Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Harald Ertl: Als ein Stern vom Himmel fiel

Von Rainer Braun
Am 7. April 2022 ist es 40 Jahre her, dass Harald Ertl, der gebürtige Österreicher mit deutschem Wohnsitz in Mannheim, drei Tage vor Ostern beim Absturz eines Privatflugzeugs ums Leben kam.

Harald Ertl galt als begnadeter Rennfahrer, der sich seine Karriere aus dem Nichts mit fast nichts zurechtgezimmert hatte. Für mich war er immer ein ganz besonderer Typ, eine Art stets gut gelaunter Lebenskünstler. Mit wenig Kapital eroberte er ab 1968 die Welt des Rennsports.

Den Tag unseres ersten Zusammentreffens werde ich nie vergessen. Beim Spessart-Bergrennen 1968 stellte er sich im Fahrerlager bei jedem seiner 14 Formel-V-Konkurrenten einzeln vor – allein das hatte schon Stil. «Ich bin der Ertl aus Österreich, wohne jetzt in Mannheim und starte hier zum ersten Mal in der Formel V-Klasse.»

Irgendwann stand er mit seinem Rübezahl-Bart auch vor mir und jammerte: «Ich bin ja noch neu hier und weiß überhaupt nichts über die Strecke und ihre Tücken.» In der Addition beider Zeiten rasierte der «nichts wissende» Mitbewerber Ertl mit seinem Austro V uns alle gnadenlos und gewann die Formel V-Klasse haushoch. Gleichzeitig beendete er damit auch meine stolze Serie von acht Berg-Siegen in Folge.

Oben im Zielraum hat er sich fast entschuldigt für seinen Husarenritt. Ich habe ihm gratuliert und vorgeschlagen, eine Geschichte über ihn für meine Zeitungs-Kundschaft zu machen. Schon eine Woche später stand ich mit einem Fotografen bei ihm in Mannheim auf der Matte.

Harald hatte fast alles, was man so braucht, um ein Großer im Rennsport zu werden. Talent, Cleverness, Technikverständnis, Car-Control und Verhandlungsgeschick – nur Geld hatte er nicht. Das fehlte ihm an allen Ecken und Enden. Und trotzdem zimmerte er sich nach der Formel V eine tolle Tourenwagen-Karriere zuerst mit Alfa und dann mit BMW-Alpina zusammen und konnte sogar bald von den noch schmalen Gagen leben.

Über die Formel 3 und Formel 2 auf den Geschmack gekommen, riskierte er 1975 auf privater Basis mit einem selbst gekauften Hesketh 308 und Warsteiner als Sponsor sogar den Einstieg in die Königsklasse. Als privater Formel-1-Unternehmer hielt er mit seinem Hesketh-Ford fast drei Jahre durch, startete bei 19 Grand-Prix und schaffte als beste Resultate immerhin fünf Mal den Sprung in die Top-Ten, als Siebter in Brands Hatch 1976, als Achter auf dem Nürburgring 1975 (in obigem Warsteiner-Auto), auf dem Österreichring und in Fuji 1976, als Neunter in Zolder 1977. Heute gäbe das eine stattliche Zahl WM-Punkte, damals aber fuhren nur die ersten Sechs Zähler ein.

1976 am Nürburgring gehörte Ertl zu jenen mutigen Piloten, die Niki Lauda aus seinem brennenden Ferrari zogen und vor dem Flammentod bewahrten.

Nach drei Jahren hatte ihn das Formel-1-Projekt fast an den Rand des finanziellen Abgrunds getrieben. Gerade noch rechtzeitig zog er die Notbremse und kehrte wieder zurück in den Tourenwagensport.

Dort sorgten seine Vertragspartner BMW-Schnitzer, Ford-Zakspeed und Sachs-Sporting glücklicherweise für bessere Zeiten. So verdankte er auch größten Teil seiner Popularität nicht etwa den Formel-Einsätzen, sondern den Starts im Tourenwagen. Der galt als seine Paradedisziplin, die er 1978 mit dem Gewinn der Rennsportmeisterschaft im Schnitzer BMW 320-Turbo krönte.

Unvergessen danach auch die hinreißenden Zweikämpfe im Turbo-Capri mit seinen Zakspeed-Teamkollegen Hans Heyer und Klaus Niedzwiedz. Sieben Capri-Siege sind eine wahrhaft stolze Bilanz, aber zu einem zweiten DRM-Titel hat es trotzdem nicht mehr gereicht.

Die Auftritte von Harald Ertl hatten immer hohen Unterhaltungswert. Egal ob Formel V, Formel 3 oder Tourenwagen – wenn er nicht grad das Auto weggeworfen hat, stand er meistens auf dem Podium.

Aus seiner wildesten Zeit ist ein Kommentar seines Formel-V-Teamchefs Kurt Bergmann übermittelt: «Der Ertl war ein Wahnsinniger – die schwierigsten Rennen hat er gewonnen und bei den leichtesten ist er rausgeflogen.»

Und aus den Tourenwagenschlachten bei BMW-Alpina zu Beginn der 1970er-Jahre stammt der hübsche Begriff «das Auto ist geertelt». Was bedeute, dass Harald wieder mal einen Totalschaden fabriziert hatte.

Fast genauso gut wie die Rennerei beherrschte Harald die hohe Kunst der Selbstvermarktung. Mit Überzeugungskraft und Geschick akquirierte er seine Sponsoren. Dafür opferte er sogar seinen wilden Rübezahl-Bart. Schritt für Schritt wurde daraus eine gepflegte Zwirbelbart-Konstruktion.

Und dann kam dieser verhängnisvolle 7. April 1982, ein frostig kalter Mittwoch, drei Tage vor Ostern. Harald war mit seiner Familie an Bord eines Privatfliegers auf dem Weg zu einem Kurzurlaub an die Nordsee. Bei Gießen stürzte die Beachcraft-Maschine ab, von den sechs Passagieren überlebten nur Ertl Frau und der vierjährige Sohn mit schweren Verletzungen.

ZDF und ARD brachten die Meldung vom Tod des populären Rennfahrers in ihren Nachrichten-Sendungen um 19.00 beziehungsweise 20.00 Uhr. Vor allem deutsche und österreichische Motorsport-Fans waren schwer geschockt. Es war, als sein ein Stern vom Himmel gefallen. Harald Ertl wurde nur 33 Jahre alt.

Als der Ertls Stern vom Himmel fiel, stand ein paar Tage später ein verwaister Renault 5-Turbo in den Startlöchern. Mit Renault Deutschland und dem Sportmagazin «Kicker» als Sponsor hatte Harald noch kurz zuvor eine gut dotierte R5-Europacup-Saison eingefädelt. Das Auto, als Riesenfußball lackiert, sollte zum Saisonauftakt in Hockenheim seinen Stapellauf absolvieren.

Auf Bitten von Renault-Sportchef Rolf Schmidt übernahm Ertls Ford-Weggefährte Hans Heyer das Auto. «Kein schöner Job», sagte Hans damals traurig, «aber ich habe mit der Kiste wenigstens eine gute Show abgezogen, so wie das auch der Harald gemacht hätte.»

Die Nummer war in der Tat nicht schlecht: Von Startplatz 24 pflügte Heyer innerhalb weniger Runden durchs gesamte Feld und griff sogar mehrfach nach der Spitze. Das vollbesetzte Motodrom tobte vor Begeisterung. Heyer beendete die gigantische Windschattenschlacht als Vierter, im Ziel hintergründig grinsend: «Das war ich dem Harald als Ersatzchauffeur einfach schuldig, ich hoffe, er hat von oben zugeschaut und war zufrieden mit mir.»

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