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Pit Beirer: «Newey hat uns Augen geöffnet»

Von Werner Jessner
Exklusiv: KTM-Sportchef Pit Beirer im Interview über die Arbeit mit Adrian Newey, Synergien mit Red Bull Racing, zwei Seelen in seiner Brust und warum wir in den kommenden Jahren die extremste MotoGP aller Zeiten erleben
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Red Bull Advanced Technologies?

Dass durch den Salary Cap in der Formel 1 dort Kapazitäten frei geworden sind, war ein riesiger Tür-Öffner für uns. Durch diese Freundschaft und Partnerschaft können wir Know-How nutzen, das ist gigantisch. Was auf dem Gebiet der Aerodynamik in der Formel 1 in den letzten Jahren gelernt wurde, ist um ein Vielfaches höher als in der MotoGP.

 

Wo liegen die Schwierigkeiten in der Umsetzung?

Zwei Räder weniger, dadurch Schräglage und ein Fahrer, der sich viel mehr bewegt. Hier gab es ein paar grundlegende Dinge gemeinsam zu lernen. Mit den Aerodynamikern von Red Bull arbeiten zu dürfen ist der pure Wahnsinn! Aber unsere Gespräche haben uns auch auf anderen Ebenen beflügelt. Diese Partnerschaft macht nicht nur sehr viel Freude, sondern hat unser Motorrad aerodynamisch zu einer Rakete gemacht.

 

Hat Adrian Newey persönlich Hand angelegt?

Christian Horner hat schon darum gebeten, ihn nicht völlig zu vereinnahmen, weil er ihn fürs Auto von Max braucht (lacht)! Diese Bedenken waren durchaus da. Aerodynamik läuft bei Red Bull Racing über den godfather Adrian Newey. Wir durften sein Team nutzen, und er hat drübergeschaut. Im Tagesgeschäft hatten wir nicht mit ihm zu tun, sondern mit seinen Leuten. Aber wir haben schon sicher gestellt, dass er darauf achtet, dass seine Leute auf dem richtigen Weg sind. Es war eine Zusammenarbeit auf höchster Ebene. Wir haben viele coole Leute drüben in Milton Keynes kennengelernt. Es macht echt Spaß.

 

In der Praxis: Wie arbeitet man sich bei der Aero nach vor?

Ausgehend von Daten von der Strecke und aus dem Windkanal gibt es Ideen. Damit geht man ins CFD, verifiziert es wieder im Windtunnel, und mit dem Resultat geht man dann auf die Strecke. Da gibt’s keine Shortcuts. Die Grundlagen musst du mit CFD machen, weil du sonst zu viel Zeit verschenkst, bis du mit Roh-Teilen in den Windtunnel gehen kannst.

 

Und die Zusammenarbeit verlief von Anfang an harmonisch?

Es ist nicht so, dass du mit Red Bull Advanced Technologies zusammenarbeitest und vier Wochen später hast du geile Aero-Teile am Bike! Man muss sich kennenlernen, Ideen haben und den Katalog abarbeiten. Uns helfen und verblüffen Erfahrungsschatz und Ideen aus Milton Keynes gleichermaßen. F1-Techniker blicken mit ganz anderen Augen auf ein Motorrad als wir. Mit den Jahren wirst du einfach ein wenig blind, und sie haben uns in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet.

 

Wenn die neue Aero am Bike ist, muss sich auch die Elektronik anpassen. Und ab diesem Moment liegt der Ball wieder bei euch, korrekt?

Ja, natürlich. Früher war die Aerodynamik dafür da, dass das Motorrad auf den Geraden verdammt schnell läuft. Heute hat sie die Aufgabe, dein Gerät nach unten zu drücken, um die Beschleunigung zu verbessern. Diese Dinge sind dir aber auf der Geraden im Weg. Jetzt musst du sie vom Winkel so hinbekommen – inklusive ride-height-device, das das den Abstand des Bikes zum Boden um 10 cm verändert – dass das Bike auf den Geraden schlimmstenfalls 366 km/h fahren kann: https://www.speedweek.com/motogp/news/211244/3661-kmh-Die-Top-Speed-Entwicklung-in-der-MotoGP.html.

Beim Bremsen soll die Aerodynamik das Hinterrad zu Boden drücken. Und besser einlenken soll das Bike auch noch, sobald der Fahrer hinter der Verkleidung auftaucht.

 

Und das kann euer Bike?

Das kann inzwischen jedes MotoGP-Bike. Darum ist die Zigarrenform Vergangenheit. Schaut man sich die Rechendaten an erkennt man, wie das eine das andere beeinflusst bis hin zur Mechanik. Einfachstes Beispiel: Andere Getriebe-Übersetzung auf Grund der geänderten Geschwindigkeiten. Mehr Grip aus den Ecken bedeutet Änderungen in der Wheelie-Kontrolle und gleichzeitig mehr Motorschub. Limitierender Faktor in der Entwicklung sind Test-Zeit und Anzahl der Reifen. Sonst könntest du die eine Aerodynamik auch noch mit dem anderen Fahrwerk kombinieren und mit zehn weiteren Dingen. Test-Planung erfordert extrem effiziente Kompromisse, weil jede Abteilung noch mehr Dinge probieren möchte.

 

Schaut die Verkleidung auf den Bikes, die wir in den kommenden Tagen in Sepang sehen werden, so aus wie beim Valencia-Test, also mit diesen seitlichen Elementen?

Ja, die werden drauf bleiben. Sie machen auch einen sehr breiten Luftkanal hinter dem Bike, was es den Konkurrenten schwieriger macht, hinter und her zu fahren und auch zu überholen. Wir kämpfen bei den Gegnern mit den selben Problem.

 

Findest du das gut?

Hier schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite macht es irrsinnigen Spaß, Motorräder auf diesem brutal hohen Niveau zu entwickeln. Auf der anderen Seite: Ist es noch vernünftig? Ganz klar nein! Schaue ich auf die Kosten und die Richtung, in die es geht, müsste ich sagen, dass wir schön langsam einen Riegel vorschieben sollten, weil es absurd wird. So sehr ich die candies liebe, die wir gerade entwickeln: wir sollten dem Fahrer das Werkzeug wieder mehr in die Hand geben, und mit dem Reglement ab 2027, das gerade entwickelt wird, passiert das ja auch. Es könnte gut und gern passieren, dass wir den extremsten Höhepunkt der Technologie-Entwicklung in der MotoGP in den Jahren 2024, 25 und 26 erleben, bevor alles wieder einen Schritt normaler wird.

 

Wird Michelin das Problem des Vorderreifens als limitierenden Faktor dieses Jahr aussortieren?

Limitierender Faktor ist wahrscheinlich immer der Vorderreifen. Verbessert ihn der Hersteller um drei Prozent, fahren die Fahrer eben um fünf Prozent schneller und stürzen wieder übers Vorderrad. Ich finde, dass unsere Reifen unglaublich gut sind – vielleicht sogar schon zu gut, weil sie Kurvengeschwindigkeiten ermöglichen, in denen der Grenzbereich kaum noch zu ertasten ist. In Mugello verzögerst du aus 366 km/h, nur das Vorderrad hat Bodenkontakt, gehst in volle Schräglage und lenkst ein. Es ist unglaublich, was diese Reifen leisten! Die Fahrer lenken ein und bremsen, weil es sie überschlagen würde, wenn sie mit aufgerichtetem Bike voll in die Eisen gehen. Der Grip ist unglaublich! Darum glaube ich, dass die Fragestellung, ob Michelin das Problem in den Griff bekommt, falsch ist. Wir müssen die Bikes zurückrüsten, um dem Reifen mehr Luft zum Atmen zu geben – und dem Fahrer mehr Gefühl fürs Limit. Dieser Bereich ist mir persönlich im Moment zu eng. Wir müssen schauen, dass wieder mehr Freiheit beim Fahrer liegt, und die Technik das nicht so brutal einschränkt.

 

Wie viel menschliches Gespür ist in dieser durchberechneten Welt bei der Entwicklung noch nötig?

Es ist eben noch nicht alles berechnet, sondern nur 99 Prozent. Beim fehlenden Prozent ist es fifty-fifty, und da kommen die richtigen Schlüsse des Fahrers ins Spiel. Manches kann in den Daten eindeutig sein, aber wenn sich der Fahrer damit nicht wohlfühlt, werden aus den 99 Prozent null Prozent. Der menschliche Faktor, ein High-Tech-Roboter aus Fleisch und Blut wie es Dani Pedrosa ist – das hat unser Projekt unglaublich verbessert. Er ist wahnsinnig wichtig für die Entwicklung. Wir haben ein wenig Zeit gebraucht, um sein Feedback zu verstehen und zu kapieren, was er braucht, um seine Performance abzuliefern. Das hat sich in den letzten beiden Jahren noch mal stark verbessert. Für ihn war die Testfahrer-Rolle neu, für uns war neu, einen so genialen Testfahrer an Bord zu haben. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Der Faktor Mensch ist wichtiger als der Faktor Daten.

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