Beharrlichkeit zahlt sich aus
BMW: Das Signal, auf das die DTM gewartet hat!
Der Zeitpunkt des grundsätzlichen Bekenntnisses einer der motorsportlich traditionsreichsten Marken auf diesem Globus zur Königsklasse der Tourenwagen kommt gerade zur rechten Zeit. Der Zuschauer-Rückgang beim DTM-Saisonstart 2010 in Hockenheim um 13000 Zuschauer gegenüber dem Vorjahr (entspricht einem Verlust von 14,2 Prozent) zeigt, dass es immer schwieriger wird, den Fans eine Serie mit zwei Herstellern und eingefrorener Technik (Motto: «Ist doch immer das Gleiche») schmackhaft zu machen.
Ein David Coulthard mit seiner erfrischenden Art und seiner glanzvollen Vita hilft zwar sicherlich, doch den wirklichen, von den Fans so sehnlich erhofften Kick, den gäbe nur ein neuer Hersteller.
Wenn ich hier den Konjunktiv verwende, dann nicht, weil der BMW-Einstieg eine Wackelpartie ist. Ein offizielles Statement in dieser Form gibt man nicht ab, um mal wieder positive Schlagzeilen zu generieren (wobei das den Münchenern auch ganz gelegen kommt).
Bedingungen. Aber das DTM-Comeback der Marke mit der Niere ist an Bedingungen geknüpft. Und da reden wir, wohlgemerkt, nicht vom technischen Reglement. Das steht längst, und es wird sich in seiner Philosophie und der grundsätzlichen Basis nur unwesentlich von dem unterscheiden, das wir jetzt haben. Zum Glück!
Denn alle, die ständig seriennahe Rennwagen (ein Widerspruch in sich) propagieren, unterliegen einem dicken Irrtum, nämlich der Annahme, dass ein Prototypen-Reglement automatisch teurer sei, bloss weil ein paar Teile aus Karbon sind.
Im Gegenteil: Auf einem weissen Blatt Papier beginnen und sich nicht zu peinlich an die womöglich ungünstigen Voraussetzungen des Serien-Pendants halten zu müssen, senkt die Entwicklungskosten um ein Vielfaches dessen, was der Rennwagen in Bezug auf die Materialkosten vielleicht teurer ist. Ausserdem, und das ist vielleicht noch entscheidender, erspart es die unsägliche Einstuferei, mit der sich die Tourenwagen-WM, noch mehr aber die GT-Szene traditionell abplagen.
Früher (als ja bekanntlich alles besser war) sahen sich die Hersteller gezwungen, Sonderserien in bestimmten Stückzahlen aufzulegen, um einen Tourenwagen für den Renneinsatz homologiert zu kriegen. Ein wirtschaftlicher Unfug erster Güte!
Nochmal zur Erinnerung: Das 1999 entwickelte und 2000 erstmals in die Realität umgesetzte DTM-Reglement hatte zwei Ziele:
1. Gleiche Chancen für alle (gilt heute noch).
2. Vernünftige Entwicklungs- und Einsatzkosten (gilt heute noch teilweise).
Entwicklungen. Im Zeitraum von zehn Jahren seiner Gültigkeit ist das Reglement dessen Entwicklern aus dem Ruder gelaufen – vor allem im Bereich der Aerodynamik. Dass die DTM-Boliden viel zu effizient und damit sensibel geworden sind, keinen echten Windschatten mehr produzieren und bei der geringsten Störung der Anströmung (zum Beispiel durch einen Vordermann, an dem man eigentlich gerne vorbei gehen würde) kaum mehr fahrbar sind, prangern Experten schon seit Jahren an.
Man hat es eindeutig versäumt, schon früher, sagen wir, 2004 oder 2005, die Reissleine zu ziehen und die Aero zu kappen. Diese extreme Durchströmung der Rennwagen, wie sie Audi seit 2007 vorexerziert, hatten die Regelfürsten Jahre zuvor nicht im Sinn gehabt und schon gar nicht gewollt. Man hätte den Braten schon 2001 riechen können, als Opel erstmals mit einem ähnlichen Konzept auftauchte. Weil das damals aber nicht funktioniert hat, verlor man das Gefahrenpotenzial wieder aus den Augen.
Der Rest der technischen Eckdaten der DTM ist aber heute noch beispielhaft. Die zahlreichen Gleichteile eliminieren irre Kosten in Bereichen, von denen der Zuschauer ohnehin nichts hat. Und das Motoren-Reglement ist sogar so gut, dass es in weiten Teilen vom Weltverband übernommen worden ist und unter dem Namen «Global Race Engine» weltweite Verbreitung finden wird. Ob wir da von einem Achtzylinder-Sauger oder einem Vierzylinder-Turbo (der wird übrigens auch in der DTM kommen) reden, ist dabei völlig schnuppe.
Es geht eigentlich nur um eines: Kein Hersteller soll aufgrund des geeigneteren Serienkonzepts oder höherem finanziellen Aufwand einen Vorteil haben dürfen.
Modernisierung. Und genau deswegen wird auch eine DTM mit BMW (die sind nämlich mittlerweile auch auf den Trichter gekommen) nach einem zumindest auf den ersten Blick sehr ähnlichen technischen Reglement ablaufen wie bisher. Allerdings einem, das in den neuralgischen Punkten aufgefrischt und nachgebessert worden ist.
Die Aero wird dramatisch gekappt: Die Durchströmung der Autos kommt weg, Frontsplitter und Heckdiffusor werden vereinheitlicht, der Unterboden erhält eine Abtriebs-killende Stufe. Noch mehr Komponenten als bisher werden als Gleichteile definiert und die passive Sicherheit weiter erhöht (noch ein Vorteil eines Prototypen gegenüber einem seriennahen Auto), dazu gibt’s einen rund 500 PS starken Zweiliter-Vierzylinder mit Turbo und einem vergleichsweise günstigen Schwungrad-KERS à la Porsche 997 GT3 R Hybrid, und dann passt das nämlich. Ausserdem wird die ganze Schose zwischen 30 und 40 Prozent billiger als bisher.
Nochmal: Die Technik gehört nicht zu den Forderungen von BMW. Dazu haben sie zu lange an allen Konzeptsitzungen fürs neue Reglement mitgewirkt. Das, was dabei erarbeitet wurde (siehe oben), ist das, was alle drei beteiligten Hersteller wollen. Punkt.
Es geht den Bayern vielmehr um das Thema Internationalität. Ein in München entwickeltes Rennauto soll möglichst global einsetzbar sein. Das war immer die Devise von BMW, und darüber hinaus eine, die nicht zu widerlegen ist und der vielleicht grösste Pluspunkt der Super-2000-Regeln war. Bis man irgendwann feststellte, dass die S2000-Autos für eine nationale Rennserie zu teuer sind.
Internationalität. Aber der Anspruch von BMW ist einer, der sich nicht von denen ihrer künftigen Mitbewerber unterscheidet: Ein Hersteller, der sich im Motorsport engagiert, tut das nicht, um Rennautos im Kreis fahren zu sehen. Er tut es als Marketing-Massnahme, um Autos zu verkaufen, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Vor diesem Hintergrund sind die diesjährigen DTM-Rennen in China und Katar (wenn’s denn klappt, siehe SPEEDWEEK 18/2010), so widersinnig das auch klingen mag, Garant für den Fortbestand einer Rennserie, die es auf nationaler Basis niemals gäbe, und das grösste Lockmittel gegenüber einem Hersteller wie BMW.
Nur geht das den Verantwortlichen im «Vierzylinder» noch nicht weit genug. Sie wollen mehrere Rennserien, die sich an den DTM-Zug dranhängen und die Regeln übernehmen. Daher die Gespräche mit der Grand-Am-Serie in den USA und der Japanischen GT-Meisterschaft. Beide Serien sehen auf den ersten Blick gesund aus, haben aber beide ihre Probleme und müssen immer um ausreichende Werksunterstützung kämpfen. Deswegen kriegen sowohl Amerikaner als auch Japaner glänzende Augen, wenn ihnen die Möglichkeit eines Einstiegs von BMW, Mercedes oder Audi in Aussicht gestellt wird.
Zukunftsmusik. Im Idealfall läuft nun alles folgendermassen ab: Mercedes und Audi starten auch 2011 mit den diesjährigen Rennautos. BMW stösst mit der Neuentwicklung im Laufe der Saison (eher später als früher) dazu, was einen nicht zu unterschätzenden Vorteil gegenüber den bisherigen Platzhirschen darstellen würde. Ausnahmsweise muss dann zwar eine Einstufungsprozedur in Kauf genommen werden, weil die neuen Renner eher einen Tick langsamer sein werden als die aktuellen, aber das juckt bei ein paar sporadischen Einsätzen niemanden. 2012 gibt es eine DTM mit drei Premium-Herstellern und einheitlich neuen Autos. Und 2013 oder 2014 schwenken Japan und die USA auf die DTM-Schiene ein, und alles wird gut.
Das ist jetzt, zugegebenermassen, Wunschkonzert. Aber bei weitem nicht mehr so utopisch wie noch vor drei Jahren. Da war die DTM nämlich noch mit Vollgas auf dem Weg in den Abgrund. Doch nun scheint sich die Beharrlichkeit von ITR, Mercedes-Benz und Audi auszuzahlen.
Endlich haben alle Beteiligten wieder eine Perspektive, etwas, auf das sich hinzuarbeiten lohnt. Und der grosse Unterschied zu vielen anderen Herstellern, die in die DTM reingeschnuppert und sich interessiert gezeigt haben: BMW arbeitet mit, konstruktiv, partnerschaftlich und weitblickend, um etwas Tolles auf die Beine zu stellen. Und den verehrten Mitbewerbern hernach auf der Strecke nach Möglichkeit so richtig den Arsch zu versohlen.
Genauso soll das sein!