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Formel 1 ohne Bezahlfahrer: Wirtschaftlich tragbar?

Von Mathias Brunner
Mark Webber

Mark Webber

​Ex-GP-Star Mark Webber (39) hat die leidenschaftliche Diskussion neu angefacht: Dem Australier sind Bezahlfahrer à la Pastor Maldonado ein Dorn im Auge. Aber so einfach ist das alles nicht.

Mark Webber – 2015 mit Porsche Sportwagen-Weltmeister geworden – hat seine erfrischende Offenheit aus dem Grand-Prix-Zirkus in die Langstreckenszene mitgenommen. Politische Korrektheit ist dem neunfachen Grand-Prix-Sieger fremd, wenn er unverblümt festhält: «Von allen Piloten, mit welchen ich die Rennstrecke geteilt habe, ist Pastor Maldonado der schlechteste. Er ist wirklich fehl am Platz und sollte einfach nicht in der Formel 1 sein. Er füllt das Feld, mehr nicht.»

Es ist nicht das erste Mal, dass der 215fache GP-Teilnehmer Webber über den Venezolaner schimpft. Monate zuvor hielt er fest: «Pastor Maldonado hat im vergangenen Jahr gesagt, er wisse noch nicht, in welchem Team er 2016 fahren werde. In welchem Sport gibt es denn so etwas? Wir brauchen wieder mehr hochqualifizierte Fahrer in der Formel 1. Von den Top-Ten rede ich nicht, hier fahren Ausnahmekönner wie zu meiner Zeit. Nein, ich spreche von mangelnder Tiefe, da ist das Startfeld schwächer denn je. Wenn du über die ersten Zehn hinausguckst, dann findest du da nur noch Bezahlfahrer. Das ist nicht gut.»

«Ich erkenne einen Trend zu Fahrern, die im Grunde entscheiden, zu welchen Teams sie ziehen und ob sie in einem bestimmten Rennstall bleiben wollen. Dabei sollte doch gelten: Wenn deine Leistung nicht stimmt, dann Sachen packen und auf Wiedersehen!»

Der langjährige Red Bull Racing-Pilot und dreimalige WM-Dritte (2010, 2011 und 2013) findet: «Damit wir uns richtig verstehen – ich weiss natürlich auch, dass Fahrer mit Mitgift immer schon Teil des Sports waren. Aber ich finde einfach, als ich in die Formel 1 kam, also 2002, aber selbst einige Jahre vorher und nachher, da hatten junge Piloten noch eine bessere Chance, durch gute Leistungen in Nachwuchskategorien auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkämpften sich ein Renncockpit durch ihre Ergebnisse, nicht durch die Unterstützung eines Landes.»

«Von der Sorte Maldonado gibt es einige. Sie müssen den Sport meiner Meinung nach mit mehr Enthusiasmus behandeln, mit mehr Zielbestimmung, wieso sie überhaupt da sind. Man darf das nicht verharmlosen. Ich vermisse bei einigen Fahrern einfach den Hunger. Wir wollen doch die Besten am Werk sehen, die Fahrer, die sich emporgearbeitet und durch Siege in unteren Klassen verdient gemacht haben; Piloten, die zielorientiert sind, durch und durch professionell, die nach Erfolg gieren, für die der Sport alles bedeutet. Solche Piloten will ich in der Formel 1 sehen.»

Wo bleibt die wirtschaftliche Realität?

Bevor wir das Thema vertiefen, eines vorweg: Ich habe nichts gegen Pastor Maldonado. Der Venezolaner hat mir noch nie etwas zuleide getan. Ganz im Gegenteil ist er – ungeachtet seines Rufs als Pistenrüpel – abseits der Rennstrecke einer der zugänglicheren Fahrer in der Formel 1.

Während ich grundsätzlich Mark Webber Recht geben möchte, wenn das Herz des Racers den Takt vorgibt, dann meldet sich gleichzeitig aber auch der Verstand, der nüchtern analysiert: Das Lamentieren zum Überhandnehmen von Bezahlfahrern ist ungerechtfertigt. Schon die Wurzeln des Motorsports gründen nicht auf Talentförderung, sondern auf Herrenfahrer, die sich die schnellsten Autos der Welt leisten konnten und damit auf die Strecke gingen. Im Grunde waren sie nichts anderes als Bezahlfahrer im wörtlichsten Sinne.

Und jetzt einmal tief durchatmen, Freunde, denn nun sprechen wir von den ganz Grossen der Branche: Wer bezahlte Reise und Fahrzeug, als Juan Manuel Fangio in den 40er Jahren nach Europa kam? Der Staat Argentinien.

Wer trug das Risiko, als sich Niki Lauda mit vollem Risiko in die Formel 1 ellbögelte? Eine Bank.

Wer hielt Michael Schumachdr den Steigbügel zum ersten Grand-Prix-Einsatz? Mercedes-Benz.

Wer hätte das gedacht: Fangio, Lauda, Schumacher, alles Bezahlfahrer. Dennoch haben sie sich in der Folge recht achtbar aus der Affäre gezogen …

Seit ihren Epochen hat sich in der Formel 1 viel verändert. Leider nicht überall zum Besseren.

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn macht gar kein Geheimnis daraus, dass die Gönner und Sponsoren von Marcus Ericsson und Felipe Nasr überlebenswichtig für den Schweizer Rennstalls sind. So wichtig, dass sich die Juristin Kaltenborn auf einen Rechtsstreit mit Giedo van der Garde und Adrian Sutil einliess, die auf gültige 2015er Verträge pochten.

Jean Todt, Präsident des Automobil-Weltverbands FIA, und Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone, die beiden mächtigsten Männer im Grand-Prix-Sport, haben es jahrelang versäumt, die Kostenspirale zu entschleunigen und die Einkommen aus dem GP-Spektakel gerechter zu verteilen. Viele Rennställe, so wie Sauber, bleibt nichts mehr anderes übrig, als Bezahlfahrer zu engagieren.

Wenn ich unterm Strich die Wahl hätte – zwei Talente bei Sauber, aber das Team geht pleite, oder zwei Bezahlfahrer in den Cockpits, damit der Rennstall überleben kann – dann ist es naheliegend, was die unausweichliche Antwort wäre.

Ja, ich finde auch, in der Formel 1 sollten einige der besten Rennfahrer der Welt antreten. Die Besten sind es ohnehin nicht: Denn einige weitere sind in anderen Kategorien zu finden, ohne je Grand Prix zu fahren – Rallye, Langstrecken, USA.

Aber ich fürchte, es gehört zu einer romantischen Verklärung, wenn man Zeiten herausbeschwören will, in welchen nur noch Piloten antreten, die nach den herausragendsten Ergebnissen ihren Platz erhalten haben. Das entspricht einfach nicht mehr der wirtschaftlichen Realität im Sport.

Wem sollten wir nachweinen?

Die meisten Bezahlfahrer werden ohnehin früher oder später aussortiert, weil von hinten die nächsten Piloten nachdrängeln.
Die Fahrt nach Jerusalem, Sesseltanz, Musical Chairs – das Spiel hat viele Namen, aber das Ergebnis ist immer das Gleiche: Wenn’s drauf ankommt, dann ist immer für einige ein Sitz zu wenig vorhanden. Das trifft auch auf die Formel-1-WM zu. Beim Schritt von 2013 in die neue Turbo-Ära 2014 ist eine Handvoll Grand-Prix-Fahrer ins Straucheln geraten, einige sind gefallen, andere haben einen geschickten Ausfallschritt zur Seite geschafft. Nicht alle werden vermisst.

Mark Webber ist von der ganz grossen Bühne abgegangen, bevor er zurückgetreten werden konnte. Webber fand es Ende 2013 an der Zeit, den Blutdruckhochtreiber Formel 1 gegen ein Sportwagenabenteuer mit Porsche auszutauschen.

Was Porsche gewonnen hat, ist ein Verlust für die Formel 1. Wir haben nicht nur einen gnadenlosen Gasgeber eingebüsst, sondern auch einen Mann, der sich seiner selber immer treu geblieben ist und aufgrund seiner Offenheit im GP-Sport grosse Sympathien geniesst. Tränenfaktor: hoch.

Die britischen Kollegen waren sich vor Jahren einig: Paul Di Resta, der DTM-Champion der Saison 2010, würde der neue Button, ja, was sage ich, der neue Hamilton! Und dann? Dann wurde der wortkarge Paul Di Resta in der Formel-1-WM von seinen deutschen Stallgefährten auf das Niveau «kocht auch nur mit Wasser» zurückgestuft. Zuerst von Adrian Sutil, dann von Nico Hülkenberg, dann nochmals von Adrian Sutil.

Die immensen Erwartungen konnte Di Resta selten erfüllen, und das liegt nicht etwa am Talent. Das hat der Schotte zuhauf. Was er offenbar nicht hat, ist die Gabe, Menschen zu motivieren, oder das Verständnis, dass Medienvertreter zu seinem Job gehören wie Datenausdrucke lesen oder aufs Gaspedal treten. Nun fährt er wieder DTM. Tränenfaktor: überschauber.

Gut, wir wissen, dass die meisten modernen Grand-Prix-Fahrer nicht mehr wie wahre Vollgashelden aussehen. Nicht jeder Racer kann zu den markanten Zügen eines Carlos Reutemann oder Clay Regazzoni reifen. Schliesslich sah ich auch als junger Journalist nie aus wie Robert Redford in «All the President’s Men». Aber Körpersprache sagt durchaus etwas über einen Menschen aus: Wenn Ihnen auf der Strasse Charles Pic entgegenkommt, dann verrät seine Erscheindung kaum den stählernen Willen eines Bleifussathleten. Vielleicht eher einen schüchternen Konzertpianisten. Oder einen Kirchendiener.

Wie auch immer – Charles Pic fuhr zwei Jahre lang Formel 1 (2012 bei Marussia, 2013 bei Caterham), und wenn es nicht den Transportbetrieb seiner Eltern gäbe, hätte ihn keiner verpflichtet. Danach tauchte er nur noch einmal in den Schlagzeilen auf: Als er gegen Lotus prozessierte, weil er im Rahmen seines Testvertrags ungenügend zum Fahren gekommen war. Tränenfaktor: gering.

Giedo van der Garde hatte sich bei Sauber gesichert, was Charles Pic noch nicht ganz eingetütet hat – einen Platz als Test- und Reservefahrer, mit der Aussicht auf Aufstieg. Nach einem Jahr bei Caterham fand Teamchef Tony Fernandes trotz der McGregor-Millionen (der Chef der Kleiderfirma ist Giedos Schwiegerpapa, wie praktisch!) keinen Platz mehr bei den Grünen. Nach eigenen Aussagen war das seine eigene Entscheidung.

Das Geld floss dann auf die Konti von Sauber. Die hatten nun den falschen Holländer unter Vertrag, denn die Geschmacksrichtung des Jahres 2015 hiess Verstappen, und die gab es aus dem Hause Red Bull. In einer idealen Welt gäbe es nämlich einen Piloten aus den Niederlanden mit dem Talent eines Max Verstappen, der edlen Herkunft eines Carel Godin de Beaufort, der Kraft eines Huub Rothengatter, dem Humor von Jan Lammers und der Mitgift eines Giedo van der Garde – aber wir leben eben nicht in einer idealen Welt. Mehrere Richter bestätigten: Van der Garde hatte einen gültigen Vertrag bei Sauber. Echte Racer würden jedoch urteilen: Wer überdurchschnittlich talentiert ist, fährt nicht vier Jahre lang GP2. Tränenfaktor: gering.

Von 2014 auf 2015 verloren wir: Kevin Magnussen (McLaren-Teamchef Ron Dennis meinte: «Wir setzten ihm gewisse Ziele, die hat er nicht erreicht.»), Adrian Sutil (trotz gültigen Vertrags bei Sauber aussortiert), Jean-Eric Vergne (aus dem Red-Bull-Förderprogramm ausgeschieden, arbeitet heute bei Ferrari als Simulationsspezialist), Kamui Kobayashi (bei Caterham gegen seine Stallgefährten zu wenig überzeugend, um sich für 2015 woanders aufzudrängen) und Max Chilton (wer?).

Da es durchaus möglich ist, dass 2016 in den Manor-Rennwagen Mercedes-Zögling Pascal Wehrlein und der Indonesier Rio Haryanto (Bezahlfahrer) sitzen, könnten wir das 2015er Manor-Marussia-Trio einbüssen: Will Stevens, Roberto Merhi und Alexander Rossi. Die Formel-1-Welt würde sich zweifellos weiterdrehen.

Ein Teil der wirklich Hoffnungslosen soll künftig aussortiert werden: Durch das neue FIA-Punktesystem, das eigentlich eingeführt worden ist wegen des Renn-Teenagers Max Verstappen. Nicht, dass eines Tages noch ein 15-Jähriger direkt vom Kart in den GP-Renner springt.

Das System schreibt eine gewisse Punktzahl in Nachwuchsklassen vor. Nur wer genügend Punkte sammelt, erhält den Formel-1-Führerschein namens Superlizenz. Eine Versicherung vor Bezahlfahrern ist das trotzdem nicht.

Pastor Maldonado: «Damit muss ich leben»

Und was sagt der viel gescholtene Maldonado?

Der Venezolaner hat mit WM-Rang 14 seine beste von bisher fünf WM-Saisons bezeigt. Den Ruf als «Crash Kid» wird er dennoch behalten. Unverbesserlich und unbelehrbar sei er, heisst es über den 30-Jährigen. Wenn es irgendwo kracht, ist der künftige Renault-Pilot meist nicht weit.

Bei 95 Grands Prix hat der Venezolaner Pastor Maldonado 14 Mal Punkte eingefahren. Der Venezolaner bleibt ein Mann mit zwei Gesichtern – brillante, fehlerfreie Fahrten wie bei seinem Sensationssieg in Spanien 2012 oder bei seinen GP2-Erfolgen in Monte Carlo wechseln sich mit stümperhaften Fehlern ab.

Längst machen sich die Fans über den heissblütigen Südamerikaner lustig: Bilder von Mietwagen in Hotel-Pools werden getwittert mit «Pastor Maldonado ist bei seinem Hotel angekommen», und eine Webpage hat einen Countdown aufgeschaltet, wieviele Tage seit seinem letzten Crash vergangen sind: http://hasmaldonadocrashedtoday.com

Macht ihm so viel Häme nichts aus? «Nein, wirklich nicht», sagt Pastor. «Manchmal lese ich etwas oder entdecke etwas auf den sozialen Netzwerken, aber so geht das dort halt zu und her. Ich habe ein grosses Land hinter mir, und da sind eben auch die Erwartungen gross. Aber mir scheint grundsätzlich schon – jedes Mal, wenn es einen Unfall gibt, selbst dann, wenn ich völlig unschuldig bin, liegt es scheinbar stets an mir. Aber das stimmt einfach nicht.»

Maldonado lässt es nicht auf sich sitzen, dass immer er Schuld haben soll, wenn es irgendwo scheppert. «Der Druck ist bisweilen schmerzhaft – die Fans, die Medien, mein Heimatland, alle erwarten sehr viel von mir. Bisweilen ist es nicht ganz einfach, den Menschen zu erklären, warum wir keine besseren Ergebnisse haben. Letztlich geht es in der Formel 1 eigentlich nur darum, nicht? Kann man mit Druck umgehen oder nicht. Auf der anderen Seite: das alles ist nicht neu für mich, ich habe gelernt, damit zu leben.»

So wie wir auch künftig mit Bezahlfahrern leben. Ob uns das nun gefällt oder nicht.

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