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Dirk Raudies: «Stefan Bradl kann vorne mitfahren»

Von Günther Wiesinger
Dirk Raudies bei der Arbeit für Eurosport

Dirk Raudies bei der Arbeit für Eurosport

1993 wurde der Oberschwabe Dirk Raudies 125er-Weltmeister, 1997 beendete er mit 14 GP-Siegen seine Karriere. Für TV-Sender Eurosport kommentiert er seit vielen Jahren als Experte die Superbike-WM.

Die Superbike-WM 2017 verspricht eine der besten aller Zeiten zu werden. Mit Markus Reiterberger und Stefan Bradl sind zwei Deutsche dabei, mit Randy Krummenacher außerdem ein Schweizer. Sieben Hersteller kämpfen bei 13 Events in voraussichtlich elf Ländern um den Titel.

SPEEDWEEK.com sprach mit Eurosport-Kommentator Dirk Raudies, Weltmeister des Jahres 1993 in der Achtelliter-Klasse.

Dirk, mit Stefan Bradl bekommt die Superbike-WM 2017 prominenten Zuwachs.

Ich habe die Hoffnung, dass die Superbike-WM in Deutschland durch den Stefan in diesem Jahr Zuschauer-technisch aufgewertet wird. Denn die Rennen also solche waren oft genau so spannend wie MotoGP, da hat nicht viel gefehlt.
Aber der Bekanntheitsgrad der Superbike-WM ist komplett am Boden.

Die Kawasaki-Dominanz der letzten Jahre war natürlich langweilig.

Ja, das ist klar.

Ich betrachte mich ja nicht als Superbike-Spezialist. Aber wenn van der Mark und Hayden in der WM 2016 die Plätze 4 und 5 erreichen konnten und dazu immer wieder Podestplätze, dazu kam der Regen-Sieg von Hayden in Malaysia, dann sollten für die Honda-Mannschaft mit der neuen Fireblade ja auch regelmäßig Top-5-Plätze möglich sein?

Das sehe ich auch so.

Das Erste ist: Der Nicky Hayden ist ein guter Anhaltspunkt, wenn man schauen will: Wo steht das Motorrad überhaupt?

Michael van der Mark war für mich überschätzt. Es hieß, er geht in die MotoGP und was weiß ich nicht alles, doch dazu haben ihm die Topergebnisse gefehlt. Wenn man in der Superbike-WM kein Rennen gewinnt, braucht man nicht von der MotoGP-WM träumen.

Der Nicky hat dem van der Mark öfter mal das Hinterrad gezeigt. Bei Honda war das Problem, dass das Motorrad 2016 auf manchen Strecken nicht besonders gut funktioniert hat. Und das lag definitiv am Leistungsmangel des Motors. Und dieses Manko sollte ja beim neuen Motorrad hoffentlich gelöst sein. Das lassen die technischen Daten erwarten.

Aber die Testfahrten mit der neuen 2017-Honda werden interessant. Dann wird sich zeigen, wie kommt das Team mit dem Motorrad zurecht?

Bei BMW haben sie genügend Leistung, nur die können die Power nicht gescheit nutzen.

Hat das Ten-Kate-Team in Zusammenarbeit mit Cosworth und Honda Japan genug Kapazitäten, um ein Sieger-Motorrad zu bauen, wenn sie nach zehn Jahren endlich wieder um den Titel fighten wollen? Das alte Bike ist ja fünf Jahre alt gewesen.

Ja, ich glaube auch, dass Honda bei der Rennsport-Technik auf genügend Ressourcen zurückgreifen kann. Da existiert ja auch Know-how aus der MotoGP-Klasse. Natürlich ist das SBK-Reglement anders, aber es gibt Lücken, die man nützen kann, und da hat Honda auch gewisse Erfahrungswerte. Ich denke, dass das Honda-Projekt recht vielversprechend wird.

Und was ich ganz stark glaube: Stefan Bradl hat das Potenzial, bei den Superbikes ganz vorne mitfahren. Er ist mit 27 Jahren noch jung, er kommt nicht in diese Rennserie, um dort seinen Lebensabend zu gestalten. Er ist hungrig auf Erfolge, er hat ein neues Aufgabengebiet, er ist entsprechend motiviert.

Wie gesagt: Die Kawasaki sind dominant, sie fahren auch stark, aber wenn Honda technisch nachlegen kann... Fahrerisch kann Stefan in der Superbike-WM sehr gut mithalten.

Ducati hat mit Chaz Davies 2016 sieben der letzten acht Rennen gewonnen. Wird diese Serie weitergehen?

Das ist schwer einzuschätzen. Es gibt jetzt eine Beschneidung beim technischen Reglement. Wie stark sich das auf die einzelnen Hersteller auswirkt, das muss sich zeigen.

Chaz Davies ist mittlerweile echt ein sehr guter Fahrer geworden. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als er im Team von Dieter Stappert die 250er-WM gefahren ist, da war er 08/15. Er hat sich entwickelt.

Die Frage ist: Was macht Melandri auf der zweiten Werks-Ducati? Kommt er wieder auf sein altes Niveau zurück? Können die zwei sich gegenseitig hochschaukeln?

Auf jeden Fall hat Davies im Vorjahr gezeigt, dass mit Ducati auf jeden Fall zu rechnen ist.

Einen Durchmarsch von Kawasaki wie im letzten Jahr, den sehe ich eher nicht. Aber vielleicht ist das auch ein bisschen Wunschdenken, damit es spannend bleibt.

Die ersten Testfahrten in Jerez und dann auf Phillip Island werden erste Aufschlüsse geben. Aber manchmal sind selbst Testfahrten nicht wirklich aussagekräftig, gelten tun nachher die Rennen.

Was ich bei den Superbikes recht gut finde, sind die vielen Rennen, immer zwei pro Wochenende. Das heißt: Hast du mal einen Ausrutscher, wirft dich das in der Tabelle nicht gleich so weit nach hinten.

Die Schlagkraft von Melandri ist schwer einzuschätzen. Kann man nach zwei Jahren Pause wieder zur alten Form finden? Noch dazu mit bald 35 Jahren?

Puhh. Das ist die große Frage. Die Pause von zwei Jahren sehe ich nicht als sooo kritisch. Das Alter auch nicht, seit wir wissen, was Rossi mit 37 noch alles anstellt.

Was ich kritisch sehe: Er hat die Motivation verloren, bevor er ausgestiegen ist, dadurch ist fahrerisch nichts mehr gegangen. Das Fahren hat er nicht verlernt.

Jetzt muss sich zeigen: Wird er im Alter mit seiner Erfahrung noch einmal so heiß, dass er vorne mitfahren und die andern schlagen kann? Das werden wir bei den ersten Rennen sehen. Niemand kann abschätzen, wie er sich entwickelt.

Bei wie vielen Rennen waren Lenz Leberkern und du letztes Jahr live dabei?

Lenz Leberkern hat sehr viele andere Verpflichtungen, deshalb hatte er für Misano und Lausitzring keine Zeit, wir waren nur in Assen, sonst nirgends, das war nicht ganz ideal. Jerez wäre auch interessant gewesen. Aber Lenz hatte überall Terminüberschneidungen; für mich wäre es kein Problem gewesen. Zum Finale nach Katar wäre ich auch gerne gegangen, das wurde aber nicht genehmigt.

Bisher war es so, dass wir zwei bis drei SBK-Meetings vor Ort machen durften, den Rest haben wir aus dem Studio kommentiert.

Wie es in diesem Jahr aussieht, weiß ich noch nicht genau.

Aber mit den Superbike-Piloten Bradl, Reiterberger und Krummenacher sollten die Quoten bei Eurosport steigen, dann dürft ihr vielleicht auch häufiger zu den Rennen reisen?

Ja, hoffentlich. Sinken wird das Interesse ganz sicher nicht, das ist klar. Gewisse Fans, die der Stefan Bradl mitbringt, werden jetzt zusätzlich die Superbike-WM anschauen.

Ich hoffe, dass er dementsprechend weit nach vorne kommt, damit nicht nur die Fachpresse über die Superbikes berichtet, sondern mal auch die Tagespresse, damit dann auch andere Sportbegeistert die Superbike-WM anschauen, also nicht nur die Hardcore-Fans.

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