Im MotoGP-Sprint in Jerez krachte es ständig

Formula E: Langsam kapier ichs!

Von Werner Jessner
Erster E-Prix-Sieger 2024: Pascal Wehrlein, Porsche.

Erster E-Prix-Sieger 2024: Pascal Wehrlein, Porsche.

Formel E ist wie American Football: Man braucht ein wenig, bis man reinkommt. Aber dann ist es einfach, Feuer zu fangen.

Preisfrage (und jetzt nicht schummeln oder nachschlagen): Wer war Formel-1-Weltmeister 1960, auf welchem Auto und wie viele Rennen hatte die WM? Korrekte Antwort: Jack Brabham auf Cooper, und die WM umfasste 10 Stationen. Austragungsorte wie Monaco oder Spa hatten längst noch nicht den heutigen Nimbus, und Strecken wie jene in Buenos Aires oder Boavista/Portugal waren ziemlich vogelwild. Im zehnten Jahr ihres Bestehens war die Formel 1 noch weit weg von dem, womit wie sie heute assoziieren.

Im Vergleich dazu ist die Formel E, deren zehnte Saison gestern in Mexiko begonnen hat, schon verdammt weit. Das Stadion, Herz der Strecke Autódromo Hermanos Rodríguez, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Kommentator Andi Gröbl, für ServusTV live vor Ort, musste schon vor Rennstart schreien, um sich verständlich zu machen. 27.000 Zuschauer vor Ort wollten sich das Spektakel nicht entgehen lassen, darunter Stars wie Usain Bolt, noch immer schnellster Mann der Welt auf zwei Beinen. 27.000 Zuschauer: So viel hätten so einige Fußballspiele gern.

Was uns zu einem interessanten Punkt bringt: Zuschauer benötigen Zeit, um neue Sportarten zu erlernen, sich damit zu identifizieren und vom Zuschauer zum Fan zu werden. Nehmen wir Fußball/Football: Ersteres ist in Europa seit Jahrzehnten riesig, und langsam, langsam kommen die Amerikaner drauf, dass das, was in den USA immer ein Mädchen-Sport war, eventuell doch mehr kann. Soccer kommt in Amerika an, genau wie die Formel 1. Und umgekehrt: War American Football in Europa für viele ein spanisches Dorf, undurchschaubar und wild, gewinnt diese Sportart zusehends auch in Europa Traktion. Das liegt auch daran, dass Massenmedien wie Netflix Helden aufbauen und Hemmschwellen niederreißen. Wenn Guenther Steiner in „Drive to Survive“ flucht wie ein Bierkutscher kapiert das der US-Zuschauer, genau wie wir Europäer die Herausforderungen der NFL verstehen, wenn Patrick Mahomes trotz kaputten Sprunggelenks in der Super Bowl spielt und Netflix in «Quarterback» hautnah dabei ist.

Kommunikation

Ganz viel Faszination am Sport liegt im Fachwissen. Hier hat die Formel 1 einen riesigen Vorteil, weil sehr gute Journalisten seit Jahrzehnten nichts anderes machen als sie kompetent und bis in alle Details zu erklären. Wenn heute Zehnjährige über DRS und KERS referieren können, liegt das an der guten Vorarbeit, die in der F1 seit langen Jahren passiert. In der Formula E ist da noch einiges an Arbeit zu tun.

Gerade gestern, bei der Saison-Premiere in Mexiko, werden viele Zuschauer, die nun via ServusTV  zum ersten Mal live dabei waren, gar nicht so unglücklich gewesen sein, dass es im  Rennen selbst recht gesittet zuging. Welcher Fahrer gehört zu welchem Team, warum sieht die Lackierung von Porsche aus wie von Milka, warum sind Jaguar nicht british racing green, und sind die papayafärbigen Autos echt McLaren? Dann etwas, das wir den „Super-Mario-Moment“ nennen wollen: Fahrer können einen Energie-Boost nutzen, wenn sie auf der Außenseite der Kurve über Sensoren fahren. Meist verlieren sie dadurch einen Platz, stürmen dann aber dank 50 Extra-kW für ein paar Minuten daher wie die Teufel. Wer das wann und wie einsetzt, ist für den Zuschauer-Neuling nicht einfach zu verstehen. Neo-Komentator Daniel Abt auf ServusTV hat bei seiner Bildschirm-Premiere einen Bombenjob gemacht, um uns diese Besonderheiten so logisch und selbstverständlich zu erklären wie einen Boxenstopp in der Formel 1.

Wohltuend: Es gibt keine Keppeleien bezüglich Track-Limits, es wird dank eines Low-Downforce-Konzepts und harten Reifen emsig überholt, und der Dummy Grid, bei dem die Fahrer mit qualmenden Reifen auf die eigentliche Startposition vorfahren ist 100 mal unterhaltsamer als noch die beste Aufwärmrunde in der Formel 1. An den einheitlichen Chassis stört höchstens das Spaltmaß eines alten Renault 5. Verwirrend für Deutschsprachige: Wenn im Onbord-Display bei bestem Wetter „REGEN“ aufleuchtet und man noch nicht weiß, dass damit Regenerieren von Energie gemeint ist. A propos: Dass der fehlende Sound ein Kritikpunkt sein soll, ist wenig nachvollziehbar. In der heute so verklärten Schumacher-V10-Ära haben nicht wenige Rennfahrer hinter vorgehaltener Hand über Tinnitus geklagt, und für uns Zuschauer war das infernalische Jaulen auch nicht ausschließlich angenehm. Formula E klingt wie eine Carrera-Rennbahn auf Steroiden, und dank des Summens erkennt das geschulte Ohr präzise, welcher Fahrer wo vom Gas geht und durch lift and coast Energie rekuperiert – was wiederum Rückschlüsse auf die Strategie zulässt.

Wer sich ohne Ressentiments auf die Formula E einlässt, entdeckt eine interessante, komplexe Spielart des Motorsports, in die es sich genauso zu vertiefen lohnt wie in American Football oder andere noch fremde Sportarten. Formula E verlängert die Renn-Saison für uns Fans. Im Januar ist ja wirklich noch nicht viel los, und hier bekommen wir gleich drei WM-Läufe zu Jahresbeginn präsentiert. Weiter geht’s nämlich schon übernächstes Wochenende mit dem Diriyah E-Prix.

Nein, Formula E kann und soll man nicht mit der Formel 1 vergleichen. Fußball ist nicht Football. Aber man kann sich völlig problemlos parallel für beides interessieren.

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