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«Wenn du glaubst, du hast schon alles gesehen»

Von Guido Quirmbach
Der brennende Jet-Dryer nach dem Unfall

Der brennende Jet-Dryer nach dem Unfall

Das Daytona 500 erlebte einen der bizarrsten Unfälle, die es je im Rennsport gab. Der zeigte, dass es nichts gibt, was es nicht gibt.

Die Szene gab es schon bei tausenden Rennen von NASCAR oder IndyCar: Einer der Jet-Dryer, jene Pick-Up-Fahrzeuge mit einem Hubschraubertriebwerk auf dem Heck oder als Anhänger, die in den amerikanischen Ovalen zum Reinigen oder Trocknen des Asphalts eingesetzt werden, war nach einem Motorschaden eines Teilnehmers im Einsatz, um das Bindemittel von dem Kurs zu blasen.

Das Feld ist derweil unter Gelb hinter dem «Pace-Car» (Safety-Car). Eine solche Gelbphase bietet den Piloten die Möglichkeit zu Boxenstopps, auch ausserhalb der Routine-Stopps. Dafür sind die langen Ovale sehr gut geeignet, hinter dem Pace-Car braucht das Feld für eine Runde mehr als eineinhalb Minuten, das bedeutet mehr als eine Minute Reparaturzeit, bis man überrundet würde. Und das ist eigentlich vor der Endphase eines Rennens das einzige, was es zu vermeiden gilt, denn solange man in der gleichen Runde wie der Führende ist, hat man Siegeschancen, weil das Feld meist wegen Unfällen immer wieder zusammengeführt wird.

Auch Juan Pablo Montoya nutzte gestern eben jene Gelbphase zum Check des Autos. Der Kolumbianer beklagte Vibrationen im Heck. Crewmitglieder lagen unter dem Auto, konnten aber nichts feststellen. Montoya fuhr wieder raus, um sich hinten am Feld wieder anzustellen. Auf der Gegengeraden, «ich habe gerade in den vierten Gang geschaltet» so Montoya, sah man plötzlich Funken am Heck des Chevys, das Auto brach urplötzlich aus. «Erst fühlte es sich normal an, dann hörte ich was hinten, und dann ging es weg!» Der unkontrollierbare Chevrolet knallte direkt in die Turbine des Jet-Dryers. Es gab ein kleines Inferno, erst ein riesiger Feuerball um Montoyas Auto, der aber zum Glück direkt aus dem völlig zerstörten Fahrzeug aussteigen konnte. Auch der sichtlich geschockte Fahrer des Jet-Dryers blieb unversehrt. Und konnte zusehen, wie sich hunderte Liter des Flugbenzins auf die Strecke verabschiedeten und sich dann entzündeten.

Gut zehn Minuten dauerte es, bis das Flammenmeer gelöscht war, auf einen Brand gegen Flugbenzin waren die Posten auch nicht vorbereitet. Die Strecke wurde in rund zwei Stunden gereinigt, ein Teil erhielt sogar ein Pflaster aus neuem, schnell bindendem Asphalt. Die Geduld der Fans, die an diesem Wochenende sowieso arg strapaziert wurde, wurde dann noch mit einem packenden Finish belohnt.

Es gab keinen körperlichen Schaden, doch schrammte der US-Rennsport nach Dan Wheldons Tod im vergangenen Oktober an der zweiten Katastrophe innerhalb eines halben Jahres nur knapp vorbei. Montoya hat aber sicher recht, wenn er anschliessend twitterte: «Ich bin heute froh, dass ich die Strecke in einem Stück verlassen kann.»

Warum schreibe ich das so detailliert? Weil man niemandem einen Vorwurf machen kann. Montoya machte ebenso wenig einen Fehler wie der Fahrer des Jet-Dryers. Es war alles normal, wie immer. Eben die berühmte Verkettung unglücklicher Umstände. Und niemand hat je daran gedacht, was passieren kann, wenn…

Dieser Unfall ist aber auch wieder ein Beispiel, wie schwierig es ist, einzuschätzen, ob alles Menschenmögliche für die Sicherheit von Aktiven und Helfern getan wurde. Ich masse mir nicht an, dies zu beurteilen. Vielleicht wäre ein generelles Tempolimit unter «Gelb» auch bei NASCAR eine sinnvolle Massnahme. Andererseits würde dies den Ovalsport wieder um ein taktisches Element berauben. Mit dem Wissen, eben nicht mehr ans Ende des Feldes aufschliessen zu können, hätte Montoya den zusätzlichen Stopp wohl kaum gemacht. Dann wäre der Defekt, der zum Abflug in den Jet-Dryer führte, möglicherweise nach dem Re-Start bei 320 km/h mitten im Pulk aufgetreten. Wo auf der einen Seite etwas für die Sicherheit getan wird, erhöht man auf der anderen Seite das Risiko. Doch muss man auch positiv festhalten, dass trotz der Wucht des Aufpralls Montoya ebenso unverletzt aus dem Auto aussteigen konnte wie Jimmie Johnson aus seinem Wrack nach zwei Volltreffern in der zweiten Runde.

Sicherheit und attraktiven Motorsport auf ein Niveau zu bringen ist ein Balanceakt. Die Verantwortlichen müssen sich auch Szenarien vorstellen, die eigentlich unvorstellbar sind. Doch wenn sie auf alles im Sinne der Sicherheit reagieren, wird der gesamte Motorsport zukünftig nur noch aus Einzelzeitfahren auf ausgetrockneten Salzseen bestehen. Wenn er nicht gleich ganz abgeschafft wird.

NASCAR-Youngstar Brad Keselowski brachte es auf den Punkt: «Wenn du glaubst, du hast schon alles gesehen, kommt jemand und setzt noch einen oben drauf!»

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