Fazit Türkei: Hat‘s Sébastien Ogier schon vergeigt?
Sechster Titel in weiter Ferne – der Tabellendritte Sébastien Ogier
Tabellenrang drei – so schlecht platziert war Weltmeister Sébastien Ogier soweit in der Saison schon seit 2012 nicht mehr. Jenem Jahr, in dem er den VW Polo WRC zum Siegerauto entwickelte und im Skoda Fabia S2000 nur in der «Zweiten Liga» fuhr. Seit der Rallye Türkei am vergangenen Wochenende ist der sechste Titel in Folge für den Franzosen in weite Ferne gerückt. Und daran ist er zum großen Teil selbst schuld.
Dabei hatte er zusammen mit Beifahrer Julien Ingrassia zunächst mit heldenhaftem Einsatz seinen Ford Fiesta im Rennen gehalten. Mit Bordmitteln – und verbaler Unterstützung durch Teamkollege Elfyn Evans und WRC-Urgestein Henning Solberg – hatten sie am Straßenrand eine gebrochene Radaufhängung in einer Manier repariert, die McGyver alle Ehre gemacht hätte. Inklusive Befestigung eines Querlenkers mit Hilfe von Kabelbindern. «Genau wegen solcher Leistungen ist Ogier Weltmeister», lobte Teamchef Malcolm Wilson.
Okay, die Führung war aufgrund der durch die Reparaturzeit eingefangenen Zeitstrafe dahin. Aber ein Platz auf dem Podium war immer noch greifbar. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Rückstand zum späteren Sieger Ott Tänak nur zehn Sekunden. Ein Rang drei wäre angesichts des Ausfalls von Titelkonkurrent Thierry Neuville Gold wert gewesen.
Aber was machte Ogier stattdessen? Rodelte in einer der langsameren Ecken von der Piste. Der Fiesta steckte fest. Ausgerechnet an dieser Stelle war keiner der – ohnehin überraschend wenigen – Zuschauer zwecks Schiebung zur Stelle. Die beiden Weltmeister mussten mit praktisch unbeschädigtem Auto aufgeben.
«Das war der dümmste Fehler meiner Karriere», fluchte Ogier selbstkritisch. Vielleicht auch der teuerste. Denn im Dreikampf um die WM-Krone 2018 ist der Titelverteidiger seitdem nur noch Außenseiter. Auch wenn der Abstand zu Tabellenführer Thierry Neuville mit 23 Punkten konstant geblieben ist.
Aber spätestens seit seinem vierten Saisonsieg ist sowieso Ott Tänak Titelkandidat Nummer eins. Der ungestüme Crashpilot vergangener Jahre scheint zum besonnenen Routinier gereift. «Wir waren nicht die Schnellsten, aber die Schlausten», lautete seine Analyse. Wie er, nach der ersten Etappe nur bescheidener Fünfter, stur sein eigenes Tempo weiterfuhr und abwartete, bis einer der vor ihm platzierten Fahrer nach dem anderen in Schwierigkeiten geriet, war beinahe schon weltmeisterlich. Genauso hätte es Sébastien Ogier noch letztes Jahr gemacht.
Warum 2018 nicht mehr? «Ich habe eine Ansage von Julien überhört und war einfach zu schnell.Vielleicht war ich wegen der körperlichen Anstrengung während der Reparatur unkonzentriert?» suchte er eine Erklärung für seinen Fahrfehler vom Samstagnachmittag.
Vielleicht wird Ogier aber auch immer deutlicher bewusst, dass das noch mit schmalem Budget operierende Team M-Sport mit jeder Rallye gegenüber den echten Werksteams von Hyundai und Toyota weiter abfällt? Sogar die gebeutelten Citroën waren in der Türkei anfangs schneller.
Allerdings hat sich speziell Hyundai auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Der Ausfall von Neuville geht zum größten Teil auf das Konto der Technik. «Ich wollte, ich hätte so hilfreiche Teamkollegen wie Ogier», legte der Belgier noch einen drauf. Der Weltmeister hatte zum zweiten Mal in der laufenden Saison an sich unverdient einen WM-Punkt abgestaubt, weil sich der eigentlich besser platzierte Teamkollege Evans «freiwillig» verstempelte.
Seine eigenen Flügelmänner Andreas Mikkelsen und Hayden Paddon waren dagegen, so Neuvilles merkwürdige Logik, nicht in der Lage, Ott Tänak am Siegen zu hindern. «Ich würde mich nicht wundern, wenn Ogier sogar Tänak im Titelkampf unterstützt», witterte Neuville gleich auch noch eine Verschwörung.
Die Rallye Türkei hat noch eine andere Frage aufgeworfen. Ist die sogenannte 2017er Generation der World Rally Cars zu schwach für einen derart harten WM-Lauf. Die Hälfte aller Werkspiloten hatte zu irgendeinem Zeitpunkt mit technischen Defekten zu kämpfen. «Die härteste Rallye seit Jahren», urteilte Sieger Tänak.
Tatsache ist: Als die 2017er WRC entwickelt wurden, war die Rallye Italien auf Sardinien und die Rallye Argentinien der Maßstab, was harten Schotter angeht. Und wie jedes Rennauto, wurden die damals neuen WRC exakt ans Limit heran konstruiert. Mit der Aufnahme der Rallye Türkei in den WM-Kalender hat die FIA diese Grenze nach oben verschoben. Das von anderen Rallyes gewohnte Tempo hielten die aktuellen Autos praktisch erwartungsgemäß nicht aus.
Das schien nur das Toyota-Duo Ott Tänak und Jari-Matti Latvala zu kapieren. Sie bescherten ihrem Team den ersten Doppelsieg seit der Rückkehr in die WM zu Beginn der Saison 2017. Damit ist Toyota plötzlich auch Favorit für den Marken-Titel. Die zeitweise belächelte Truppe aus den finnischen Wäldern hat Hyundai zumindest vorübergehend von der Tabellenspitze verdrängt.
Die neue Rallye Türkei hat auch dafür gesorgt, dass ich schon mit der ersten Portion meiner mehrteiligen Antwort auf die Frage «Wer wird Weltmeister?» gründlich danebengelegen habe. War wohl nix mit der Reihenfolge Ogier/Tänak/Neuville unter den drei Titelkandidaten? Aber was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.
Immerhin hat Weltmeister Sébastien Ogier meinem Strategie-Orakel zur Rallye Australien zugestimmt, wo der Tabellenführer während der ersten Etappe einen massiven Nachteil bei der Startposition hat. Er gehe lieber mit fünf Punkten Rückstand als mit fünf Punkten Vorsprung ins Finale, sagte der Franzose. Dann könnte er den Vorteil der höheren Startposition ausspielen. So wie die Dinge derzeit laufen, sind diese fünf Punkte für Ogier schwer erreichbar – egal in welche Richtung.