Formel-1-WM: Mercedes bald von Ferrari eingeholt?

Von Mathias Brunner
Die Mercedes werden von Ferrari gejagt

Die Mercedes werden von Ferrari gejagt

Formel-1-Champion Lewis Hamilton hat aus den ersten vier Grands Prix der Saison 93 von 100 möglichen Punkten geholt. Dennoch herrscht im Lager der Silberpfeile roter Alarm.

Auf dem Papier schaut alles rosig aus für Formel-1-Champion Lewis Hamilton: Er hat die Grossen Preis von Australien, China und Bahrain gewonnen, er ist in Malaysia überdies Zweiter geworden, der Weltmeister von 2008 und 2014 führt in der Zwischenwertung mit 93 Punkten. Er könnte nun fünf Wochen Ferien machen, den Spanien-GP zuhause vor dem Fernseher verbringen, und er käme noch immer als WM-Führender nach Monte Carlo. Sein grösstes Problem scheint bislang eine Champagner-bespritzte Ehrendame in Shanghai gewesen zu sein.

Aber wer sich das Tafelsilber von Mercedes genau ansieht, erkennt trübe Stellen.

In Bahrain hätte das Rennen keine Runde länger dauern dürfen, an beiden Mercedes gab es Probleme mit der elektronisch gesteuerten Hinterradbremse. Weltmeister Lewis Hamilton hatte schon im Testwinter vermutet: «An unserem Speed zweifle ich nicht, und dass wir einen hohen Entwicklungsrhythmus halten können, das haben wir 2014 bewiesen. Also wieso sollten wir das 2015 nicht können? Nein, für mich ist das grösste Fragezeichen die Standfestigkeit.»

2014 war der Vorsprung von Mercedes so gross, dass die Gegner nur drei Mal profitieren konnten, als die Autos von Lewis Hamilton und Nico Rosberg schwächelten. In Kanada, Ungarn und Belgien sagte Daniel Ricciardo jeweils Dankeschön.

Der grosse Unterschied nun: Ferrari hat tüchtig aufgeholt, Mercedes kann es sich längst nicht mehr erlauben, seine Fahrer mit Fairplay zu behandeln, weil man ohnehin einen Doppelsieg herausfahren wird oder technische Probleme mit einer vorsichtigen Fahrweise zu kaschieren.

Nach dem Malaysia-GP und dem ersten Sieg in Rot von Sebastian Vettel hat Mercedes sein Entwicklungstempo intensiviert. Toto Wolff: «Gewisse Entwicklungen werden vorgezogen. Wir müssen reagieren.»

So arbeiten die Mercedes-Ingenieure auf Hochdruck daran, dem Silberpfeil einen manierlicheren Umgang mit den Pirelli-Reifen beizubringen. Noch ist das Auto aber kein Reifenflüsterer wie der Ferrari.

Ferrari hat im Winter einen erheblichen Teil des Leistungsrückstands auf Mercedes wettgemacht und zündet bald die nächsten Power-Stufen des italienischen V6-Turbo – rechtzeitig zum Kanada-GP, wo üppig Topspeed gefragt ist.

In Bahrain haben Vettel und Räikkönen neue Motoren erhalten, aber nicht, weil ein Schaden vorlag. Die ersten Aggregate werden später wieder zum Einsatz kommen. Man wollte Vettel und Räikkönen vielmehr mit frischen Antriebseinheiten in den Wüsten-GP schicken, was sich anhand der feinen Darbietung von Ferrari (Vettel in der ersten Startreihe, Räikkönen Zweiter) ausbezahlt hat.

Im Kampf gegen Mercedes wird Ferrari bis Juni vier oder fünf der den Italienern dieses Jahr noch zur Verfügung stehenden zehn Wertmarken einsetzen – erwartet werden neue Kolben, Nockenwellen, Brennkammern.

Zusammen mit Ferrari hat auch Shell gearbeitet: ein neuer Sprit wird helfen, den Verbrauch zu senken und die Leistung zu erhöhen. Insgesamt will Ferrari um 20 bis 30 PS zulegen und damit auf jenes Niveau von rund 820 PS kommen, auf dem sich Mercedes derzeit bewegt. Die zweite Evostufe des Jahres wird Ferrari dann anfangs September zum Heimrennen in Monza zünden.

Ferrari hat einen grösseren Entwicklungsspielraum als Mercedes: Mercedes kann nur noch sieben Wertmarken in die Waagschale werfen. Im Juni wollen auch die Silberpfeile erstmals nachlegen.
Die ersten vier Saisonrennen lassen vermuten: Ferrari hat die grössten Chancen, Mercedes regelmässig zu schlagen. Die weiteren Gegner sind derzeit zu wenig schnell.

Williams hat im Winter nicht jenen Fortschritt erreicht, um sie in Podestnähe zu bringen – die ersten drei Plätze teilten sich bei den Rennen in Melbourne, Sepang, Shanghai und Sakhir ausschliesslich die vier Piloten von Mercedes und Ferrari.

Red Bull Racing leidet an einem Renault-Motor, der weder kraftvoll noch standfest ist. Renault verspricht ständig Verbesserungen und mehr Power, gesehen haben wir bislang davon zu wenig. Das wird nicht reichen, um Mercedes und Ferrari zu beunruhigen.

Bei McLaren-Honda wurde zwar im Winter von Siegen geredet, aber davon sind Fernando Alonso und Jenson Button meilenweit entfernt.

Ferrari-Star Sebastian Vettel ist ganz auf der Linie des bodenständigen Teamchefs Maurizio Arrivabene, wenn der vierfache Formel-1-Weltmeister sagt: «Wir haben jetzt April. Die Saison ist sehr lang. Bis zu diesem Punkt dürfen wir sehr zufrieden sein. Viele sind überrascht davon, wie stark wir sind, auch in Bahrain. Das Ziel besteht darin, Mercedes einzuholen. Wir sind die Nummer 2, aber mit einem Respektabstand. Wir haben tolle Fortschritte erreicht, aber bevor wir in der Position sind, Mercedes regelmässig herauszufordern, wird es wohl noch ein wenig dauern. Wir müssen überall zulegen, und darauf konzentrieren wir uns nun. Wir sind nicht die Favoriten, wir sind die Herausforderer. Wir sind gut, aber wir können mehr.»

Insgeheim jedoch sieht der Plan bei Ferrari so aus: So viel als möglich punkten, in der Nähe von Mercedes bleiben, und dann dank der Verbesserungen beginnen, bei mehr Rennen siegfähig zu sein.

Der persönliche Fahrplan von Sebastian Vettel während seiner WM-Jahre mit Red Bull Racing hat noch immer Gültigkeit: «Jedes Rennen für sich betrachten, in jedem Grand Prix versuchen, das Beste herauszuholen. Und dann im Sommer mal beginnen, in der Tabelle nachzugucken, wo einen das hingebracht hat.»

Mercedes-Teamchef Toto Wolff befürchtet: «Die Bedrohung Ferrari ist echt. Von einer Dominanz von Mercedes kann keine Rede mehr sein, und Ferrari holt schnell auf. Wir müssen mehr machen, um unsere Position zu behaupten.»

Intern scheinen die Verhältnisse klar zu sein: Bei Lewis Hamilton gegen Nico Rosberg steht es 93:66 Punkte, bei Sebastian Vettel gegen Kimi Räikkönen 65:42.

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