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Wohin treibt es dich, Valentino Rossi?

Kolumne von Manuel Pecino
Versagt? Frustriert? Ein Übergangsjahr? Wie würdet Ihr die Saison von Valentino Rossi beurteilen? War es der beginnende Abstieg des Mega-Champions oder nur ein kleiner Rückschritt, um neuen Schwung zu holen?

Wenn man die Konkurrenzfähigkeit von Valentino Rossi, der größten Ikone des Motorradsports, in Frage stellt, dann setzt man sich zwangsläufig einer Lawine der Kritik von Seiten seiner unzähligen Fans aus. Damit muss man jedoch rechnen, wenn man über ein Thema schreibt, das so stark mit Emotionen und Leidenschaft aufgeladen ist. Lang lebe die Diskussion!

Zunächst muss geklärt werden, warum Valentinos Saison als Fiasko betrachtet werden muss. OK, vielleicht kann man diese Aussage etwas abschwächen, indem man Fiasko durch Enttäuschung ersetzt. Doch egal wie man es umschreibt, die Realität bleibt dieselbe. Rossi kehrte mit der Überzeugung zu Yamaha zurück, dass er, nach der langen Dürre bei Ducati, wieder konkurrenzfähig sein würde. Wie man in dieser Saison sehen konnte, war dies nicht der Fall. Aber wir sollten chronologisch vorgehen: Wir fangen in der Yamaha-Box an, in die Valentino zurückkehrte.

Als Valentino in sein «Zuhause» zurückkehrte, befand er sich in einer anderen Situation als früher. Diesmal stand er bei seiner Ankunft im Schatten des mittlerweile zweifachen MotoGP-Weltmeisters Jorge Lorenzo. Valentino war deswegen jedoch nicht besonders besorgt, da er überzeugt war, dass er, mit der Hilfe seines Teams, schnell wieder an die Spitze kommen würde. Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht. In Wahrheit erreichte er den vierten WM-Rang eher durch die Abwehr des WM-Fünften als durch den Kampf um den dritten Platz. Das behaupte nicht nur ich, denn dies wurde auch von Rossis gefeuertem Crew-Chief Jeremy Burgess bestätigt. Schlussfolgerung: Die Saison 2013 lag im Hinblick auf Leistung und Resultate weit unter den Erwartungen.

Die zwei Theorien

Nun ist es Zeit, die große Frage zu stellen: Warum scheiterte Valentino Rossi? Diese führt zwangsläufig zu anderen: Ist es möglich, das 2013 erlebte zu ändern? Ist Rossi an diesem Punkt seiner Karriere noch in der Lage, seinen Fahrstil zu recyceln? Hat Valentino noch genug Zeit, um wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren? Über diese Fragen habe ich mit vielen Menschen, wie Kollegen, Technikern, Fahrern und Leuten aus Rossis Umgebung, gesprochen, diskutiert und debattiert. Im Grunde ergaben sich daraus zwei Theorien, welche die Gegenwart und Zukunft von Valentino Rossi erklären.

Die erste, die skeptische, lautet, dass für Rossi einfach die letzte Stunde als WM-Pilot geschlagen hat. Er ist also ein Opfer des erbarmungslosen Voranschreitens der Zeit. Das heißt einerseits, dass er einfach nicht mehr derselbe ist, und andererseits, dass die neue Generation auf einem Level fährt, das Rossi nicht mehr erreichen kann.

Die zweite Theorie rechtfertigt die Saison 2013 rein durch technische Aspekte. Das Bike wurde für Lorenzo entwickelt und ist weit von Rossis Bedürfnissen entfernt. Der Vorderreifen hält Rossi davon ab, seine großen Vorteile auf fahrerischer Seite auszuspielen. Welche dieser beiden Theorien ist nun die bessere und richtige? Die Zeit wird dies offensichtlich zeigen, aber wenn man die verschiedenen Argumente untersucht, kann man vielleicht in die Zukunft blicken.

Die Bürde des Alters

Valentino Rossi ist 34 Jahre alt, wenn die neue Saison startet, zählt er bereits 35 Lenze. Wenn man die Champions der Königsklasse betrachtet, dann stellt man fest, dass es in den letzten 15 Jahren keinen Weltmeister in diesem Alter gab. Mick Doohan kommt dem als Einziger nahe. Der Australier war 33, als er 1998 seinen fünften und letzten WM-Titel holte. Seitdem schaffte es nur Rossi selbst, mit über 30 Jahren Weltmeister zu werden.

Ich will nicht behaupten, dass man mit über 30 nicht mehr schnell sein kann oder nicht mehr siegfähig ist, aber es steht außer Frage, dass, über die Jahre hinweg, die Erfahrung schleichend den Platz des Wagemuts einnimmt. Wo einmal «Da will ich hin» war, ist dann oftmals nur noch «Ich warte auf eine weniger riskante Möglichkeit». Ein viermaliger Weltmeister erklärte mir dazu: «Wenn man jung ist, dann kann man mit fast allem gewinnen, wenn man erwachsen ist, braucht man ein gutes Bike. Wenn man sich bereits am Ende seiner Karriere befindet, muss man von den Besten umgeben sein und alles muss perfekt sein, um noch eine Chance auf den Sieg zu haben.» Nebenbei sei erwähnt, dass dieser Weltmeister von einem 17-jährigen Kind in den Ruhestand geschickt wurde, auf dessen Bike die Nummer 46 prangte.

Viele Theoretiker glauben, dass das Alter gnadenlos ist und nichts vergibt. Einige gehen sogar noch weiter. Sie behaupten, dass Valentinos Abstieg viel früher begann, nämlich im Jahr 2009, als er seinen bisher letzten Titel holte. Eine solche Aussage wirkt zunächst vielleicht überraschend und radikal, aber sie hat auch eine gute Begründung. Für jene war 2009 die erste Saison, in der Valentino Rossi nicht mehr der schnellste Fahrer in der Königsklasse war. Es war das Jahr der epischen Kämpfe mit dem jungen Jorge Lorenzo, der schnell lernte, wie er zum Schatten des Meisters werden kann. Es ist wahr, dass Rossi das Spiel in diesem Jahr gewann… «Ja, aber er gewann durch seine Erfahrung und weniger, weil er der Schnellste war. Das beste Beispiel dafür ist das Überholmanöver in der letzten Kurve von Barcelona, wo Rossi auf seine Erfahrung setzen musste, um seinen Teamkollegen zu schlagen. 2009 in Barcelona gewann Rossi nicht, weil er der Schnellste auf der Strecke war, sondern weil er der Schlauere war.»

Während Rossi diese Situation 2009 erfolgreich bewältigt hat, konnte er die Realität 2010 nicht mehr verschleiern. Lorenzo lag als Fahrer klar im Aufwärtstrend und lernte die Tricks des alten Fuchses. Er gewann zwei der ersten drei Rennen. Durch den Versuch, den Anschluss nicht zu verlieren, erlitt Valentino in Mugello den schwersten Sturz seiner Karriere. Für die Verfechter der «Alters-Theorie» starb der «immer siegreiche» Valentino Rossi an diesem Tag. Und wie wir nun wissen, hat er es auch vier Jahre später noch nicht geschafft, wieder der siegreiche Rossi zu sein.

Einige vermuten nun, dass Rossi, der 2013 um den vierten WM-Rang kämpfen musste, in der nächsten Saison durch Rookie Pol Espargaró und die Einführung der Open-Klasse wohl um den sechsten Platz bangen muss. Puh, das klingt harsch, oder?

Zwei Jahre in der Hölle

Nachdem die Totengräber zu Wort kamen, folgen nun die Äußerungen der Menschen, die rein technische Probleme für Rossis enttäuschende Saison 2013 verantwortlich machen.

Rossis zweijähriges Auswärtsspiels bei Ducati bedeutete natürlich, dass er in der Yamaha-Box ein anderes Bike vorfand als 2010. In diesen beiden Jahren entwickelte sich die M1 von seinem aggressiven Fahrstil weg, vor allem beim Bremsen, hin zum fließenden Stil von Lorenzo. Sein Fahrstil basiert darauf, das Bike rollen zu lassen und der Theorie zu folgen «je weniger ich bremse, desto weniger muss ich später Gas geben.»

Für den ersten Test 2013 nutze Rossi also ein Bike mit Lorenzos Set-up. Doch, wie Jerry Burgess erklärte, traf er sofort die Entscheidung, die M1 zu verändern und seine eigene Maschine zu erschaffen. Er machte das entgegen Burgess‘ Rat. Er begann, die 2013er M1 zur 2009er M1 umzubauen und fuhr sie damit gegen die Wand. Das geschah, weil das Konzept des Bikes einerseits zu hundert Prozent von Lorenzo kam und andererseits Rossis Fahrstil nicht zum neuen Bridgestone-Vorderreifen passt.

Koichi Tsuji, Chefingenieur des M1-Projekts, erklärte im Hinblick auf die technischen Charakteristika von Lorenzos M1: «Wenn man mich fragt, wie Jorges Maschine ist und welche man für Valentino erschaffen müsste, dann würde ich sagen, dass ich es nicht weiß. ‹Valentinos Bike› oder ‹Jorges Bike› werden immer das Resultat der Entwicklungsarbeit sein, die bei diesen Maschinen auch an einem gewissen Punkt endet.»

Tatsache ist, dass Rossi den Großteil der Saison von der 2009er M1 besessen war. Erst zur Saisonmitte erkannte er, dass sich die Dinge geändert hatten. «Seit Aragón haben wir einen Schritt nach vorne gemacht, was die Entwicklung des Bikes betrifft», erklärte Jeremy Burgess in einem Interview, in dem er über seinen Fahrer sprach, wie noch nie zuvor. Ein Interview, in dem klar wurde, dass die Magie zwischen Fahrer und Techniker nun Geschichte war. «Im MotorLand Aragón fuhr Rossi dann mit dem Bike, das er brauchte, und nicht mit dem, das er wollte.» Klare Aussage.

Die Erklärung für Rossis Probleme mit Bridgestones neuem Vorderreifen war ebenfalls «grausam ehrlich». «In der Zeit, die er nicht bei Yamaha verbrachte, veränderte sich viel. Auch die Art, wie man mit dem neuen Bridgestone-Vorderreifen fährt. Das Set-up, das wir 2008, 2009 und 2010 verwendet haben, funktioniert mit diesem Reifen nicht. Vielleicht haben wir zu lange gebraucht, um eine zufriedenstellende Lösung zu finden.» Burgess sprach in der ersten Person Plural, aber im Laufe unseres Gesprächs wurde klar, dass es Rossi und nur Rossi war, der einer Linie folgte, mit der Burgess nicht einverstanden war. «Die Einführung des neuen Reifens kam, als wir bei Ducati waren. Zu dieser Zeit sagte ich ihm, dass Bridgestone einen Reifen vorschlägt, der nicht zu seinem Fahrstil passen wird. Doch bei Ducati spielte das keine Rolle, denn unsere Probleme waren größer als der Reifen. Am Ende stimmte Valentino also für den neuen Reifentyp.»

Immer mit Verspätung

Wenn man die letzte Saison betrachtet, dann kann man der Darstellung von Burgess klar folgen. Schwache Darbietungen in den Trainings bedeuteten für Rossi schlechte Startplatzierungen und eine zu langsame Pace in den ersten Runden. Dies brachte ihn bereits in der Anfangsphase jedes Rennens um seine Siegchancen. In einigen Rennen fuhr Rossi in den letzten Runden die Zeiten der Führenden, doch dann war es viel zu spät. Mit anderen Worten: In diesem Saisonabschnitt wandte Rossi seine bewährte Strategie an, mit der er in der Vergangenheit siegte, ohne zu realisieren, dass sich die Zeiten geändert hatten. Zur Saisonmitte erkannte er seinen Fehler dann. In einem Gespräch in Barcelona erklärte Rossi seinem früheren Rivalen Alexandre Barros, dass Pedrosa, Lorenzo und Márquez «verrückt sind»: «Sie pushen ab der ersten Kurve hundert Prozent. Es ist nicht wie zu unserer Zeit, als man während des Rennens aufholen konnte.» Einen schlechten Start zu haben, aufzuholen, einige Runden vor Schluss an die Spitze zu gehen und zu siegen, war nicht länger möglich.

Nachdem Rossi verstanden hatte, dass sich die Dinge geändert haben, wusste er auch, dass er seine Pace verbessern muss. Sein neues Ziel waren nun gute Startplatzierungen und da zu sein, wenn die Karten in der Anfangsphase auf den Tisch gelegt werden. Sepang ist das beste Beispiel für diese zweite Phase der Saison 2013. Auf einer seiner Lieblingsstrecken schaffte es Valentino, sich auf Platz 2 zu qualifizieren, aber… «Nach vier Runden wurde die Temperatur der Bremsen zu hoch», erklärte Burgess. «In dieser Situation war er gezwungen, langsamer zu machen und so verlor er den Kontakt zur Spitzengruppe. Er hätte die erste Runde nicht als Vierter beenden dürfen. Wenn man sich als Zweiter qualifiziert, dann sollte man auch Zweiter bleiben. Er hat große Konkurrenz und das verlangt eben von Anfang an das Maximum. Man kann keine Energie verschwenden, um die verlorenen Positionen wieder aufzuholen. Es gibt Dinge, in denen die junge Generation sehr gut ist: in der Anfangsphase bereits sehr schnell zu sein.»

Es ist ziemlich deutlich zu sehen, dass Valentino Rossi in der vergangenen Saison «immer zu spät kam» und ein Gefühl der Hilflosigkeit ausstrahlte. Niemand kann sagen, dass Rossi nicht alles gegeben hätte. Es ist nicht der typische Fall eines Fahrers, der am Ende seiner Karriere nur noch rumfährt, um langsam vergessen zu werden. Nein, Valentino hat gekämpft, er hat es versucht und er war der erste, der von der mangelnden Konkurrenzfähigkeit frustriert war. Trotzdem muss man bedenken, dass wir über den viertschnellsten Piloten der Welt sprechen. Genau diese Enttäuschung und sein Wille, die Situation zu ändern, führten zu seiner überraschenden Entscheidung, sich von Jeremy Burgess zu trennen. Es ist klar, dass Burgess, auch im Hinblick auf seine Statements in dieser Kolumne, wohl nicht mehr auf Rossis Seite steht. Wenn Rossi wirklich glaubt, dass er wieder konkurrenzfähig sein kann, dann klingen Jerrys Worte zu endgültig oder wäre es fair zu sagen, dass sie realistisch sind? Die Antwort wird die Saison 2014 liefern.

Wie Rossi die Situation beurteilt

Die Menschen in Rossis direktem Umfeld erklärten mir während der Saison 2013, dass Valentino nie so besessen vom Rennsport war wie in diesem Jahr. Er hat seinen Job immer ernst genommen und professionell ausgeübt, aber er hat ihn kombiniert… mit lasst uns sagen einem alltäglicheren Lebensstil. Rossi wollte wieder konkurrenzfähig sein und dachte tausend und ein Mal darüber nach, wie er das bewerkstelligen könnte. Er war davon überzeugt, dass seine fahrerischen Fähigkeiten ausreichen, um mit Márquez, Lorenzo und Pedrosa mitzuhalten. Auch seinen Körper trainierte er mehr denn je und er stellte sein «soziales Leben» während der Saison zurück. «Valentino hat noch immer Spaß. Wenn man an etwas Spaß hat, und sei es nur Tennis, dann will man sich mit anderen messen», weiß Jerry Burgess. Gleichzeitig hat er jedoch noch eine Nachricht: «Es gibt Rivalen, die man schlagen kann, und andere, die man nicht schlagen kann, aber das hält einen nicht davon ab, Spaß zu haben. Es ist vielleicht nicht realistisch, noch mehr Titel zu erwarten, aber ich denke, dass Valentino noch einige gute Ergebnisse einfahren kann. Jeder Sportler in jedem Sport, der neun Titel gewonnen hat, steht nicht am Anfang seiner Karriere, sondern ist dem Ende näher.»

Vielleicht führte diese realistische Einschätzung zur Trennung von Rossi und Burgess. In seiner Obsession sich zu verbessern und konkurrenzfähig zu sein, nahm Rossi plötzlich Dinge wahr, die ihn zuvor nicht interessierten. Die Tatsache, dass in Jorge Lorenzos Box bis in die Nacht hinein intensiv gearbeitet wurde, wenn es nicht gut lief, und seine eigene Crew die Türen bereits am Nachmittag schloss, begann Rossi zu ärgern. Er fing an, zu vergleichen und ihm gefiel nicht, was er sah…

Vor einiger Zeit machte die Aussage Rossis Schlagzeilen, dass er nach der ersten Hälfte der nächsten Saison seine Lage beurteilen wird und dann über seine Zukunft entscheidet. Rossis Pressestelle gab sofort eine Erklärung heraus, die beteuerte, dass die Worte aus dem Kontext gerissen seien und er seinen aktuellen Vertrag noch um einige Jahre verlängern wolle. Beide Seiten hatten Recht.

Rossi weiß, dass die Teams über ihre Zukunft nach dem ersten Drittel der Saison entscheiden. Ein Drittel der 18 Grands Prix bedeutet sechs Rennen. Zum jetzigen Zeitpunkt, nachdem die Saison 2013 analysiert wurde, kennt Rossi seine neue Situation: Mit Márquez mitzuhalten ist unmöglich; mit Lorenzo ist es wohl dasselbe. Sein Ziel für 2014 ist es, regelmäßig auf dem Podium zu stehen. Rossi vermutet, dass er nicht mehr Weltmeister werden wird, aber er will seine Karriere würdevoll beenden. Sein Vorbild ist Michael Schumacher, der sich nach der Saison 2006 ein erstes Mal aus der Formel 1 zurückzog, als er noch siegfähig war.

Rossi will seine Karriere bei Yamaha beenden und dafür einen letzten Vertrag unterschreiben. Doch er weiß, dass die Iwata Factory keinen Fahrer in der Box behalten kann, der nicht in der Lage ist, Lorenzo im Kampf gegen die Honda-Piloten zu unterstützen. Er weiß auch, dass seine Karriere vorbei ist, wenn er nach dem ersten Saisondrittel nicht konkurrenzfähig ist. Deshalb heißt es für Rossi in der Vorsaison und bei den ersten sechs Rennen: alles oder nichts. Das ist die Herausforderung 2014, die wohl «größte aller Zeiten».

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