Mit Tempo 200 über den Lausitzring

Von Heidrun Seidel
Kevin Günther-Singh mit Physiotherapeutin Jeanette Völker und Rennfahrer Steve Mizera.

Kevin Günther-Singh mit Physiotherapeutin Jeanette Völker und Rennfahrer Steve Mizera.

Ein Traum wurde wahr: Kevin Günther-Singh, der an Muskeldystrophie erkrankt ist, fuhr mit Rennfahrer Steve Mizera auf dem EuroSpeedway Lausitz.

Kevins beinahe schwarzen Augen glühen begeistert. Der 16-jährige Cottbuser Schüler ist im Porsche 911 GT 3 mit Tempo 200 über den Lausitzring gerast. Auch wenn er davon geträumt hatte, hätte er sich das doch nicht träumen lassen. Denn: Kevin sitzt im Rollstuhl und kann fast nur noch die Finger bewegen.

Die Männer in den rotgelben Overalls sind nervös. Gleich werden sie Helme aufsetzen, in Rennwagen steigen, Motoren aufheulen lassen und hitzige Runden auf dem Lausitzring bei Klettwitz (Oberspreewald-Lausitz-Kreis) drehen. Auch wenn sie jetzt wie Profis aussehen, sie sind es nicht. Die Gutscheine für den Nervenkitzel sind ein Geschenk, das ihnen Familie, Freunde oder sie sich selbst gemacht haben. Das Team von TopSpeed Racing um Gerd Schwenk, Partner des Eurospeedway Lausitz, wird sie ihnen einlösen. So lange laufen sie aufgeregt auf und ab.


Der Puls steigt
Kevin Günther-Singh würde es ebenso machen. Seit der 16-Jährige vor wenigen Minuten erfahren hat, dass er im Auto auf die Rennstrecke darf, steigt sein Puls. Doch während die Männer auf und ab laufen, kurvt er mit seinem Elektrorollstuhl im Fahrerlager hin und her. Das also ist es, weiß er jetzt. Schon seit Tagen waren die alle so komisch wegen dieses Wandertages. Jeanette Völker (35) erklärt, warum: «Der Wandertag sollte für Kevin eine Überraschung werden. Mehr haben wir ihm nicht gesagt.»

Die junge Frau ist Physiotherapeutin an der Spreeschule in Cottbus, einer sonderpädagogischen Einrichtung mit dem Förderschwerpunkt «geistige Entwicklung». Sie hat die Überraschung für Kevin eingefädelt. Sein Zimmer in der Wohnstätte der Cottbuser Lebenshilfe erzählt von seinen Träumen. Autoposter an den Wänden, Autos überall. «Ich weiss, dass es Kevins Traum ist, in einem Rennauto mitzufahren, und so habe ich einfach beim Lausitzring angefragt, ob das geht.» Dort findet sie Gehör. Rennstrecken-Pressesprecher Andreas Groebe: «Kevins Geschichte hat uns bewegt - und da haben wir die Bitte an unseren Partner, die TopSpeed Racing aus Baden-Württemberg, weitergeleitet. Die hat sofort zugesagt.»

Noch vor einigen Jahren hat Kevin wie andere Kinder gespielt und ist mit ihnen um die Wette gelaufen. In der Grundschulzeit brach dann jedoch die Muskeldystrophie aus. Bei dieser Krankheit schwinden die Muskelfasern und werden durch Fett- oder Bindegewebe ersetzt. Damit verliert die Muskulatur und mit ihr der ganze Körper an Stabilität. «Mit vielfältigen physiotherapeutischen Übungen sollen die vorhandenen Fähigkeiten gestärkt und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt werden», erklärt Jeanette Völker. Doch das ist nur begrenzt möglich, Heilung nicht in Aussicht. So ist Kevin bei allen Aktivitäten auf Hilfe angewiesen. Seinen Rollstuhl steuert er noch mit den Fingern, doch schon die Arme kann er nicht heben, den Kopf nicht allein halten. Dennoch verliert er nicht den Mut, ist ein Teenager wie die acht anderen Mädchen und Jungen in der Klasse auch, manchmal widerspenstig, manchmal aufmüpfig. Seine Physiotherapeutin bewundert ihn: «Er jammert nicht, riskiert eher mal die große Lippe.»


Kevin im Porsche
Nun aber geht ihm doch die Muffe. Ein Skoda-Flitzer steht bereit, mit 200 PS. «Wir fangen erst mal mit 60 an», drosselt Kevin vorsorglich mit Worten die Geschwindigkeit. Markus Glanz fährt das Renntaxi und beruhigt den Jungen: «Du hast das Sagen.» Mühevoll hieven vier Betreuer den Jungen auf den Beifahrersitz und zurren ihn fest. Doch das ist Jeanette Völker nicht sicher genug: «Beim Beschleunigen und Bremsen kann er nicht mit dem Körper mitgehen, wie wir das tun.» Kurzer Entschluss: Zivi Roland Gawrisch (21) fährt mit. Kevin mag ihn. Mit ihm kann er immer über Autos reden. Roland stützt Kevin von hinten. «So ist der Alltag. Einen einfachen Weg gibt es bei uns nicht, wir müssen immer improvisieren», sagt Jeanette Völker.

Die erste Runde geht das Racing-Team auf Zeit langsam an. Doch schon bald rast das Auto an den Boxen, von wo aus Klassenkameraden und Lehrer das Schauspiel gespannt verfolgen, wie ein Pfeil vorbei. «Schneller», hat er gesagt, erzählt hinterher schmunzelnd Markus Glanz. Die 180 km/h haben Kevin Spaß gemacht. Noch will er aber den Rennanzug nicht ausziehen: Der Porsche lockt: Mit seinen 415 PS soll er 335 km/h schaffen. wenn auch nicht auf dieser Strecke, sagt Profi-Rennfahrer Steve Mizera, der ihn lenkt.

Ob sich Kevin traut? Und ob. Noch einmal die beschwerliche Prozedur des Ein- und Aussteigens. Diesmal kann Roland nicht mit, kein Platz für einen dritten Mann. Da muss Kevin allein durch. Hat schließlich einen erfolgreichen Motorsportler an seiner Seite. Start. Als sich nach einigen Minuten die Porschetür wieder öffnet, sagt Kevin nur ein Wort: «200!!!» …Seine dunkelbraunen Augen strahlen, und es ist, als würden sie die Welt überglücklich umarmen. Quelle: Lausitzer Rundschau

«So ist der Alltag: Einen einfachen Weg gibt es nicht.» Jeanette Völker, Physiotherapeutin.

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