VW Polo GTI R5: 2 Jahre Entwicklung, 10.000 km Test

Von Toni Hoffmann
Interview mit Gerard-Jan de Jongh, dem Projektleiter für den Polo GTI R5, zwei Jahre Entwicklungszeit vom Start bis zur Wettbewerbspremiere bei der Rallye Spanien im Oktober 2018.

Als Renningenieur führte er Sébastien Ogier von 2013 bis 2016 zu vier Titeln in der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC). Heute ist der Niederländer Gerard-Jan de Jongh bei Volkswagen Motorsport als Projektleiter für den Polo GTI R5 verantwortlich. Das 200 kW (272 PS) starke Rallyeauto wird künftig von professionellen Teams in der FIA Rallye-Weltmeisterschaft, in überregionalen Serien wie der FIA Rallye-Europameisterschaft oder auch in nationalen Championaten eingesetzt. Im Interview beschreibt der 40-jährige de Jongh kurz vor der geplanten Homologation am 1. Oktober die besonderen Herausforderungen des R5-Reglements. Außerdem gibt der studierte Ingenieur einen Überblick über die Entwicklungsschritte des Polo GTI R5 und schaut auf die Wettbewerbspremiere bei der Rallye Spanien Ende Oktober voraus.

Herr de Jongh, Sie waren jahrelang bei Volkswagen Motorsport Renningenieur von Sébastien Ogier. Vermissen Sie die Einsätze im Wettbewerb?
Gerad-Jan de Jongh (DJ): «Natürlich ist meine Tätigkeit als Projektleiter bei der Entwicklung eines völlig neuen Rallyeautos etwas ganz anderes. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, weiter als Renningenieur zu arbeiten, aber mich hat diese neue Herausforderung bei Volkswagen Motorsport sehr gereizt. Meine Aufgabe war plötzlich viel komplexer und vielschichtiger als zuvor. Ich bin froh, dass ich diese Herausforderung angenommen habe.»

Wann haben Sie mit der Entwicklung des Polo GTI R5 begonnen?
DJ: «In der Woche nach der Rallye Australien im November 2016, dem letzten WM-Lauf für unser damaliges WRC-Team. Ich habe nach der Rückkehr in meinem Büro angefangen. Die Idee kam von François-Xavier Demaison, dem Technischen Direktor von Volkswagen Motorsport.»

Demaison gilt als Perfektionist. Wie sehr war er in Ihre Arbeit eingebunden?
DJ: «FX (Anm.: der interne Spitzname von Demaison) ist für derzeit vier verschiedene Projekte verantwortlich. Trotzdem war er von Beginn an stark in die Entwicklung des Polo GTI R5 eingebunden. Von Anfang an haben wir wöchentliche Meetings gehabt, auf denen wir die Weiterentwicklung des Fahrzeugs besprochen haben. FX ist einer der erfahrensten Ingenieure im Rallyesport. Seine Rückendeckung hat mir und dem gesamten Entwicklungsteam sehr geholfen.»

Wie sahen die ersten Schritte bei der Entwicklung des Polo GTI R5 aus?
DJ: «Ich habe mir zuerst Gedanken über das Basiskonzept des Polo GTI R5 gemacht. Daraus entstand ein so genanntes Design-Briefing, also die Vorgaben für die Konstrukteure. Als Nächstes ging es darum, die richtigen Zulieferer für die Fahrzeugkomponenten zu finden, die nicht bei Volkswagen Motorsport gefertigt werden. In diesem Punkt konnten wir auf eine ganze Reihe bewährter Kontakte zurückgreifen, mit denen wir schon beim Polo R WRC zusammengearbeitet hatten. Dazu gehören Xtrac für das Getriebe, Bosch für die Motorelektronik, ZF Sachs für die Stoßdämpfer und Alcon für die Bremsen.»

Wie groß war das Team, das den Polo GTI R5 entwickelt hat?
DJ: «Wir haben bei Volkswagen Motorsport Designteams für Chassis, Motor und Radaufhängung mit je drei bis sechs Mitarbeitern. Die Arbeit wurde unter den Teammitgliedern aufgeteilt. Meistens hatte ich Kontakt zu den Abteilungsleitern, aber auch zu den Konstrukteuren. Meine Erfahrung ist, dass persönlicher Kontakt nicht zu ersetzen ist.»

Was waren die Eckdaten bei der Entwicklung des Polo GTI R5?
DJ: «Es war klar, dass der Polo GTI R5 auf der 2017er-Modellgeneration des Serienfahrzeugs basieren musste. Dieser neue Polo der sechsten Generation war aber noch gar nicht verfügbar, als wir mit der Entwicklung des Rallyeautos begannen. Daher mussten wir anfangs ausschließlich mit Computerdaten arbeiten. Wir hatten dank der Computersimulation relativ früh die Karosserie fertig, mit der wir dann im Windkanal gearbeitet haben. Außerdem haben wir bei der Festlegung der Spezifikation großen Wert darauf gelegt, dass die technische Betreuung des Polo GTI R5 auch von Privatteams problemlos zu beherrschen ist.»

Wie viele Komponenten konnten Sie vom Polo R WRC übernehmen?
DJ: «Fast gar keine, weil das technische Reglement komplett anders ist und der Polo R WRC auf dem Vorgängermodell basierte. Aber wir haben die Designphilosophie adaptiert. So sind die Einbaulage der Stoßdämpfer, der Federweg, die Geometrie der Radaufhängungen oder die Sitzposition des Fahrers ähnlich. Und genau wie beim Polo R WRC haben wir bei allen Komponenten das geringstmögliche Gewicht angestrebt, um den Fahrzeugschwerpunkt so niedrig wie möglich zu legen. Aber auch dabei setzt das Reglement Grenzen. Die Preisgrenzen von zahlreichen Teilen sind vorgegeben und häufig ist ein Mindestgewicht vorgeschrieben, beispielsweise für die Rohkarosse.»

Der Motorsportweltverband FIA gibt für die R5-Fahrzeuge einen festen Kostenrahmen vor …
DJ: «… dessen Einhaltung bei einem R5-Fahrzeug wie dem Polo GTI R5 tatsächlich eine große Herausforderung darstellt. Natürlich könnte man im Rahmen des technischen Reglements ein leistungsfähigeres Auto konstruieren. Aber das wäre zu teuer und müsste mit Verlust verkauft werden. Das kommt für unser Unternehmen nicht in Frage und wäre auch nicht im Sinne des Sports. Mit dem Golf GTI TCR haben wir bereits ähnliche Kundensport-Erfahrung  im Tourenwagen-Rennsport gesammelt. Darauf konnten wir für den R5 aufbauen. Zudem schreibt das Reglement in bestimmten Bereichen die Verwendung von Serienteilen vor. Dazu gehören Teile der Lenkung, des Kühlers, der Antriebswellen, der Kardanwelle und des Motors.»

Wo mussten Sie Kompromisse eingehen?
DJ: «Bei jedem Rennfahrzeug ist das Gewicht ein großes Thema. Aber je leichter ein Teil ist, umso teurer wird es in der Regel. Ich musste den Zulieferern, mit denen wir zusammenarbeiten wollten, also verständlich machen, dass wir einen Kompromiss aus Performance und Kosten eingehen müssen. Nehmen wir als Beispiel ein Teil der Radaufhängung. Wir haben dieses Teil, vereinfacht ausgedrückt, zu 90 Prozent konstruiert. Dann sind wir mit diesem Design zu den möglichen Zulieferern gegangen und haben sie gefragt: Für welchen Preis könnt ihr dieses Teil liefern? Wichtig war dabei die Stückzahl. Von Komponenten für den Polo R WRC haben wir manchmal nur eine Handvoll gebraucht. Beim Polo GTI R5, der ja für den Kundensport konzipiert ist, reden wir aber von 50, 100 oder sogar mehr Teilen. Das hat natürlich einen großen Einfluss auf den Preis.»

In der Kategorie R5 sind Turbobenziner mit 1,6 Liter Hubraum gefragt. Einen solchen Motor gibt es in der Serienversion des Polo aber nicht …
DJ: «In diesem Punkt gibt uns das Reglement mehr Freiheiten. Vorschrift ist, dass der Motor des Rallyeautos von einem Serienmodell des Konzerns abstammen muss. Wir haben uns für den Motor mit dem internen Code EA888 entschieden, der in ähnlicher Form mit zwei Litern Hubraum auch im neuen Polo GTI verbaut wird. Für den Einsatz im Polo GTI R5 wurde er dementsprechend modifiziert.»

Seit wann wird mit dem Polo GTI R5 getestet und welche Fahrer kamen dabei zum Einsatz?
DJ: «Die erste Testfahrt fand im November 2017 auf dem Testgelände im französischen Fontjoncouse statt. Seither haben Volkswagen Test- und Entwicklungsfahrer Dieter Depping, Pontus Tidemand, die ehemaligen Rallye-Weltmeister Petter Solberg und Marcus Grönholm, Raimund Baumschlager, Eric Camilli und Emil Lindholm das Fahrzeug gefahren. Das Testprogramm hatte es in sich: bei Temperaturen von -16 °C bis +40 °C; auf Meereshöhe und auf 2.800 Metern in den Bergen. Wir haben unter derart unterschiedlichen Bedingungen getestet, um sicherzustellen, dass unsere Kunden ein Fahrzeug bekommen, das immer und überall zuverlässig seine Leistung bringt. Zudem wollten wir die Meinung von Fahrern mit unterschiedlichen Fahrstilen sowie Asphalt- und Schotter-Experten einholen. Der Polo GTI R5 muss vielseitig sein und von einem möglichst breiten Spektrum von Fahrern beherrscht werden. Insgesamt werden wir bis zur Wettbewerbspremiere rund 10.000 Test-Kilometer absolviert haben, jeweils etwa die Hälfte auf Schotter und auf Asphalt, sowie auch ein wenig auf Schnee und Eis.»

Bei der Rallye Spanien, dem vorletzten Saisonlauf zur FIA Rallye-Weltmeisterschaft, wird der Polo GTI R5 Ende Oktober seine Wettbewerbspremiere feiern. Was sind Ihre Erwartungen?
DJ: «Wir werden zwei Polo GTI R5 einsetzen, um das Potenzial des Fahrzeugs aufzuzeigen. Ziel ist es, die Konkurrenzfähigkeit des neuen Polo GTI R5 auf höchstem Niveau und auf unterschiedlichen Fahrbahnbelägen unter Beweis zu stellen. Das geht beim spanischen WM-Lauf besonders gut, weil er als einziger in der WM sowohl auf Asphalt als auch auf Schotter ausgetragen wird. Allerdings wissen wir aus der Zeit mit dem Polo R WRC in der FIA Rallye-Weltmeisterschaft auch sehr gut, dass eine gute Planung besonders im Rallyesport keine guten Ergebnisse garantieren kann. Über eine vordere Platzierung in der WRC2 würden wir uns jedenfalls freuen.»

Für Volkswagen steuern bei der Rallye Spanien mit Eric Camilli und Petter Solberg zwei erfahrene Piloten den Polo GTI R5. Warum haben Sie diese beiden ausgewählt?
DJ: «Eric Camilli und sein Beifahrer Benjamin Veillas haben bei der Entwicklung des Polo GTI R5 eine entscheidende Rolle gespielt. Beide haben große Erfahrung in der Kategorie WRC2 der FIA Rallye-Weltmeisterschaft, sie waren 2017 Gesamtzweite in dieser Klasse. Dass sie bei der Wettbewerbspremiere des Polo GTI R5 dabei sind, ist der logische nächste Schritt. Außerdem schätzen wir sie wegen ihres detaillierten Feedbacks und ihrer analytischen Herangehensweise. Auch Petter Solberg war in die Entwicklung des Polo GTI R5 eingebunden. Er gehört zu den erfahrensten Rallyefahrern der Welt, dessen Wissen für jedes Team ein Gewinn ist. Außerdem ist er Volkswagen Motorsport durch das Engagement seines Teams in der FIA Rallycross-Weltmeisterschaft (WRX) verbunden. Es ist schon eine besondere Ehre und tolle Sache zugleich, dass er den Polo GTI R5 bei der Rallye Spanien fahren wird.»

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