McLaren-Honda: Die Gründe für die bisherige Blamage

Von Mathias Brunner
Ein Alptraumstart in die Saison: McLaren-Honda in Australien mit nur einem Wagen am Start und ganz hinten, Totalausfall in Malaysia. Vier Journalisten auf der Suche nach Erklärungen.

Die Leitthemen der Formel 1 in der noch jungen Saison: Mercedes bleibt WM-Favorit, sensationeller Ferrari-Sieg von Sebastian Vettel in Malaysia – und McLaren-Honda isst verdammt hartes Brot. Die SPEEDWEEK.com-Mitarbeiter Luis Vasconcelos (Portugal), Tony Dodgins und Eric Silbermann (beide England) sowie Mathias Brunner haben in Sepang über die Misere diskutiert. War ein so schwieriger Saisonbeginn wirklich zu erwarten?

Mathias Brunner
Das grundlegende Problem sind die Erwartungen. Jeder weiss, welch fabelhaften Ergebnisse McLaren-Honda Ende der 80er und Anfangs der 90er Jahre erzielt hat. Das ist noch immer in den Köpfen der Fans verankert. Es hat in diesem Zusammenhang nicht geholfen, wenn das Team selber von GP-Siegen spricht, und dies nach dem jämmerlichen Testwinter. Zu einem gewissen Mass habe ich Verständnis für die vollmundigen Aussagen. Wir reden hier von McLaren-Honda und nicht von einem Hinterbänkler-Team. Da kannst du dich schlecht hinstellen und sagen: «Im ersten Jahr sind wir happy, wenn es Punkte gibt.» Aber man hätte wissen müssen: im November 2014 in Abu Dhabi lief überhaupt nichts zusammen, im Februar und März in Spanien 2015 ging es kaum besser. Da muss man vielleicht eine andere Wortwahl treffen. Wenn dann in Australien und Malaysia die Ergebnisse schlecht sind, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Fans enttäuscht sind. Renault und Ferrari hatten beim Schritt in die neue Turbo-Ära auch ihre Probleme. Ich habe schon erwartet, dass auch Honda Schwierigkeiten haben würde. Aber nicht ganz so dramatische.

Luis Vasconcelos
Beim Thema Erwartungen kommt es immer aufs Timing drauf an. Wie Mathias richtig sagt – wenn sich Honda und McLaren zusammentun, dann wird Grosses erwartet. Aber die Leute haben ein kurzes Gedächtnis. Schon der letzte V8-Saugmotor der Japaner war jetzt nicht eben Klassenbester. Viele haben auch vergessen: McLaren hat seit drei Jahren kein exzellentes Chassis gebaut. Wir haben die Tendenz, die Vergangenheit ein wenig zu verklären. Bei McLaren-Honda denken wir alle an die ruhmreiche Vergangenheit vor zwanzig Jahren und vergessen die weniger ruhmreiche Vergangenheit vor wenigen Jahren. Schauen wir uns genau an, was Honda und McLaren einzeln so geboten haben, dann war mir schon klar, dass wir 2015 nicht zu viel erwarten sollten. Und dann sollten wir auch nicht ausser Acht lassen, dass Mercedes, Renault und Ferrari nun ein Jahr Erfahrung mit dieser Turbo-Formel haben. Honda hat das nicht.

Eric Silbermann
Selbst wenn sie gegen die 2014er Aggregate von Mercedes, Renault und Ferrari antreten müssten, würden die Japaner zurückliegen. Wie Mathias richtig gesagt hat – es war ein Kapitalfehler, das Wort «Siege» in den Mund zu nehmen. Als ich das gehört habe, wurde ich an den früheren British American Racing-Teamchef Craig Pollock und Adrian Reynard erinnert, die vor ihrem Formel-1-Debüt in vollem Ernst von einem Sieg im ersten Rennen sprachen. Und dann haben sie ein Jahr lang keinen Punkt geholt! Ich habe McLaren-Chef Ron Dennis vor 14 Monaten gefragt, welchen Wissenstransfer es von Mercedes zu Honda geben würde, und er meinte – keinen, Mercedes habe sich da komplett abgesichert. Aber um Himmels Willen, die Ingenieure von McLaren müssen doch bei Mercedes irgend etwas gelernt haben, von dem Honda profitieren sollte. Für mich ist es schon verblüffend, wie schlecht Honda ist. Aber ich setzte auch hinter den McLaren ein Fragezeichen. Wenn Honda Leistung drosselt, dann wird das Chassis doch überhaupt nicht gefordert, und wenn es nicht gefordert wird, dann wissen wir letztlich auch nicht, was es taugt. Die Formel 1 ist nicht mehr jene der 90er Jahre, und bei Honda arbeiten auch nicht mehr die Techniker der 90er Jahre. Das ist eine ganz andere Formel 1, und Honda hat bei null anfangen müssen. Wie soll da quasi über Nacht Erfolg kommen?

Mathias Brunner
Das nächste Problem ist die Geduld – wenn du etwas in der Formel 1 nicht hast, dann ist das Zeit. Wir haben nicht mehr die 90er Jahre. Damals konntest du als Team sagen: Wir haben einen Fünfjahresplan, dann wollen wir um den Titel fahren. Die Leute haben keine Geduld mehr. Was mich bei Honda wirklich erstaunt hat: Der Nachsaisontest in Abu Dhabi war eine Katastrophe, die Wintertests in Spanien verliefen kaum besser, und nun hat Honda weiter Schwierigkeiten. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich die Fans die Frage stellen: Was lernen die eigentlich aus ihren Fehlern? Wo sind die Fortschritte?

Eric Silbermann
Ich habe den Vergleich mit der Historie sowieso nie verstanden. Welche Relevanz hat es, was McLaren und Honda vor zwanzig Jahren geleistet haben? Der Einstieg in die Formel 1 ist damals auch ganz anders verlaufen, viel behutsamer. Zunächst gab es das Engagement in der Formel 2, dann erfolgte der GP-Einstieg mit dem kleinen Team Spirit, das im Grunde nur ein Testträger war. Man konnte ohne grossen Druck debütieren.

Luis Vasconcelos
Und der Druck wird nicht geringer, wenn Honda-Rennchef Yasuhisa Arai in Barcelona – trotz allergrösser Probleme im Test – davon spricht, dass McLaren-Honda in Australien konkurrenzfähig sein würde. Ich dachte schon damals: Wie soll das gehen? Wenn Arai das damals wirklich geglaubt hat, dann haben sie ein wirkliches Problem. In Australien waren sie nirgens, in Sepang ist es ein wenig besser gelaufen, aber man fährt noch immer Force India hinterher, die ihr Auto im Testwinter nur eineinhalb Tage lang bewegt haben.

Mathias Brunner
Wenn wir uns nun in Erinnerung rufen, wie rasant besonders Top-Teams entwickeln, dann kann ich mir einfach nicht vorstellen, wie McLaren-Honda in Laufe der Saison aufholen will. Um näherzukommen müsste McLaren-Honda ja effizienter entwickeln als Mercedes oder Ferrari oder Red Bull Racing. Wie soll das gehen?

Luis Vasconcelos
Besonders unter dem Gesichtspunkt, dass sie weniger Entwicklungs-Wertmarken haben als Ferrari und Renault. Was an sich ein Schwachsinn ist, aber eben Tatsache.

Mathias Brunner
Inzwischen hat sich der Ton bei McLaren-Honda geändert. Nun heisst es, man wolle gegen Ende der Saison konkurrenzfähig sein. Aber auch das wird nicht einfach. Die Gegner werden ab jetzt kaum die Hände in den Schoss legen und auf McLaren-Honda warten.

Eric Silbermann
Für mich war von Anfang an klar, dass sie kaum besser als sechste Kraft sein würden – hinter den vier Mercedes-Teams sowie hinter Ferrari.

Tony Dodgins
Die Frage ist: Wenn wir von grundlegenden Problemen mit dem Auto sprechen, wie schnell können die gelöst werden? Sollte es rasante Fortschritte geben, dann machen sie auch bald Boden gut und dies in grossen Schritten. Jenson Button hat mir gesagt, der Wagen fühle sich vom Handling her besser an als die letzten McLaren-Renner. Und ich denke, dieses Gefühl stimmt, selbst wenn Honda noch nicht volle Power freigibt.

Mathias Brunner
Aber da kommt doch schon das nächste Problem auf McLaren-Hond a zu. Wenn sie zugeben, dass noch gar nicht volle Kanne gefahren wird, dann viel Spass bei Vollgas. Die Testfahrten im Winter zeigen jeweils: Je mehr du Gas gibst, desto eher treten ganz neue Probleme auf. Und das werden Probleme sein, welche die Gegner bei den Tests in Jerez und Barcelona schon angetroffen und inzwischen grösstenteils gelöst haben. Ich bin überzeugt davon, dass McLaren-Honda schneller wird. Aber sie müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass dann ganz neue Probleme auf sie zukommen.

Tony Dodgins
Gleichzeitig ist es jedoch oft verblüffend, wie schnell sich ein Team erholt. Red Bull Racing ist im Winter 2014 auch kaum zum Fahren gekommen, und dann wurde Daniel Ricciardo in Australien Zweiter.

Luis Vasconcelos
Ja, aber das lag daran, dass es bei Renault ein grosses Problem mit der Software gab, und als das halbwegs gelöst war, konnte das Red Bull Racing-Chassis glänzen. Bei McLaren-Honda sehe ich die Schwierigkeiten auf zwei Ebenen. Da ist zunächst der Motor, der nicht auf der Höhe ist. Und ich sehe McLaren, die ein extrem schmales Auto gebaut haben, in dem die Installation des Turbo-Motors gewiss nicht die bedienungsfreundlichste ist. Das ist ja noch extremer als der Schlankheitswahn von Adrian Newey für seine Red Bull Racing-Autos. Kein Paket ist so eng geschnürt wie jenes von McLaren-Honda, und ich bin sicher, dass dies seinen Preis hat. Da ist zunächst einmal die Kühlung, bei der bestimmt Kompromisse gemacht werden musste. Der Ausfall von Alonso in Sepang wegen überhitzter Energierückgewinnung ist für mich ein klarer Hinweis darauf. Und dann haben wir das Problem des Zugangs. Selbst wenn nur eine kleine Arbeit verrichtet werden muss, kann es leicht sein, dass die Mechaniker dafür zunächst mal den Motor wegnehmen müssen. Das kostet alles viel Zeit. Ich finde nicht, dass McLaren und Honda sich das Leben leicht gemacht haben.

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