KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Gerne Schiffchen fahren: So ungewöhnlich lobt Reitzle

Kolumne von Uwe Mahla
Prof. Wolfgang Reitzle war und ist einer der ganz großen Wirtschaftsmanager unserer Zeit

Prof. Wolfgang Reitzle war und ist einer der ganz großen Wirtschaftsmanager unserer Zeit

Prof. Wolfgang Reitzle war und ist einer der ganz großen Wirtschaftsmanager unserer Zeit. Unser Kolumnist Uwe Mahla berichtet heute von einem besonderen Erlebnis mit dem erfolgreichen Dynamiker.

Jedes Mal soll es etwas ganz Besonderes sein. Wir hatten schon Burgen gemietet, die tollsten Golf-Hotels überall auf dem Kontinent, ja der Welt genutzt, um unserem jüngsten «Baby» einen adäquaten Rahmen zu bereiten, in dem er der Weltpresse präsentiert werden sollte.

Eine Edelabsteige, ein Herberge in noch so schöner Landschaft, eine noch so originelle Location – letztlich alles schon da gewesen.

Und so kam es, dass ich mich mit einer Idee austoben durfte, die mich schon lange umtrieb. Man vertraute mir 1995 die Projektleitung für die Presseeinführung einer neuen Generation der 5er-Reihe an. Mir schwebte schon seit langem eine Veranstaltung «auf beweglichem Boden» vor.

Meine Überlegungen setzten sich beim Thema Schiff fest. Die Suche begann. Es müsste von A nach B fahren, die Gäste sollten in A ankommen, in B die Testfahrzeuge übernehmen und auf unserer vorgeschlagenen Route nach A zurückfahren, um von dort wieder abzureisen. Und das im Zweitagesrhythmus, sechs Wochen am Stück, so dass etwa 600 Tester bedient werden konnten. Nächste Überlegung: Wo geht das? Über das TV-Traumschiff geriet ich an die Reederei Deilmann, zu deren Fuhrpark das Katamaran-Flussreiseschiff «Mozart» gehörte – das mondänste Gefährt seiner Art zu dieser Zeit. Ausgestattet mit 70 luxuriösen Kabinen, einer exzellenten Küche und einer ausgewiesen erstklassigen Besatzung. Schnell war eine Route definiert, die die Logistik auf festem Boden ermöglichte. Wien – Melk.

Bedenkenträger mit großem Engagement

Wie nicht anders zu erwarten, traten alle Bedenkenträger mit großem Engagement auf. Es folgte der übliche Kleinkrieg, schließlich erfochten wir ein grundsätzliches grünes Licht. Der Kostenrahmen ließ sich nach zähem Ringen mit dem Controlling einerseits und der Reederei auf der anderen Seite zur Zufriedenheit fixieren. Bis zum Abschluss ging allmählich die Zeit aus, denn auch die Schiffsleute mussten wissen, woran sie waren, denn so ein Traumschiff wie die «Mozart» kann nicht wochenlang ungenutzt irgendwo herum dümpeln.

Jetzt galt es, noch zwei ganz schwierige Hürden zu überwinden. Das Entwicklungsressort und allen voran Entwicklungsvorstand Dr. Reitzle wollten geprüft wissen, ob die Eleganz des neuen Modells denn unter der niedrigen Schiffsdecke gebührend zur Geltung kommt. (Reitzle gehörte übrigens auch zu der Gruppe von Internen, die gern mal etwas spöttisch beklagten, dass «die Presseabteilung sich nicht mal was anderes einfallen lässt als die üblichen Nullachtfuffzehn-Veranstaltungen».)

Zu diesem Zweck wurde das Auto im Forschungszentrum in einen Raum mit entsprechender Deckenhöhe transportiert; das Ganze wurde dort kritisch betrachtet und für gut befunden. Daraufhin erhielt die Reederei den Auftrag. Zahlungsziel sehr kurzfristig.

Und jetzt kam der schlimmste Teil: Wo kriegt am in einem Unternehmen, das seinerzeit einen Jahresumsatz von 45 Milliarden generierte, auf die Schnelle eine Million her? (Eine Million, wohlgemerkt alles inklusive: Fahrten, 600 Übernachtungen, Speisen, Getränke, alles.)Sämtliche Controlling-Mechanismen liefen auf Hochtouren und die Zeit verrann. Irgendwann war ultimo. In der allergrößten Not sprang der Vorstandsvorsitzende, Bernd Pischetsrieder ein und gab kraft seines Amtes die Auszahlung frei.

Es kam zum Tag der ersten Präsentation. Ich holte unseren Entwicklungsvorstand vom Flughafen Schwechat ab. Auf der Fahrt zum Schiff ließ er sich von mir den genauen Ablauf erläutern, fragte ab und an mal nach und war alles in allem für seine Verhältnisse ganz relaxed. Telefonierte zwischendurch mal mit seinem Büro, blätterte in ein paar Unterlagen und machte insgesamt den Eindruck, als wäre er ganz guter Dinge. Dann erreichten wir das Kai, an dem majestätisch das gewaltige Schiff lag – wirklich ein eindrucksvolles Bild. Wir stiegen aus. Empfangen wurden wir von irgendwelchen wichtigtuenden Feuerwehrleute, die uns das Betreten der Gangway verweigerten.

Unwillen und Unverständnis

Dr. Reitzle sah mich mit einer Mischung aus Unwillen und Unverständnis an. Ich hatte keine Ahnung, was los war, bis einer der Feuerwehrler uns aufklärte: «Es wurde eine Fliegerbombe entdeckt. Bevor die entschärft ist, darf niemand am Bord.» Na servus. «Wie lange kann das dauern?»

«Sicher mindestens eine Stunde!»

Reitzle schaute mich an, als hätte ich persönlich die Bombe gelegt, um ihm hier die Zeit zu stehlen. Als derjenige, der hierfür verantwortlich war, hatte ich eine ziemlich unangenehme Stunde. Umso entspannter wurde ich, als wir schließlich an Bord gehen durften und uns für die zwei Stunden später beginnende Pressekonferenz verabredeten. Reitzle verschwand in seiner Luxuskabine.

Und ich dachte, alles ist gut.

18 Uhr, Pressekonferenz: Thomas Gubitz, der Chef der Produktkommunikation, begrüßte die Gruppe und übergab dann an Dr. Reitzle, der nun das neue Modell präsentieren würde. Piekfein wie immer, akkurat und elegant am Rednerpult stehend begann er seine Ausführung nach einer kurzen freundlichen Grußformel: «Wir haben es ja hier mit einer etwas ungewöhnlichen Location zu tun und ich muss Ihnen kurz schildern, was mir in den letzten Stunden widerfahren ist. Als ich hier am Kai ankam, herrschte Bombenalarm. Wie einige von Ihnen musste ich über eine Stunde in der gleißenden Sonne warten, ehe ich überhaupt erst einmal das Schiff betreten konnte. Gut, dachte ich, erst mal unter die Dusche. Leider kam kein heißes Wasser. Ich ging ans Telefon, um zu reklamieren. Es funktionierte nicht. Ich holte mir eine Flasche Mineralwasser aus der Minibar. Es war lauwarm. Kein Strom. Ich habe dann kalt geduscht und warmes Wasser getrunken…»

Während dieser Schilderung fingen die Journalisten an zu kichern und zu tuscheln. Das war eigentlich gar nicht der Stil, den sie von unserem obersten Entwickler kannten. Der machte eine kurze Kunstpause und fuhr dann fort: «Sie können sich vorstellen, dass ich das eigentlich nicht brauche…»

Es folgte eine weitere kurze Pause. Dann: «Und das alles nur, weil die Herren Gubitz und Mahla so gern Schiffchen fahren.»

Schallendes Gelächter, jeder hatte verstanden, so lobt Reitzle. Ohne die Miene zu verziehen ging der dann ansatzlos in wohl gesetzten Worten zu seiner Präsentation über. Kein Wunder, dass der anschließende Applaus in diesem Fall besonders lang anhielt.


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