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Offene Worte von Dominique Thury (Yamaha)

Von Thoralf Abgarjan
Thury wurde mit einer fragwürdigen Aktion vom Team unter Druck gesetzt

Thury wurde mit einer fragwürdigen Aktion vom Team unter Druck gesetzt

Dominique Thury hat mit seinem Wechsel in die USA Mut bewiesen, vor dem man nur den Hut ziehen kann. Sportlich läuft es in dieser Saison für ihn nicht rund. Deshalb hat er sich professionelle Hilfe gesucht.

In der Welt des Sports zählt allein Leistung. Der viel beschworene 'olympische Gedanke' kommt zwar in manchen Sonntagsreden immer wieder mal vor, aber im Motorsport zählen nun einmal Ergebnisse. In den USA hat dieser Leistungsgedanke noch eine ganz andere Dimension und der Bereich des Profisports ist ein einziges großes Haifischbecken.

Das wußte Dominique Thury, als er sich mitten in der Corona-Krise 2020 entschied, seine Zelte in Deutschland abzubrechen, seine Wohnung zu kündigen, sich von Freunden und Familie zu verabschieden und sein Hab und Gut zu verkaufen, um im vielbeschworenen 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' sein Glück zu suchen.

Von Anfang an war klar, dass dieses Unterfangen riskant werden wird. Schon nach wenigen Tagen musste er feststellen, dass Versprechungen nicht eingehalten wurden und häufig mehr Schein als Sein vorhanden ist. Bei Club MX wohnte er in einem 'Haus', das man hierzulande bestenfalls als Hundehütte bezeichnen würde. Die wenigen Quadratmeter Lebensraum musste er sich auch noch mit einem Mitbewohner teilen und dafür natürlich ordentlich Miete abdrücken. Sogar die Kosten für den Treibstoff musste Thury aus eigener Tasche zahlen.

Für Club MX war Thury damals aber ein sehr guter Deal, denn überregionale Medien berichteten kaum über dieses Privatteam, denn es gab zu jener Zeit weder Fahrer noch Stories. In den USA sorgte die Präsenz von Thury aber für einen Hype, denn für die Amerikaner kam er aus dem fernen Roczen-Country. Viele haben zwar keinerlei Ahnung, wo das liegt, aber allein diese Tatsache war zweifellos cool und brachte Aufmerksamkeit in TV und anderen Medien.

Durch seine regelmäßigen Vlogs in deutscher Sprache konnten die Fans in Europa das Leben von Thury im fernen Amerika fast in Echtzeit verfolgen. Sie erhielten Einblicke in ganz verschiedene Lebensbereiche des Motocross-Profis. So konnten sie erfahren, dass in den USA medizinische MRT-Bilder von privaten Unternehmen erstellt werden, die weniger kosten als die von Krankenhäusern. Nach Verletzungen zieht man sich die Klammern am besten selber raus, weil damit Kosten gespart werden. Wenn aber ein Fahrer nicht die erwartete Leistung bringt, wird gern einmal die Kommunikation seitens des Teams eingestellt – so geschehen bei Thurys Abschiedsvorstellung bei Club MX in Salt Lake City.

Das Leben in den USA war für Thury von Anfang an kein Zuckerschlecken. Dennoch ging es für ihn Schritt für Schritt weiter. Im letzten Jahr qualifizierte er sich regelmäßig für die Finalrennen der Westküstenmeisterschaften.

Dieses Jahr sollte besser werden. Nach der Trennung von Club MX fand er mit Solitaire SX ein neues Team. «Ich bin fit in die Saison gegangen. Mein Ziel waren die Top-10, was ich letztes Jahr schon geschafft hatte. Darauf wollte ich aufbauen. Stattdessen habe ich nur ein Finale in 6 Events erreicht. Nach einem oder zwei Rückschlägen kann man sich wieder aufrappeln. Wenn es aber immer wieder passiert, geht die Energie verloren, sich Woche für Woche neu zu motivieren.»

Das Team reagierte nach dem missratenen Saisonbeginn mit einer unterirdischen Aktion, die Thury weiter unter Druck setzte. In San Diego gaben sie ihm ein T-Shirt mit der Aufschrift: «It's me. I'm the problem.» (Ich bin es. Ich bin das Problem). Dass diese Aktion einen Sportler, der ohnehin in Problemen steckt, weder aufbaut noch motiviert, sondern noch weiter runterzieht, liegt auf der Hand.

«Ich befand mich seit Ende letzten Jahres in dem Dilemma, dass ich wusste, dass ich etwas ändern muss. Ich bin in eine Abwärtsspirale geraten. Ein Wochenende lief nicht gut. Also habe ich gesagt, das nächste Wochenende muss besser laufen. Deshalb muss ich noch mehr trainieren. Dann läuft das nächste Rennen noch schlechter – also noch mehr trainieren und noch weniger soziale Kontakte. In dieser Zeit habe ich mit meiner Freundin kaum geredet und mit anderen Leuten gar nicht mehr. Mir ging meine gesamte Lebensqualität verloren.»

So konnte es für Thury nicht weitergehen. Er entschied sich für professionelle Hilfe und suchte einen Sportpsychologen auf. «Ich arbeite jetzt schon seit 5 Wochen mit ihm zusammen. Das hat zwar noch nicht zu besseren Ergebnissen geführt, aber ich genieße wieder das Motorradfahren. Meine Lebensqualität hat sich deutlich verbessert. Ich habe schnell gelernt, dass Klicks mit guter Laune generiert werden und dass man Merchandising-Artikel mit positiven Emotionen verkauft.»

Seine Vlogs spiegelten also nicht immer die wahre Gefühlslage wider. In Wahrheit ging es ihm oft nicht gut: «Ich habe mich eine Zeit lang miserabel gefühlt, weil ich dachte, dass meine Leistungen die Fans enttäuschen. Ich habe mich wie ein Versager gefühlt. Erst jetzt ist mir klar geworden, dass ich meine Fans nicht nur wegen meiner sportlichen Leistungen habe, sondern weil ich authentisch bin und versuche, offen damit umzugehen. Ich grabe mich gerade aus dem schwarzen Loch heraus, das ich mir selber ausgehoben habe. Es ist an der Zeit, aus diesem Loch wieder herauszukommen und wieder zu meiner alten Form zu finden.»

Am kommenden Wochenende findet in East Rutherford das erste East/West Shootout des Jahres statt, bei dem es noch enger zugehen wird als sonst, weil die Fahrer der Ost- und Westküstenmeisterschaft in einem Rennen gegeneinander antreten. Letztes Jahr beim Saisonfinale von Salt Lake City schaffte der Schneeberger den Einzug ins East-West-Finale.

Auch wenn es am kommenden Wochenende damit nichts werden sollte: Glücksritter Thury hat uns in den letzten Jahren immer wieder viel Freude bereitet und mit interessanten Geschichten versorgt, wofür wir an dieser Stelle auch einmal Danke sagen! Er hat uns hinter die Kulissen geführt und Türen geöffnet, die sonst verschlossen bleiben. Wenn zu den guten Geschichten auch noch sportliche Erfolge dazukommen, ist das umso besser. Aber Erfolge sind nicht alles. Thury hat mit seinem Entschluss, als Einzelkämpfer in die USA zu gehen, in einem Maß Mut bewiesen, vor dem man nur den Hut ziehen kann.


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