Florian Modlinger: «Das verlangt Fingerspitzengefühl»

Florian Modlinger
Samstag und Sonntag (jeweils 8.05 MESZ) fährt die Formel E das nächste Doppel in Tokio. Knapp vor Halbzeit der Saison 11 zieht Porsches Projektleiter Florian Modlinger im SPEEDWEEK.com-Gespräch eine Zwischenbilanz.
Florian Modlinger, kannst Du bisher zufrieden sein?
Am wichtigsten ist für mich, dass unser Paket auf allen Strecken konkurrenzfähig ist. Auch wenn wir in Mexiko und Miami Doppelpodien erreichten und derzeit die Teammeisterschaft anführen, hätten wir in den ersten Saisonrennen noch viel mehr Punkte holen können, ohne die Kalamitäten in Jeddah oder Pascals Überschlag in São Paulo. Oder zuletzt in Monaco bei Pascals zu langsamem Pitboost-Stopp, der uns die Siegchance am Samstag gekostet hatte. Das war unser eigener Fehler.
Apropos Boxenstopp zum Schnellladen – eine gelungene Neuerung?
Der Pitboost war lang in Entwicklungs- und Beobachtungsphase. 600 kW Leistung sind natürlich sehr beeindruckend und faszinierend. Er ist ein Showcase, um zu zeigen, was in der Formel E alles möglich ist – nämlich zehn Prozent Batteriekapazität in 30 Sekunden zu laden. Den Pitboost gibt es in diesem Jahr bei je einem der Doubleheader, und nach der Saison wird man darüber diskutieren und Schlüsse ziehen, wie es damit weitergehen wird.
Wie stehen die WM-Chancen?
Die Führung in der Teamwertung ist fein, aber wir sind noch in der ersten Meisterschaftsphase. Und es zeigt sich immer wieder, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss – wozu auch Glück gehört. Wir haben zwei Fahrer, die beide Weltmeister waren und das Potenzial für weitere Titel haben.
Doch Nissans Oliver Rowland dominierte zuletzt deutlich.
Man muss auch realistisch sagen, dass der Abstand zu Oliver in der Fahrerwertung wieder ein Stückchen wuchs, weil Oli in Monaco ein ganz starkes Wochenende fuhr. Da müssen wir alles dafür geben, um uns wieder heranzukämpfen.
Wie siehst Du Porsches Leistungskurve seit dem Einstieg in die Formel E (Saison 6, 2019/20)?
Porsche ist erst mit dem Gen2-Auto in die Formel E eingestiegen und entwickelte ab Gen3 alles selbst. Ich kann nur über unser Auftreten seit Saison 8 sprechen, als ich zum Team stieß. Klar ist, dass wir uns durch das Arbeiten an eigenen Schwächen jedes Jahr gesteigert haben. Das zeigt auch die Teamwertung, nicht nur der Meilenstein dieses Projekts für Porsche, nämlich der Fahrertitel im Vorjahr für Pascal (Wehrlein). Bei der Leistungsdichte sieht man immer wieder, auf welche auch kleinste Details es ankommt, um konkurrenzfähig zu sein. Ich möchte noch anfügen, wenn man die Zahl der Siege in Relation zu gefahrenen Rennen stellt, sind wir das erfolgreichste Team.
Was erwartest Du mittel- und langfristig?
Wir sind komplett auf diese Saison und das jeweils nächste Rennen fokussiert. Über die Zukunft denken wir später nach.
Es kommt die vierte Autogeneration. Wie weit seid Ihr?
Die Entwicklung des Gen4-Autos muss man von zwei Seiten betrachten: Wir sind für unseren Teil, sprich den Antrieb verantwortlich, der Rest liegt in Händen der FIA, die uns über alles regelmäßig in der Arbeitsgruppe informiert. Ich bin mit unseren Fortschritten sehr zufrieden. Wir hatten aber noch keinen Test. Wir müssen zuerst sicherstellen, alle Teile von Zulieferern zur Verfügung zu haben.
Wie lässt sich alles im begrenzten Budget unterbringen?
Das Einsetzen unserer Mittel im Rahmen der Budgetgrenze verlangt Fingerspitzengefühl, denn wir hatten zuletzt den WM-Kampf mit dem Gen3-Auto, bereiteten Gen3-Evo vor und arbeiten schon an Gen4. Das sind drei Projekte für ein Budget. Da muss man genau abwägen, wieviel wo eingesetzt wird. Das ist eine große Aufgabe für das Team der Entwickler. Und es gibt ja zwei Budgetgrenzen, die eine für den Hersteller – also die technische Entwicklung des Antriebs – und die andere für die Teams für den Betrieb in der laufenden Saison.
Bist Du mit dem Zuschauer- und Medienecho auf die Formel E zufrieden?
Der Zuschauerzuspruch zu den Rennen ist je nach Austragungsort sehr unterschiedlich. Wenn ich zuletzt in Monaco auf die Tribünen blickte, waren sie dicht gefüllt. Für das TV-Publikum muss deutlich mehr Aufmerksamkeit auf die Formel E kreiert werden, und man muss auch schauen, auf welchen Sendern die Serie läuft. Wir brauchen mehr Bewusstsein für das Produkt Formel E in der breiten Masse. An manchen Schauplätzen ist die lokale Promotion gut, in anderen Städten wiederum ist kaum bekannt, dass die FE hier fährt. Man muss auch bei Spannungselementen wie Pitboost oder Attack Mode aufpassen, dass es für die Zuschauer nicht unübersichtlich und zu komplex wird.
Wie eng sind die Formel E und die Serienentwicklung der E-Autos verknüpft? Und schadet die aktuelle Absatzflaute in der Serie dem elektrischen Rennsport?
Die Formel E ist die etablierteste Elektro-Rennserie der Welt, eine offizielle Weltmeisterschaft. Es geht global in Richtung Elektromobilität. Man kann nur spekulieren, ob der Absatz von E-Autos Einfluss auf die Formel E hat. Bei Porsche sind die Techniker in einer Matrix strukturiert, will heißen, dass die Spezialisten der Formel E mit den Entwicklern der Serienproduktion im gleichen Büro sitzen und daher in ständigem Austausch sind.
Zusätzlich nutzt man auch die Erfahrungen aus der Formel E zur direkten Weitergabe an Kunden bei speziellen Events, wie zuletzt in Barcelona. Durch den Motorsport werden die Grenzen ausgelotet und weiter verschoben. Ein Beispiel ist das Schnellladen, das in der Formel E jetzt schon mit 600 kW erfolgt, in der Serie liegt das Maximum bei 300 bis 320 kW. Auch die Rekuperationsleistung ist ein gutes Argument dafür, dass der Motorsport vorangeht und die Serie umgehend folgt. Oder auch die Kühlung der E-Maschinen.
Was werden die Gen4-Autos bieten?
Die Gen4-Autos werden an die 600 kW oder 800 PS haben und damit noch viel schneller als die jetzige Generation sein. Wer die Leistung der Gen1 vor elf Jahren mit den aktuellen und kommenden Autos vergleicht, kann feststellen, wie schnell sich die FE in allen Bereichen weiterentwickelt hat.
Pascal Wehrlein und António Félix da Costa, Deine beiden Werkfahrer, sind derzeit auch auf der Langstrecke unterwegs. Kann sich das ausgehen?
Die Einsätze von Pascal in Spa und Le Mans und von Antonio in den 24 Stunden dürfen und werden nicht die Arbeit in der Formel E beeinträchtigen. Da darf es keine Kompromisse geben. Als wir darüber diskutierten und den Kalender betrachteten, kamen wir zum Schluss, dass die Einsätze möglich sind. Aber die Formel E hat für beide Priorität. Man könnte sagen, sie machen die Langstrecke in ihrer Freizeit.