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5. Februar 1999: Apokalypse rund ums BMW-Hochhaus

Kolumne von Uwe Mahla
5. Februar 1999: Apokalypse rund ums BMW-Hochhaus

5. Februar 1999: Apokalypse rund ums BMW-Hochhaus

Mittlerweile kennen alle, die es interessiert, die erstaunlich offenen Worte des früheren BMW-Entwicklungschefs Dr. Reitzle zu den Vorgängen rund um den spektakulären Wechsel im Vorstands-Vorsitz.

Ich habe hier einmal zusammengeschrieben, wie sich die Situation aus der Perspektive eines an der kommunikativen Umsetzung Beteiligten angefühlt hat – und noch anfühlt.

Winter 1998/99: Es rumorte seit Wochen rund um den Vierzylinder. Dunkle Wolken zogen auf, um das strapazierte Bild nochmals zu verwenden. Eine Hiobsbotschaft jagte die andere. Während die BMW Geschäfte prächtig liefen, stand es um die englischen Marken mittlerweile schlechter, als selbst die schlimmsten Pessimisten und Besserwisser befürchtet hatten. Die Verkäufe von Rover-Fahrzeugen sanken so tief, dass man allmählich beim besten Willen nicht mehr wusste, wo man die Halden-Autos noch verstecken sollte. Branchenspezialisten errechneten, dass BMW in England pro Tag drei Millionen Pfund Miese machte. Es war körperlich zu spüren: Da liegt was in der Luft.

Im Rahmen der hierarchischen Möglichkeiten war ich so weit eingeweiht, dass es am 5. Februar 1999 eine Aufsichtsrats-Sitzung geben würde, die mit Sicherheit eine Pressemeldung nach sich ziehen würde. Der Grad meiner Einweihung ging bis zu der Andeutung, es werde wohl auch personelle Veränderungen, wohl auf Vorstandsebene, geben. Etwas nahezu Undenkbares stand bevor: In einem Unternehmen, dessen zurückliegende Jahrzehnte von auffälliger Kontinuität in der Führung geprägt waren, stand eine außerplanmäßige Vorstandspersonalie an.

Wie geht man mit so etwas um, wenn man das professionell abarbeiten will, aber nur ein Mindestmaß an Informationen hat, dafür aber jede Menge inoffizielles Wissen und noch mehr Spekulationen der verschiedensten Couleur kennt. Und man darf ja auch niemanden fragen, geschweige denn Antworten erwarten. Also arbeiteten wir alle mit dem, was wir hatten, still vor uns hin. Versuchten, uns körperlich und mental auf den Tag X vorzubereiten. Dies erschwerten die, je näher der Tag kam, massiven, teilweise fast schmerzhaften Recherchen der internationalen Presse, die immer wieder von der Zuspitzung der Situation erfahren haben wollten, und Bestätigungen oder Dementi forderten.

Der 5. Februar rückte näher. Im kleinen Kollegenkreis hatten wir wieder und wieder durchgespielt, was denn alles passieren konnte. Fragen über Fragen – und jede gedachte Konstruktion hatte immer Auswirkungen auf alles andere. Was für eine Gemengelage an Fakten, die wir brauchen würden, um eine Pressemeldung abstimmungsreif zu machen, wenn es denn erst einmal so weit wäre.

Wir halfen uns mit zig Versionen, in denen wir alle für uns denkbaren Konstellationen einzeln formulierten. Dies in der Hoffnung, eine dieser Versionen würde den Vorgängen beim Aufsichtsrat entsprechen, und wir würden sie, wenn es denn so weit wäre, alsbald frei gegeben bekommen. Denn eines war uns schon jetzt klar: Uns würde wenig Zeit bleiben zwischen einer wie auch immer gearteten Entscheidung und dem Moment, da uns die Medien «die Bude einrennen», oder wie wir befürchteten, «die Hölle heiß machen» würden. In dem letzten Punkt sollten wir absolut Recht behalten.

Nun muss man wissen, dass der Morgen des 5. Februar 1999 ein Morgen zum Abgewöhnen war. Eisig kalt, ein gemeiner Ostwind, der das Verweilen im Umfeld des BMW Vierzylinders immer zu einer Art Survival-Training macht, und so eine fiese Schnee-Graupel-Regen-Mischung waagerecht in der Luft. Das sah man zwar von unserem 19. Stockwerk, man spürte es aber nicht. Bis der Werkschutz gegen neun Uhr anrief: «Bei uns stehen etwa 20 Journalisten, zum Teil mit Kameras. Die wollen hier rein.» Ich, im feinen dunklen Zweireiher, runter. Tumult, Unfreundlichkeiten, aggressive Stimmung. Die Journalisten waren von ihren Chefredakteuren zu BMW geschickt worden, sich parat zu halten, falls und sobald dort etwas passierte. Der Werkschutz ließ sie zunächst – weisungsgemäß – nicht im Foyer Unterschlupf suchen. Es musste eine Entscheidung herbei.

Da habe ich kurz mit Richard Gaul, dem Chef der Öffentlichkeitsarbeit, telefoniert, die Situation geschildert. Der hat mir alle Maßnahmen genehmigt, die ich für nötig hielt. Das Foyer wurde für die Journalisten frei geben. Ich bestellte Würschtel und Getränke für alle und so lange wie erforderlich, nicht ohne mich ordnungsgemäß nach der Kostenstelle befragen zu lassen, der dieser finanzielle Aufwand belastet werden sollte. (Sorgen haben die Leute!). Alsbald wollten die Journalisten, es wurden minütlich mehr, wissen, wie es weiter ginge. Wir wussten es auch nicht, nur dass der Aufsichtsrat mittlerweile tagte.

Es wurde zwölf, es wurde eins. Bei uns oben bewegte sich nichts. Dafür unten im Foyer umso mehr. Es war gegen 13 Uhr mit etwa 100 Menschen gerade noch komfortabel gefüllt. Die Menschen dort fühlten sich aber keineswegs komfortabel. Denn dauernd gingen ihre Handys. Man fragte sie, schon ungeduldig, ob es denn noch nichts zu berichten gebe. Ihre Auskünfte machten die Telefonate nicht bequemer. Wir Pressesprecher begaben uns halbstündig in dieses Chaos, immer schon von erhobenen Kameras erwartet, um mitzuteilen, dass es noch immer nicht mitzuteilen gibt. Wir wurden angemault – aber das mussten wir verstehen. Wann denn mit der Entscheidung zu rechnen sei? Ob man Interviews bekommen könne? Wie ist es mit Fernseh-Statements, von Führungskräften, von Pressesprechern? Wann man eine Pressemeldung haben könne? Fragen über Fragen, und keine davon beantwortbar. Wir planten „über den Daumen gepeilt“ und stellten in Aussicht, dass „erfahrungsgemäß“ so gegen 14 Uhr mit Informationen zu rechnen sei. Aber nichts Genaues wüssten wir nicht.

Es wurde zwei, drei, vier Uhr, und nichts geschah. Routinemäßiger Zwischen-Rapport für die wartenden Medien, mittlerweile wohl um die 150 Vertreter von Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk. Erstere inzwischen allmählich unruhig, denn der Redaktionsschluss kam näher. Nichts Neues. Nur draußen, da entwickelte sich ein Inferno. Es düsterte, der Wind frischte schmerzlich auf, ein Schneegestöber ging nieder und ein gigantisches Wintergewitter entlud sich rund ums Hochhaus. Es war eine gespenstische Szenerie, ein symbolgeschwängertes Unwetter, ein Blizzard wie aus dem Bilderbuch – eine wahre Apokalypse.

Endlich, irgendwann zwischen 18 und 19 Uhr – es war fast schon egal – kam Gaul mit einem Zettel an meinen Computer. Es waren die Notizen eines soeben geführten Telefonats mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Daraus entstand eine an Dürre kaum zu unterbietende, an Brisanz aber kaum zu überbietende Pressemeldung mit den personellen Veränderungen.

Der Rest war Routine, sehen wir mal davon ab, dass exakt in dem Moment, da wir die Freigabe für die Meldung hatten, unser Computersystem zusammenbrach, wir alles neu schreiben mussten und die Meldung dann per Fax, anstatt online, in die Welt hinausbliesen. Routine auch, abermals hinunter zu gehen zu der geschundenen Meute der Berichterstatter, denen längst sämtliche Felle davon geschwommen waren und die teilweise schon nicht mehr genug Energie hatten, um sie in Aggressivität umzusetzen. Wir verteilten dann brav unsere Pressemitteilung, und die Menge verflüchtigte sich.

Plötzlich war alles leer, richtig allein fühlte ich mich jetzt. Irgendwie erleichtert. Erst als ich gegen 23 Uhr vor meiner Haustür den Motor abschaltete, war mir richtig bewusst, was passiert war. Ich legte die Hände aufs Lenkrad, den Kopf darauf und blieb fünf Minuten still und gedankenverloren sitzen. Das Gewitter hatte sich unbemerkt verzogen. Der «Vierzylinder» stand wieder in seiner vollen Erhabenheit da, als wäre nichts geschehen.


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