Abschied von Eisspeedway-Gott Nikolai Krasnikov (40)
Nach wie vor ist die Bahnsportwelt in Schockstarre: Nach einem tragischen Autounfall in Baschkirien, bei dem Nikolai Krasnikov mit einem LKW frontal zusammenstieß, starb der nur 40 Jahre alt gewordene Eisspeedway-Star aus Sibirien.
Es war im Jahr 2003, als Günther Bauer den damals gerade 18 Jahre jungen Krasnikov noch in die Schranken weisen konnte: Bauer unterlag in einem Herzschlagfinale nur knapp gegen Vitali Khomitsevich und verpasste dadurch die Krone des Eisspeedway-Sports. Mit dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft gegen zehn Russen schaffte der Bayer dennoch die Sensation und setzte sich sein eigenes Denkmal.
Die Grundsteinlegung für die bis dato im Eisspeedway nie dagewesene Erfolgsserie von Nikolai Krasnikov erfolgte zugleich. Wurde er als Newcomer in der WM im Jahr 2003 Achter, folgte ein Jahr später mit Bronze die erste WM-Medaille. Ab dem Jahr 2005 ließ er alle anderen alt aussehen: Achtmal wurde Krasnikov Eisspeedway-Einzelweltmeister. Damit übertraf er nicht nur seinen Landsmann Gabdrahman Kadyrov, der insgesamt sechsmal triumphierte, ihm gelang auch das Kunststück, alle acht Titel in Serie zu holen. Neben den WM-Erfolgen von 2005 bis 2012 wurde Krasnikov nebenbei zwölfmal Champion mit der russischen Nationalmannschaft bei der Team-WM.
«Unvergessen ist für mich sein erster Titelgewinn, als er mich direkt nach der Zieldurchfahrt aus dem Fahrerlager anrief und ich verletzt im Krankenhaus lag», erzählte Günther Bauer SPEEDWEEK.com. «Ich hatte ihm einen meiner Motoren gegeben und er schaffte es erstmals als junger Bub, den gestandenen Russen und dem Rest der Weltelite eins auszuwischen. Insgesamt sechs WM-Titel holte er mit einem meiner Motoren.»
Bewundernswert an Krasnikov war nicht sein Talent. Was ihm an Talent fehlte, machte er mit Fleiß, Mut und Selbstbewusstsein wett. Er gilt als Paradebeispiel dafür, zu was ein Mensch fähig ist, wenn er das richtige Umfeld, die richtige Einstellung und das nötige Selbstvertrauen hat. Den Teil im Gehirn, in dem Ängste entstehen, schien er nicht zu haben. Bauer: «Vor einem WM-Rennen in Inzell bin ich mit ihm das erste Mal zum Skifahren gewesen. Die schwarze Piste fuhr er im Schuss runter; da er nicht Skifahren konnte, stürzte er brutal und überschlug sich mehrfach. Als ich bei ihm ankam und sagte, dass Skifahren so nicht funktioniert, meinte er nur, dass es das Beste war, was er seit Langem erlebt hatte, stand auf, schüttelte sich kurz und fuhr mit dem Lift den Berg wieder hoch. Das war Kolja.»
Spätestens im Jahr 2003 haben sich die deutsche Eisspeedway-Legende und der Rekord-Weltmeister schätzen gelernt. Beide verband eine enge Freundschaft, Krasnikov wurde zum Familienmitglied der Bauers und blieb das auch, nachdem beide ihre Karriere beendet hatten.
Die Nachricht vom Ableben des siebenfachen Russischen Meisters versetzte Bauer einen Stich ins Herz. Trotz aller Irrungen und Wirrungen rund um den Krieg Russlands gegen die Ukraine suchte Günther sich den nächsten Flug nach Russland raus und machte sich von München über Istanbul nach Jekaterinburg auf, um der Beisetzung Krasnikovs beiwohnen zu können. «Ich hatte noch bevor der Krieg losging mein Russlandvisum um fünf Jahre verlängert, es ist noch bis zum kommenden Jahr gültig», bemerkte der Bayer. «Mein Sohn Luca wollte selbstverständlich auch mitkommen, doch leider hatte er kein Visum mehr und wir schafften es nicht, innerhalb kürzester Zeit eines aufzutreiben.»
Mit viel Überzeugungsarbeit gelang Bauer die Einreise nach Russland. «In Jekaterinburg wurde ich von fünf Zöllnern in einem extra Raum verhört, was ich hier in Russland will, um dann auch noch nach Sibirien weiterzureisen. Mit meinen paar Brocken Russisch erklärte ich, dass ich zur Beerdigung meines Freundes wolle, erst dann wurde mir die Einreise gewährt.»
Von Krasnikovs langjährigem Mechaniker Alexander Rodin wurde Bauer in Empfang genommen, um vom Flughafen am Fuße des Uralgebirges weiter gen Osten nach Schadrinsk in Westsibirien zu fahren.
«Nicht nur, dass ich von meinem Freund Abschied nehmen musste war hart, auch der Ort der Trauerzeremonie war bizarr», schilderte Bauer. «In der Sporthalle des Torpedo-Stadions, das ich nur aus dem Winter kenne, mit Gummimatten ausgelegt und so als Fahrerlager bei unseren WM-Läufen dienend, ausgerechnet dort musste ich am offenen Sarg Abschied nehmen von Kolja. Ich wollte mir seinen Leichnam nicht ansehen, aber meine russischen Freunde haben darauf gedrängt, bei ihnen ist es Brauch und so kam auch ich nicht drumherum. Er lag friedlich da, äußerlich völlig unversehrt.»
Neben Bauer gaben zahlreiche Größen des Eisspeedway-Sports Nikolai Krasnikov letztes Geleit. Auch die Ex-Weltmeister Alexander Balaschov, Vitali Khomitsevich, Dmitri Khomitsevich, Dmitri Koltakov, der ehemalige WM-Dritte Ivan Ivanov, Eduard Krysov, Valery Pertsev und zahlreiche andere Aktive nahmen Abschied.
Dass Bauer den Weg trotz des Krieges auf sich nahm, brachte dem ohnehin extrem respektierten Deutschen nahezu die Zarenwürde ein. Niemand hielt es für möglich, einen Westeuropäer bei der Trauerzeremonie zu sehen.
Die Beisetzung auf dem Waldfriedhof nahe Schadrinsk, wo der erfolgreichste Eisracer aller Zeiten neben seiner Oma zur letzten Ruhe gebettet wurde, war für Bauer hochemotional. «Vom Stadion aus ging es in einem Konvoi zum Friedhof, die Polizei sperrte alles ab. Motocross-Kids vom Schadrinsker Club führten die gefühlt unendliche Wagenkolonne an. Auf dem Friedhof war es extrem schwer für mich zu sehen, wie seine Eltern von ihrem Sohn Abschied nehmen mussten. Die im Anschluss an das Begräbnis stattfindende Trauerfeier war Teil der Absurdität: Ausgerechnet im Hotel Ural, wo die Fahrerempfänge zu den WM-Rennen in Schadrinsk stattfanden, mussten wir das Ende von Koljas Leben begießen.»
Krasnikov, der den größten Teil seiner Karriere für den baschkirischen Verein Ufa angetreten war und dort später auch als Trainer fungierte, hatte seine Wurzeln in Schadrinsk, dort leben seine Eltern. Beim Torpedo-Klub in der Industriestadt machte er seine ersten Fahrten auf der Motocross-Maschine und den spikebestückten Eisspeedwayraketen.
Nicht nur auf, sondern auch neben den Rennstrecken verbrachten Bauer und Krasnikov viel Zeit miteinander. Und auch wenn Krasnikov wieder einmal Termine hatte, kümmerte er sich um seinen Spezi. Unvergessen bleibt ein Schneemobil-Trip. Bauers Teammitglied und russisch sprechende SPEEDWEEK.com-Mitarbeiter Jan Sievers begleitete den Eisspeedway-Mäzen Albert Thorwesten bei seinem ersten Russlandbesuch. Um das Land hautnah zu erleben, wurde ein Ausflug in die sibirische Birkenwaldtundra organisiert. Nikolai Krasnikov bat seinen Vater Oleg eine Tour festzulegen. Mit einem befreundeten Jäger ging es mit einem Offroad-Jeep sowie Schneemobilen raus in die Wildnis. Nach mehreren rasanten Kilometern Fahrt, und dem Kontrollieren einiger Wildfallen zwischendurch, gab es eine Mittagspause, in der zwei Bäume gefällt wurden, um ein Feuer zu entfachen, um die frisch zubereiteten Pelmeni (Teigtaschen) zu kochen. Die Ladefläche des Jeeps wurde zu einer Küche mit Barbereich umgebaut, um den ausländischen Gästen eine schöne Zeit zu bereiten.
Auf dem Rückweg präsentierte der Jäger stolz den frisch erlegten Elch sowie Fotos vom in der Vorwoche geschossenen Braunbären. Freundschaft wurde zwischen Bauer und Krasnikov immer großgeschrieben. Erlebnisse, die mit keinem Geld der Welt zu bezahlen sind.
Nikolai Krasnikov wurde nur 40 Jahre alt und hinterlässt seine Frau, zwei Töchter und einen Sohn. Mit den Worten «er wird für immer unter uns sein und unser Haus wird für dich und Luca immer offenstehen», bedankte sich Krasnikovs Schwester bei Günther Bauer für das Beiseitestehen in ihren schwersten Stunden.