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Coronakrise in Italien: 40 Tage in der roten Zone

Kolumne von Nora Lantschner
Seit 40 Tagen leben 60 Millionen Italiener mit massiven Einschränkungen. Genauso lang müssen die Fans schon ohne Motorrad-WM auskommen. Erste Vorschläge für eine Rückkehr in die Normalität sorgen für Stirnrunzeln.

Am Abend des 9. März wurde ganz Italien zur «roten Zone» erklärt. Damit stimmt die Dauer der Ausgangssperre so ziemlich genau mit der Zeit überein, in der wir schon ohne Motorsport auskommen müssen: 40 Tage. Und zugegeben, ich musste im Kalender nachzählen. Denn seit wir uns auch hier in Südtirol nur noch zum Einkaufen von der eigenen Wohnung entfernen, ist irgendwie jeder Tag gleich – gleich langweilig, um genau zu sein.

Das Wort Quarantäne leitet sich übrigens vom vulgärlateinischen «quarranta», also 40, ab. Denn um die Pest einzudämmen, führte Venedig im 14. Jahrhundert eine vierzigtägige Hafensperre für Schiffe ein. In Coronazeiten ist es in Norditalien mit 40 Tagen hingegen nicht getan.

Ein Mundschutz ist in der Autonomen Provinz Bozen bei Kontakt mit anderen Menschen inzwischen «Bürgerpflicht», als nachträgliches Ostergeschenk gab es von Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher aber eine erste Lockerung der Ausgangssperren: Seit dem 14. April dürfen wir uns zu Fuß wieder mehr als 200 Meter von den heimischen vier Wänden entfernen – natürlich nur allein. Sollten sich unsere Wege dennoch kreuzen, gilt Mundschutzpflicht und ein Sicherheitsabstand von drei Metern.

Die Bürgermeister der 116 Gemeinden können allerdings von ihrem Recht Gebrauch machen, die Richtlinien strenger auszulegen – so geschehen in der Stadt Bozen, wo man sich maximal 400 Meter von der eigenen Wohnung entfernen darf. Immerhin doppelt so viel wie vorher. Mindestens verdreifacht hat sich dadurch die Verwirrung. Was man wo genau machen darf, darauf geben selbst die Ordnungshüter keine übereinstimmenden Antworten.

Trotzdem: Nach fast sechs Wochen ein kleiner Schritt für die Freiheit – und ein großer Sprung für alle, denen längst die Decke auf den Kopf fällt. Auch die Region Venetien bewegt sich in eine ähnliche Richtung. Italienweit sind außerdem seit Dienstag die Buchläden und Kinderkleidungsgeschäfte wieder offen – das dürft vielen bekannt vorkommen, denn Deutschland folgte dem Beispiel.

Abwechslung gesucht: Virtuelle MotoGP und Plexi-Boxen am Strand

Schon am Ostersonntag bescherten uns Marc Márquez, Valentino Rossi und Co. mit ihrem virtuellen Auftritt zumindest ein bisschen Abwechslung und Unterhaltung. Ich persönlich finde am Controller nicht einmal den richtigen Knopf fürs Gas, aber trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) amüsiert mich die Live-Schaltung in die vier Wände der mehr oder weniger konzentrierten MotoGP-Stars an der Spielkonsole köstlich. Was ich mit dem morgigen Sonntag – ganz ohne virtuelle Zweirad-Action – anfangen soll, ist mir trotz besten Frühlingswetters dagegen völlig unklar.

Apropos Sonnenschein: Während die Regierung in Rom an einem Plan für die «Phase 2» arbeitet, mit dem wir nach dem 3. Mai Schrittweise wieder aus dem Lockdown in ein halbwegs normales Leben zurückfinden sollen, beschäftigt die Italiener vor allem ein Thema: Klappt es im Sommer 2020 trotz allem mit dem Strandurlaub?

An gewöhnungsbedürftigen Lösungen wird fieberhaft gearbeitet: Die Firma «Nuova Neon Group 2» aus Modena sorgt mit dem Vorschlag für Gesprächsstoff, Badeanstalten mit Plexiglas-Boxen auszustatten. Diese Boxen wären 2 m hoch und 4,5 m breit, verfügen über eine Eingangstür und bieten Platz für zwei Liegestühle und einen Sonnenschirm.

Falls am 13. September auf dem «Misano World Circuit Marco Simoncelli» für die MotoGP-Stars tatsächlich ein Geisterrennen möglich sein sollte, könnten die Italiener ja immerhin an der nahe gelegenen Adriaküste den Motorengeräuschen lauschen – vorausgesetzt, die Plexi-Box wird nicht auch noch schallisoliert.

«Das ist ein unannehmbarer Vorschlag. Jeder, der den Strandtourismus kennt, weiß, dass man Menschen bei 40 Grad unmöglich in einer Plexiglas-Box einschließen kann», erteilte Mauro Vanni, Präsident der Genossenschaft der Bademeister von Rimini, dem Vorschlag eine Abfuhr.

Alternativ denken einige Badeanstalten darüber nach, die Besucher durch einen Tunnel in Richtung Strand zu leiten und darin mit Desinfektionsmittel zu besprühen.

Übrigens: Damit sich die Italiener einen Urlaub überhaupt leisten können, wird die Einführung von sogenannten «Urlaubsvouchern» im Wert von bis zu 400 Euro diskutiert. Diese sollen natürlich nur für einen Sommerurlaub in Italien gelten. Wann Auslandsreisen wieder möglich sein werden, steht in den Sternen. Mit den Reiseverboten steht und fällt natürlich auch die Möglichkeit einer Fortsetzung der WM-Saison.

Erschreckende Zahlen und Hoffnungsschimmer

Ganz abgesehen von solchen Luxusproblemen wächst in Italien die Unruhe: Die Bevölkerung spaltet sich immer mehr in zwei Lager. Während die einen aus Furcht vor einer neuen Welle bereits kleine Lockerungen stark kritisieren, drängt die andere Seite auf eine schrittweise Aufhebung der Ausgangssperre und eine schnelle Wiederaufnahme der Produktions- und Arbeitstätigkeiten. Laut ISTAT, dem Nationalinstitut für Statistik, legt der Lockdown in Italien 2,1 Millionen Unternehmen (48 Prozent der Gesamtzahl) mit 7,1 Millionen Arbeitskräften lahm. Die wirtschaftlichen Folgen für das ohnehin schon hoch verschuldete Land sind unüberschaubar.

Unter anderem wandte sich der Gewerkschaftsverband ANCMA, der die Hersteller von Fahr- und Motorrädern vereint, in einem Brief an die Regierung in Rom: Im Vergleich zum Vorjahr sei der Markt im März um 66 Prozent eingebrochen. Weil sich der Verkauf im Zweirad-Sektor auf die Monate April bis Juli konzentriere, sei es überaus schwierig, einen Teil des Verlusts im verbliebenen Geschäftsjahr wieder aufzuholen, gab ANCMA-Präsident Paolo Magri zu bedenken.

Fakt ist: Die Kurve der Neuinfektionen flacht ab, die Zahlen sind aber weiterhin bestürzend. Der italienische Zivilschutzchef Angelo Borrelli vermeldete am gestrigen Freitag zwar mit 2563 Genesenen innerhalb von 24 Stunden den Höchstwert seit Beginn der Krise, gleichzeitig waren allerdings wieder 575 Todesfälle zu beklagen. Mit 3493 bestätigten Neuinfektionen liegt die Zahl der aktuell positiven Coronavirus-Fälle in Italien bei 106.962.

Das ISTAT rechnete vor, dass in den am schwersten betroffenen Gemeinden die Anzahl der Todesfälle vom 1. März bis 4. April im Vergleich zum Vorjahr drastisch nach oben schnellten. Allein in Bergamo starben in etwas mehr als einem Monat 729 Menschen, das ist ein Plus von 382,8 Prozent. Weitere Coronavirus-Hotspots in Norditalien verzeichneten ebenfalls erschreckende Anstiege: Piacenza + 309,1%, Cremona + 286,6%, Lodi + 261,5%.

Gute Nachrichten werden angesichts dieser Katastrophe dringend gesucht und verbreiten sich dann wie ein Lauffeuer im ganzen Land: Mit dem 18-jährigen Mattia konnte der jüngste Coronavirus-Patient auf der Intensivstation von Cremona in dieser Woche endlich aus dem Krankenhaus entlassen werden, während im Piemont Ada Zanusso die Lungenkrankheit trotz ihrer 104 Jahre besiegte – und damit Rossi-Fan Italica (102) den Rang ablief. Das dürfte «Nonna Lina» nichts ausmachen, denn mit dem Anruf des neunfachen Weltmeisters hat sich ihr Wunsch bereits erfüllt.

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