Guy Ligier unvergessen: Vom Metzger zum Teamchef

Von Mathias Brunner
​​​​Wir erinnern an den unverwechselbaren Guy Ligier – der Rugby-Spieler, Rennfahrer, Kettenraucher und spätere Teamchef war ein Mann wie ein Erdbeben, ein Franzose von echtem Schrot und Korn.

Wenn ich auf 501 Grands Prix von Kanada 1982 bis Kanada 2019 zurückblicke, dann ist ein starker Eindruck: Der Formel 1 kommen die echten Racer unter den Teamchefs abhanden. Die heutigen Rennstallchefs sind mehrheitlich Manager, die Teambesitzer Autokonzerne und Investoren. Frank Williams ist noch der letzte Teamchef aus den 70er Jahren. An den Rennen sehen wir ihn nur noch selten. Die Erinnerung verblasst langsam aus dem Bewusstsein des Engländers.

Ich vermisse knorrige Typen wie Ken Tyrrell oder Guy Ligier aus den Zeiten, als politische Korrektheit keinen interessierte. Eine der charismatischsten, aber auch rätselhaftesten Figuren im französischen Motorsport ist vor vier Jahren verstorben: Guy Camille Ligier. Der bullige Mann aus Vichy wurde 85 Jahre alt. Manchmal denke ich, nur ein Land wie Frankreich kann eine solche Persönlichkeit hervorbringen.

Rennsport war die zweite Liebe von Ligier: In den 40er Jahren hatte sich der Metzger-Geselle in Vichy zu einem der besten Rugby-Spieler entwickelt, er spielte sogar für die Nationalmannschaft. Zeit seines Lebens war der früh zum Vollwaisen gewordene Ligier davon beseelt, Karriere zu machen. Neben seiner Arbeit als Fleischer sparte er auf einen Bulldozer und wechselte in die Baubranche, als er die notwendigen Francs beisammen hatte.

Ligier profitierte vom Bau-Boom in Frankreich, baute seine Firma kontinuierlich aus und knüpfte zu Politikern wie dem späteren Staatschef François Mitterrand ein Vertrauensverhältnis. Diese Kontakte sollten ihm später als Rennstallchef überaus nützlich sein.

Nach einigen Versuchen im Motorradsport fuhr Ligier in den späten 60er Jahren Einsitzer, mit seinem Freund Jo Schlesser ging er eine Partnerschaft ein.

Guy Ligier bestritt in seiner aktiven Karriere in der Motorsport-Königsklasse 1966 und 1967 zwölf Rennen, zunächst mit einem privaten Cooper-Maserati, dann mit einem Brabham-Repco. Bestes Ergebnis: ein WM-Zähler auf dem Nürburgring 1967. Dort kam er als Achter ins Ziel, wurde aber als Sechster gewertet, weil zwei Formel-2-Piloten vor ihm nicht punkteberechtigt waren.

Bekannter wurde Ligier allerdings als Teambesitzer. Nach dem Tod seines Freundes und Geschäftspartners Schlesser 1968 (Unfall als Honda-Gastfahrer in Rouen) kehrte er der Formel 1 als aktiver Fahrer zunächst den Rücken und arbeitete als Sportwagen-Konstrukteur. Im Gedenken an seinen Kumpel Schlesser trug sein erster Sportwagen die Bezeichnung Ligier JS1, so wurden ab dann alle seine Rennwagen beginnend mit JS durchnummeriert.

Doch Ligier hatte andere Ambitionen als Sportwagensport: 1974 kaufte er das Matra-Rennteam, das im Ligier-Team aufging, im Winter 1975/1976 war sein GP-Rennstall WM-bereit, unterstützt von zahlreichen nationalen Firmen, allen voran der Zigarettenmarke Gitanes. Die tanzende Zigeunerin aus dem damaligen SEITA-Tabakkonzern wurde jahrelang zur Begleiterin der Ligier-Formel-1-Renner.

Zwischen 1976 und 1996 bestritt das Team in der Formel 1 insgesamt 325 Rennen und holte dabei neun Siege, sechs davon durch den französischen Nationalhelden Jacques Laffite.

Guy Ligier war nicht der einfachste Chef. Seine Wutausbrüche waren legendär. Wer jedoch sein Vertrauen gewonnen hatte, besass einen Freund auf Lebenszeit.

Ligier war dem Wein zugetan, rauchte Kette und war Racer durch und durch. Sein Urteilsvermögen wurde bisweilen vom aufbrausenden Temperament getrübt, aber meist lag er mit Entscheidungen aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus richtig. Zum Glück gab es damals den Begriff politischer Korrektheit noch nicht. Ligier hätte ihn mit einigen markigen Worten verscheucht.

Ligier war der klassische Fall von harter Schale, weicher Kern. Ligier konnte keinen Hochschulabschluss vorweisen, war jedoch mit reichlich Bauernschläue gesegnet und ein gewiefter Taktiker bei geschäftlichen Verhandlungen.

1979 begann Ligier das Jahr mit dem besten Auto im Feld, zwei überlegende Siege für Jacques Laffite, samt Pole-Positions und bester Rennrunden, doch mangelnde Entwicklung führte dazu, dass die Konkurrenz auf- und dann überholte. Die Gegner von Ligier verstanden den Saugnapfeffekt der Wing-Cars einfach besser. Um genau zu sein, produzierte der Ligier JS11 so viel Abtrieb, dass Aufhängungen und Reifen überfordert waren. Die Renner von Williams und Brabham liefen standfester.

Den letzten GP-Erfolg holte Olivier Panis 1996 in einem denkwürdigen Rennen in Monaco, als nach einem chaotischen Lauf nur drei Autos die Ziellinie überfuhren. 1997 wurde der Rennstall schliesslich vom viermaligen Weltmeister Alain Prost übernommen, Ligier war da schon vier Jahre lang nicht mehr am Ruder, er hatte das Team 1992 an den Industriellen Cyril de Rouvre verkauft. Prost scheiterte letztlich und musste den Rennstall 2001 zusperren.

Da hatte Ligier mit der Herstellung von Düngemitteln ein neues Vermögen gemacht, zudem hatte er ein erfolgreiches Geschäft mit Kleinwagen aufgebaut, die ohne normalen Führerschein bewegt werden dürfen.

2005 kehrte Ligier zu seinen Wurzeln zurück – zusammen mit Automobiles Martini wurden zwei Modelle gebaut, ein JS47 für die Formel 3, ein JS49 als Sportwagen. Seit 2014 sind Ligier-Renner in der LMP2-Klasse unterwegs.

Die Marke Ligier bleibt also über den Tod des Firmengründers hinaus auf den Rennstrecken präsent. Das hätte Guy gefallen.

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