2023 stand ganz im Zeichen einer großen Modelloffensive mit insgesamt 72 neuen und überarbeiteten Modellen der drei Kernmarken: Mit 280.206 verkauften Motorrädern von KTM, 67.462 von Husqvarna und 29.532 von GASGAS. Mit zusätzlich abgesetzten Bikes von MV Agusta (1852) und CFMOTO (2503) konnte Pierer Mobility einen Gesamtabsatz von 381.555 Motorrädern (2022: 375.492 Stück) erzielen.
Die prognostizierten Absatzmengen für 2024 mussten mehrfach nach unten korrigiert werden. Am 21. Oktober 2024 teilte Pierer Mobility mit: «Die schwierigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen halten länger an als angenommen. Die europäische Wirtschaft stagniert, wobei sich insbesondere der wichtige deutsche Markt in einer Rezession befindet. In den USA ist die Kaufkraft der Konsumenten aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten und infolge der langen Phase teurer Konsumkredite weiterhin niedrig. In Europa liegen die Zulassungsdaten für den Motorrad-Gesamtmarkt von Jänner bis September 2024 durch Anstiege im Niedrigpreissegment auf Vorjahresniveau; sie zeigen jedoch eine abschwächende Dynamik.»
2024 kamen mehrere Entwicklungen zusammen, die sich für die Pierer-Gruppe verheerend auswirkten und möglicherweise nicht früh genug erkannt wurden: Zur in vielen Ländern hohen Inflation kamen in Österreich steigende Kosten für Löhne, Produktion und Kredite hinzu – außerdem ging der Absatz deutlich zurück.
Darauf war das Unternehmen nicht ausreichend vorbereitet und die Produktion wurde nach 2023 nicht schnell genug zurückgefahren. Zehntausende Motorräder stehen unverkauft in den Läden und die Zahlungsziele der Händler mussten verlängert werden.
Am 26. November erreichte uns die Hiobsbotschaft, die die Motorradindustrie und den Standort Österreich erschütterten. Die KTM AG, welche für 95 Prozent des Umsatzes der Pierer Mobility sorgt, teilte mit: «Das Management geht davon aus, dass es nicht gelingen wird, die notwendige Zwischenfinanzierung zeitgerecht sicherzustellen. Daher hat der Vorstand der KTM AG den Beschluss gefasst, am 29. November 2024 den Antrag auf Einleitung eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung über das Vermögen der KTM AG und ihrer Tochtergesellschaften KTM Components GmbH und KTM F&E GmbH einzureichen.»
Die Redimensionierung der Produktion soll dazu führen, dass der Lagerüberbestand bei KTM und seinen Händlern in den kommenden zwei Jahren angepasst wird. Dadurch wird es in den Jahren 2025 und 2026 zu einer Reduzierung der Betriebsleistung an den österreichischen Standorten im Ausmaß von insgesamt über einer Milliarde Euro kommen – zirka ein Viertel der zeitweise über 6000 Angestellten verlor oder verliert den Arbeitsplatz.
Aufgrund des Restrukturierungsprozesses ergibt sich ein zusätzliches Verlustpotenzial, daher erwartet die Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2024 ein negatives Jahresergebnis nahe einer Milliarde Euro.
Stefan Pierer, CEO der KTM AG: «Wir sind in den letzten drei Jahrzehnten zu Europas größtem Motorradhersteller gewachsen. Millionen von Motorradfahrern auf der ganzen Welt begeistern wir mit unseren Produkten. Die Marke KTM ist mein Lebenswerk und dafür kämpfe ich. Die Kernaktionäre stehen zu KTM sowie zur Pierer Mobility und ihrer Börsennotierung. Das Ziel ist klar: KTM soll gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervorgehen.»
Seit September 2024 ist Gottfried Neumeister als Co-CEO neu im Vorstand. «Er hat beeindruckende Erfahrung und viel frischen Wind mitgebracht und wesentlich zur Aufarbeitung der aktuellen Lage beigetragen», lobt Pierer. «Ich bin davon überzeugt, dass er gemeinsam mit mir das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur führen wird.»
Medienberichte, wonach Mark Mateschitz, dem 49 Prozent der Firma Red Bull gehören, als Investor einsteigt, wurden am 22. November seitens Pierer Mobility dementiert.
Der 29. November 2024 ist ein schwarzer Tag für die KTM AG – aber auch ein Tag der Hoffnung, dass die Firma, und damit mehrere Tausend Arbeitsplätze, gerettet werden kann.