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30 Jahre Mauerfall: Motocross in der DDR

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Wer in der früheren DDR ernsthaft Motocross auf internationalem Niveau betreiben wollte, musste sich hart durchbeißen. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer werfen wir einen Blick hinter die Kulissen.

Ohne den Motocross in der früheren DDR hätte es die Karrieren eines Ken Roczen und Henry Jacobi nicht gegeben. Motocrosser im Osten mussten besonders viel Biss, Leidenschaft und Leidensfähigkeit mitbringen. Einer von ihnen: Heiko Klepka, der Vater von Ken Roczen. Kenny selbst kennt die DDR nicht, er kam erst 5 Jahre nach dem Fall der Mauer zur Welt. Das Renn-Gen und seinen Biss bekam er aber vom Vater in die Wiege gelegt.

In der DDR gab es sehr viele Motocross-Rennstrecken. Teilweise entstanden sie wild - schließlich benötigte man dafür kaum Baumaterial, welches in der DDR Mangelware war. Die meisten Strecken von damals existieren heute nicht mehr. Dazu kam, dass 'dirt-bikes' bei Jugendlichen beliebt waren. Simson-Mopeds und MZ-Motorräder aus den 1970er und 1980 Jahren würden wohl heute die Marketingbezeichnung 'Scrambler' tragen: Sie waren mit ihren Profilreifen durchaus geländegängig - ein wichtiges Feature bei dem Zustand der ostdeutschen Straßen! Ein weit verbreitetes Ritual war die Jugendweihe mit 14 oder 15 Jahren, vergleichbar mit der Firmung, bei der es üblicherweise Geldgeschenke gab (und teilweise heute noch gibt). Mit diesen Einnahmen kaufte sich der Jugendliche entweder einen 'Stern-Recorder' (Kassettenaufnahmegerät typischerweise zur Aufnahme von 'West'-Musik) oder ein Moped. Die Mädchen kauften sich damit eine Simson 'Schwalbe' (die inzwischen zum Kultobjekt avancierte), die Jungs einen Simson 'Star' oder in den 80ern ein Simson-S-50, das es später auch in einer Enduro-Version gab. Nach Schulschluss fanden dann auf Äckern, Feldwegen, Abraumhalden, Tagebauen oder Wäldern der DDR wilde und natürlich illegale Rennen statt. Aber darum kümmerte sich keiner, nicht einmal die Stasi.

Nachwuchs gab es in der DDR zur Genüge. Dem Sport wurde allgemein auch in der Schule hohe Bedeutung beigemessen. Trotzdem war es schwierig, Motocross als Leistungssport zu betreiben, denn in der Zeit nach den WM-Erfolgen von Paul Friedrichs (1966-68) wurde Motocross als nicht-olympische Disziplin per Politbürobeschluss als nicht mehr förderungswürdig deklariert - mit dramatischen Folgen, denn DDR-Spitzensportler durften fortan nicht mehr ins 'kapitalistische' Ausland reisen und folglich nicht mehr an der WM teilnehmen.

Im Gegensatz zu den MZ und Simson Serienmotorrädern, die - sofern die finanziellen Mittel vorhanden waren - für jedermann zur Verfügung standen, waren reine Motocross-Sportmotorräder extrem rar und vergleichsweise teuer (ca. 8.000,- Ostmark bei einem Durchschnittseinkommen von 1.000,- Ostmark). Abgesehen davon, dass es ausschließlich CZ-Sportmotorräder gab, waren diese nur über wenige Motorsportclubs zu bekommen. Wer Talent und Glück hatte, konnte sich bei den größeren Clubs wie MC Dynamo Magdeburg, MC Dynamo Erfurt oder MC Kali Merkers für ein 'Sichtungstraining' bewerben, bei denen einige wenige reinrassige CZ-Motocrossmaschinen an junge und hoffnungsvolle Talente vergeben wurden. Alle Motorsport-Clubs waren im Dachverband ADMV (Allgemeiner Deutscher Motorsport Verband) organisiert, den es übrigens noch heute gibt.

In kleineren Motorsportclubs gehörten manchmal ein oder zwei Sportmotorräder zum Clubeigentum, die an Talente verliehen wurden. Verschleiß- und Ersatzteile gab es nicht zu kaufen. Diese mussten 'organisiert' werden, meist mit Tauschgeschäften. Es gab in der DDR die A-Lizenz für die DDR-Meisterschaften, die in den Klassen 125ccm, 250ccm und 500ccm ausgetragen wurden. Da es viele Ausfälle durch technische Defekte gab, wurden Streichresultate eingeführt. Die zweite Liga waren die Fahrer der B-Lizenz, welche eine so genannte 'DDR-Bestenermittlung' absolvierten. Dazu wurden Junioren- und Jugend und Bezirksmeisterschaften ausgefahren. Außerdem gab es 'motorsportlichen Breitensport' in der 'GST' (Gesellschaft für Sport und Technik), die mit seriennahen und geringfügig modifizierten Serien-Motorrädern (MZ) eigene Enduro- und kleinere Crossveranstaltungen organisierten. Die 'GST' wurde vom Staat gefördert, hatte sie doch die vorrangige Aufgabe, militärischen Nachwuchs für die NVA (Nationale Volksarmee) zu rekrutieren. Entsprechend war die GST auch parteipolitisch gefärbt.

Um als aktiver Rennsportler Wettbewerbe im 'sozialistischen' Ausland bestreiten zu können, musste man in erster Linie Leistung zeigen. Es gab Partnerclubs, meist in der CSSR, die Fahrer mit Leistungspotenzial einladen durften und umgekehrt auch. Die Top-Leistungsträger wurden für die Nationalmannschaft beim Pokal für Frieden und Freundschaft nominiert, eine Art Ostblock-WM, aber eben doch etwas anders.

Ostblock-WM: Pokal für Frieden und Freundschaft
Die Rennen um den 'Pokal für Frieden und Freundschaft' waren sehr speziell. Sie wurden nach dem Prinzip des 'Motocross der Nationen' ausgetragen. In jedem 'Bruderland' gab es genau ein Rennen pro Jahr, d.h. in der Sowjetunion, Polen, DDR, CSSR, Ungarn, Rumänien und in Bulgarien. Die Nationalmannschaften bestanden aus jeweils 3 Fahrern (250ccm, Senioren) und 4 Fahrern (125ccm, Junioren), Der Gastgeber konnte zwei Mannschaften aufstellen. Die Rennen in der DDR fanden in den 1980er Jahren entweder auf der 'Alten Warth' in Gumpelstadt (MC Kali Merkers) oder im Talkessel von Teutschenthal statt.

Obwohl die Fahrer aus dem Ostblock weitgehend abgeschirmt von der internationalen (WM)-Bühne ihr eigenes Süppchen kochen mussten, hatten die Rennen um den Pokal der Freundschaft einen besonderen Charme und ein hohes sportliches Niveau: Immer wieder tauchten Namen wie Gennadij Moiseev, Dimitar Rangelov oder Zdenek Velky auf, die WM-Erfahrungen mitbrachten. Der Bulgare Rangelov hatte es noch 1980 zu Rang 3 in der 250ccm-WM gebracht, hinter Georges Jobé und Kees van der Ven.

In der CSSR gab es noch bis zur politischen Wende mehrere WM-Protagonisten: Der Tscheche Petr Kovar war der letzte WM-Pilot des Ostblocks, der es noch 1987 in Holice aufs Grand-Prix-Podium schaffte. Doch da hatte er seine Werks-CZ längst gegen eine Serien-Kawasaki eingetauscht. Auch Rangelov wechselte Mitte der 1980er Jahre auf die wassergekühlte 250er Kawasaki mit 'Uni-Trak'-Zentralfederung, die er natürlich auch bei den Pokalrennen einsetzte. Immer mehr Fahrer tauchten in den 1980er Jahren beim Pokal der Freundschaft mit mehr oder weniger 'getarnter' West-Technik auf: Die Bulgaren standen mit SWM-Bikes am Start, die Ungarn mit Yamaha und Suzuki und die Sowjets mit 'Vostok' und 'Voschod', Motorräder, bei denen niemand genau wusste, was sie in Wirklichkeit waren. Aber sie gingen verdammt gut. Wie in der großen Politik, so waren die Sowjetrussen als 'Großer Bruder' auch im Motocross meist die Sieger. Fairerweise muss man dazu sagen, dass sie auch tatsächlich stets hochkarätige Piloten am Start hatten. Die Sowjets waren zum Siegen verdammt: Entweder du gewinnst, oder bist beim nächsten Rennen draußen - so einfach war das damals!

Zurück zum DDR-Motocross: Die Entwicklung der tschechischen CZ stagnierte und geriet im internationalen Vergleich immer weiter ins Hintertreffen, während die Japaner speziell in den 1980er Jahren jährlich neue und richtungsweisende Innovationen brachten: Mehr Leistung durch Wasserkühlung, progressiv wirkende Zentralfederung, Massenzentralisierung, Ein- und Auslass-Steuerung usw. Wer konnte, versuchte also auch in der DDR an Technik des Westens zu gelangen, um international und national konkurrenzfähig zu sein. Laut Reglement waren diese 'Eigenbauten' illegal und führten zu Diskussionen und Disqualifikationen. Die gelben, roten und grünen Plastikteile wurden mit - nach damaligem Zeitgeist - extrem hässlichen Farben umlackiert: Grau oder militärgrün. Heute fände man die Farben vielleicht wieder cool, aber das ist ein anderes Thema. Immer mehr 'Eigenbauten' tauchten auf den Strecken auf. Diese Situation führte in der DDR zur Einführung einer Extraklasse neben den eigentlichen Hubraumklassen. Sie wurde 'Spezialtechnik' genannt. Als Eigenbauten getarnte Suzukis, Hondas, Yamahas, KTMs und Kawasakis wurden so indirekt legalisiert, waren aber in Programmheften immer noch als 'Eigenbauten' ausgewiesen. Auch gab es skurrile Bezeichnungen wie 'LHE' (Lok Halle Eigenbau). Die Klasse der 'Spezialtechnik' ermöglichte in den späten 80er Jahren, also kurz vor der politischen Wende, den Einsatz von wassergekühlten Zylindern, die allerdings auf ein CZ-Gehäuse montiert werden mussten. Das war die verordnete Bedingung. Diese vergleichsweise archaischen Motorgehäuse waren aber viel zu groß und ausladend für die Rahmen der schlanken japanischen Maschinen. Stellen Sie sich die folgende fatale Situation vor: Das Bike, welches sich der Fahrer unter schwierigsten Umständen 'besorgt' hatte, durch Tauschhandel, dutzende Paketsendungen aus dem Westen oder andere illegale Manöver, musste im wahrsten Sinne des Wortes ZERSÄGT werden. Der Rahmen wurde mit der Flex komplett zertrennt und mit Distanzstücken so weit 'verlängert', dass das CZ-Gehäuse mit dem wassergekühlten Zylinder wieder in den Rahmen passte. Dazu musste noch eine eigene Wasserpumpenlösung gefunden werden, denn CZ hatte nur luftgekühlte Motoren. Der verlängerte Rahmen hatte natürlich nun eine komplett andere Geometrie zur Folge. Der Radstand war viel zu groß. Die Bikes wurden dadurch unhandlich und verloren ihr Wendigkeit. Das Getriebe hielt dem massiven Leistungszuwachs des leistungsstärkeren Zylinders oft nicht stand.

Die Situation im Motorsport der DDR versinnbildlicht die Gesamtsituation, in der sich die ganze DDR-Gesellschaft in jener Zeit befand. Es herrschte eine allgemeine und latente Unzufriedenheit. Die Bikes waren marode, das ganze DDR-System war marode. Jeder wollte eigentlich nur noch raus: Raus aus dem beengten und kleinkarierten System der Binnenwirtschaft, raus in die Welt und in die Freiheit.

Mit dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks waren natürlich auch die Pokalläufe Geschichte, die 'Nations des Ostens'. Trotz oder gerade wegen der Umstände: Es waren trotzdem tolle Rennen mit Besucherzahlen, von denen man heute nicht einmal mehr träumen kann. Wer hier für die DDR am Startgatter stand, hatte sich allein durch Leistung qualifiziert. Heinz Hoppe, Helmut Schadenberg, Manfred Stein, Torsten Wolff, Norbert Müller, Klaus Hünecke, Falk Rudolph, Uwe Martin, Matthias Ernst, Gunter Frohn, Peter und Eberhard Wolf, Jens-Uwe Jahnke - um nur einige Namen zu nennen. Nicht zu vergessen: Ein gewisser Harald Pfeil, heute Inhaber und Teamchef von Pfeil Kawasaki.

Jens-Uwe Jahnke ist heute übrigens Clubvorsitzender des MSC Teutschenthal. Torsten Wolff ist weiterhin beim MSC-Drehna aktiv. Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer bleiben sie im Sport engagiert. Wie eingangs erwähnt: Wer Motocross in der DDR betrieben hat, musste ziemlich viel Biss und Leidensfähigkeit mitbringen, vielleicht nicht mehr als im Westen, aber allemal anders. Der MSC Teutschenthal hat es geschafft, der einzige Grand-Prix-Standort im vereinigten Deutschland zu werden. Der Motorsportclub hat damit eine der ansonsten recht raren ostdeutschen Erfolgsgeschichten geschrieben. Ken Roczen ist als Kind des Ostens der einzige deutsche Weltmeister nach Paul Friedrichs und ist in den USA zum gefeierten Superstar avanciert. 30 Jahre nach dem Mauerfall darf man auf so etwas auch ein wenig stolz sein, und zwar nicht nur im Osten.

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