Das verflixte Ventil
Tomczyk: Ein Podestplatz wäre dringewesen ...
Vor Ort hatte Martin Tomczyk die Schuld für den am Start zum Norisring-Rennen abgestorbenen Motor komplett auf sich genommen. Am frühen Abend stellte sich heraus: Nicht ausschliesslich ein Fehlverhalten des Rosenheimers, sondern die Kombination mit einem technischen Problem war Auslöser für den missratenen Start gewesen.
Zum Verständnis ist ein Querverweis auf das in der DTM übliche Startprozedere nützlich. Alle Boliden verfügen über eine manuell betätigte Feststellbremse, mit der das Fahrzeug vor dem Start «vorgespannt» wird. Sobald der Rennwagen nach der Einführungsrunde auf seinem Startplatz steht, steigt der Pilot so fest aufs mittlere Pedal, dass ein Bremsdruck zwischen 95 und 120 bar erzeugt wird (je nach Beschaffenheit des Fahrbahnbelags und eventueller Neigung der Piste), und drückt dann einen Knopf am Lenkrad. Dieser aktiviert ein Magnetventil, das den aufgebauten Bremsdruck im vorderen der beiden Bremskreise hält. Der Fahrer kann nun also vom Bremspedal gehen, den ersten Gang einlegen und hat bis zur Freigabe des Rennens die Füsse für Kupplungs- und Gaspedal frei.
Beim Erlöschen der Ampellichter lässt er den Knopf los, das Magnetventil öffnet und entlässt die gestaute Bremsflüssigkeit zurück in die Leitung. Gleichzeitig lässt der Pilot die Kupplung kommen, und – vorausgesetzt, die Drehzahl stimmt – der Bolide setzt sich in Bewegung. Was knifflig genug ist, weil die Koordination von Kupplung und Gaspedal vom exakten Grad der Vorspannung gleichermassen abhängt wie vom Grip des Fahrbahnbelags. Ist die Drehzahl zu niedrig, kommt der Wagen schlecht vom Fleck oder bleibt ganz stehen, ist sie zu hoch, drehen die Antriebsräder durch.
«Das ist das mit Abstand komplexeste Startprozedere, das ich in meiner Karriere jemals erlebt habe», staunt Mercedes-Rookie David Coulthard, der fast folgerichtig drei seiner vier bisherigen DTM-Starts in den Sand gesetzt hat.
In Tomczyks Fall am Norisring geschah folgendes: Nachdem der Bayer den Audi mit extrem hohem Bremsdruck (fast 130 bar) vorgespannt hatte, öffnete das besagte Magnetventil nach dem Loslassen des Knopfes defektbedingt etwas zu langsam. Als der Abt-Pilot die Kupplung kommen liess, herrschte noch Druck im Bremskreis. Und weil Tomczyk für diesen, für ihn nicht kalkulierbaren Fall eine etwas zu niedrige Drehzahl gewählt hatte, starb augenblicklich der Motor ab.
Auf den 13. Platz zurückgefallen, arbeitete sich der Trainingsvierte zwar wieder bis in die Punkteränge vor, doch auch die Tatsache, dass er quasi erstmals in seiner Karriere auf dem Norisring voll wettbewerbsfähig gewesen war, konnte den Dauerpechvogel nicht trösten: «Solange ich nicht ordentlich punkte, ist mir das ziemlich wurscht. Und Auto und Strategie waren toll – heute wäre viel mehr dringewesen!»