Ross Brawn gibt zu: «Die Fans hassen diese Motoren»

Von Mathias Brunner
​Ross Brawn (63) arbeitet für «Formula One Management» als Verantwortlicher für Technik und Sport. Der langjährige Wegbegleiter von Michael Schumacher: «Die Fans hassen diese Motoren.»

Derzeit wird definiert, wie die kommende Motorgeneration aussehen wird, die ab 2021 verwendet wird. Die heutigen 1,6-Liter-V6-Hybridmotoren werden in der Formel 1 gemäss Reglement noch bis Ende 2020 verwendet. Mit dem Schritt in die neue Turbo-Ära zur Saison 2014 hat sich die Formel 1 keinen Gefallen getan. Viele Fans waren von der mageren Geräuschkulisse enttäuscht und wandten sich vom Sport ab. Die Turbomotoren mit Mehrfach-Energierückgewinnung waren technische Wunderwerke, keine Frage, aber die Geheimniskrämerei der Hersteller führte dazu, dass die neue Technik die Fans nicht faszinierte.

Aus den verblüffend kompakten 1600-ccm-Motoren in V6-Anordnung wird dank Mehrfach-Energierückgewinnung bald 1000 PS geschöpft, in Sachen Effizienz ist das vorbildlich. Aber die meisten Fans lässt das kalt: Sie vermissen das ohrenbetäubende Kreischen der früheren Saugmotoren.

McLaren-Star Fernando Alonso: «Ich sehne mich nach V10-Motoren. Die Formel 1 hat heute einen Sound, den sie nicht verdient.»

Ferrari-Pilot Sebastian Vettel: «Ginge es nach mir, würden wir mit V12-Saugmotoren fahren.»

Das wird nicht passieren, aber auch Ross Brawn – bei FOM (Formula One Management) für die Entwicklung von Technik und Sport zuständig – hat die Kritik der Fans verstanden.

Der langjährige Wegbegleiter von Michael Schumacher bei Benetton und Ferrari sagte: «Die heutigen Turbomotoren der Formel 1 sind technische Wunderwerke – aber fabelhafte Rennmotoren sind sie nicht. Sie sind sehr teuer, sie machen nicht genügend Krawall. Sie beinhalten Bauteile, welche vor dem Rahmen des Reglements zu Strafversetzungen führen, die aus der Formel 1 eine Farce machen. Es gibt zu grosse Leistungsunterschiede zwischen den vier verschiedenen Motoren. Und diese Motorgeneration schreckt neue Hersteller vom Einstieg ab.» Im Gespräch mit Martin Brundle bei der britischen Sky legt der passionierte Fliegenfischer nach: «Die Motoren für 2021 sind für uns eine Chance, das Gelernte umzusetzen. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu gestalten. Wir arbeiten hier mit FIA und den Teams zusammen.»

FOM und FIA kamen zum Schluss, dass aus Kostengründen die grundsätzliche Architektur der Triebwerke erhalten bleiben sollte, will heissen – 1,6-Liter-Turbomotor mit Energierückgewinnung. Sie wollen aber den teuren Generator elektrischer Energie am Turbolader, die so genannte MGU-H (motor generator unit heat) loswerden.

Mercedes und Renault gingen sofort auf die Barrikaden: Das bedeute den Bau eines neuen Motors, das sei nicht kostengünstiger, sondern bedeutet viel mehr Aufwand. Ferrari-Chef Sergio Marchionne war das Wort Vereinheitlichung ein Dorn im Auge. Er sprach davon, dass sich die Formel 1 einer globalen NASCAR-Serie angleiche und drohte gleich mal mit Ausstieg.

Ross Brawn weiter: «Ich war schockiert über diese Reaktionen. Denn die Hersteller waren bei zahlreichen Sitzungen dabei, in welchen wir diesen Weg vorgezeichnet haben. Rückblickend hätten wir den Vorschlag vielleicht ein wenig anders präsentieren sollen. Inzwischen hatten wir eine weitere Sitzung, und ich habe das den Beteiligten gesagt. Wenn die Leute den Vorschlag in den falschen Hals bekommen haben, dann tut mir das leid. Aber ich hätte nie mit einer so heftigen Reaktion gerechnet. Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen lassen. Denn nur darum geht es.»

«Wir reden jetzt mit den Herstellern um herauszufinden, ob wir unsere Ziele noch immer erreichen können, aber mit alternativer Lösung. Wir sind für andere Lösungen sehr offen, wenn wir finden, dass sie besser sind.»

«Aber grundsätzlich hat sich an unserer Einstellung nichts geändert. Die kommenden Motoren müssen wirtschaftlich vernünftiger sein. Sie müssen mehr Lärm erzeugen. Und sie müssen dergestalt sein, dass ein unabhängiger Motorhersteller sie herstellen kann. Ich sage nicht, dass diese unabhängigen Hersteller 2021 auch wirklich kommen, aber wir müssen die technische Grundlage schaffen, dass dies möglich ist. Das ist für mich ein ganz wichtiger Faktor. Denn wenn wir das schaffen, dann haben wir unsere Augabe richtig gelöst.»

«Heute kostet ein Motor eine Million Pfund (1,12 Millionen Euro, die Red.). Und das schliesst nicht die Kosten für Design und Konstruktion ein, sondern nur die rohen Kosten. Das ist einfach zu teuer, und diese Kosten müssen runterkommen.»

«Wir wissen, die Fans hassen diese Motoren – wegen des Motorgeräuschs. Jedes Mal, wenn du dich mit einem Fan unterhältst, kommt unweigerlich das Gespräch auf den Lärm. Wenn wir dieses Argument ignorieren würden, dann würden wir die Fans ignorieren, dann würden wir dastehen, als wären uns die Fans egal. Also wird klar: Der Lärm ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen beweisen, dass wir die Kritik der Fans ernst nehmen. Also mehr Lärm, durch höhere Drehzahlen, wir wollen die MGU-H entfernen, um den Lärm zu entfalten. Alles in allem sind die Ziele klar. Nun geht es im Gespräch mit den Motorherstellern darum, wie wir sie erreichen.»

«Der Schritt zurück zu Saugmotoren geht uns aber zu weit. Die Hersteller haben in diese Turbo-Technologie viel Geld investiert, das wollen wir nicht zerstören. Also bleiben wir bei einem V6-Turbomotor mit Energierückgewinnung, aber diese Energierückgewinnung muss aufregend sein. Das heisst, der Fahrer muss sie zum Attackieren oder Verteidigungen nutzen können. Und unsere Aufgabe besteht darin, dem Fan das am Bildschirm zu zeigen, so dass er versteht, was sich auf der Rennpiste abspielt. Energierückgewinnung soll keine Spielerei sein, sondern ein Instrument, das ein besonders guter Fahrer clever zu seinem Vorteil einsetzen kann.»

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