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Tabletten und Alkohol: Formel-1-Mechaniker am Limit

Von Andreas Reiners
F1-Teams sind am Limit

F1-Teams sind am Limit

Der Formel-1-Kalender ist 2022 prall gefüllt, 23 Rennen werden ein neuer Rekord sein. Bei den Teams wird schon jetzt am Anschlag gearbeitet. Ein Mechaniker packt aus.

Die Handgriffe sitzen perfekt. Die Abläufe sind einstudiert, jeder Mechaniker weiß, was er zu tun hat. Zack. Zack. Zack. Fertig - rund zwei Sekunden dauert ein Boxenstopp in der Formel 1, der Bestwert aus der Saison 2021 liegt bei 1,93 Sekunden, der Rekord bei 1,82 Sekunden (2019), beides aufgestellt von Red Bull Racing beim Reifenwechsel am Auto von Weltmeister Max Verstappen.

Die Choreografie ist eine beeindruckende Komposition menschlicher Organisation in Kombination mit technischer Perfektion – und sie kann über Sieg und Niederlage entscheiden. Fehler sind quasi verboten, denn die kosten in der Königsklasse eine Menge Geld. Dabei ist die Boxenstopp-Crew nur ein Rädchen im Rennstall-Business, das nicht nur perfekt abgestimmt, sondern vor allem auf Erfolg getrimmt ist. Doch der hat auch seinen Preis.

Denn was in dem knallharten Geschäft nach außen hin nicht zu sehen ist, ist die Belastung für die Crew, die hinter den Piloten steht. Die Schattenmänner der Superstars sozusagen, die nicht nur Reifen in Rekordzeit wechseln, sondern das Auto abstimmen, umbauen, reparieren, perfektionieren, und das stets am Anschlag. Heißt: An einem Rennwochenende von Mittwoch bis Sonntag täglich zwölf Stunden. Mindestens. Und dabei geht es nicht nur um Mechaniker, sondern auch um die unzähligen weiteren Mannschafts-Mitglieder, die zu einem Rennstall gehören.

Leidenschaft wird zur Tortur

Der Job war schon immer hart, keine Frage, wer in der Formel 1 arbeitet, weiß, dass es schnell an die Substanz gehen kann. Für viele Team-Mitglieder ist die einst so große Leidenschaft angesichts eines Rekord-Rennkalenders mit 22 Stationen 2021 und sogar 23 Rennen 2022 zu einer regelrechten Tortur geworden.

Alle rund um einen Rennstall arbeiten am Limit, unter enormem Druck, gehen an ihre Grenzen, physisch wie auch psychisch, und sie gehen oft genug auch darüber hinaus. Wie schwierig das sein kann, schrieb ein anonymer Mechaniker in einem Beitrag auf Formel1.de: «Man merkt gar nicht, was das mit einem macht, bis man wieder in der Fabrik arbeitet. Ein normaler Acht-Stunden-Tag ist fast schon komisch, weil er sich so kurz anfühlt!», schrieb er.

Die Folgen sind heftig, glaubt man dem unbekannten Mechaniker, und sie lassen tief blicken, wie unerbittlich das Geschäft sein kann und dass der Spaß im Milliardenzirkus durchaus auf der Strecke bleiben kann.

Eine Lösung: Tabletten und Alkohol

«Du bist nicht nur mental ausgelaugt, sondern auch körperlich erschöpft. Mit fortschreitender Saison passieren eine ziemliche Menge Verletzungen. Die Teams haben zwar Ärzte und Physios, um auf dich aufzupassen, die einfachste Lösung ist aber, dich mit Schmerzmitteln vollzupumpen, damit du weitermachst», so der Mechaniker, der verrät: «Nicht in einer Million Jahre würden normale Ärzte dir das geben, was wir bekommen.» Und wer nicht auf Schmerzmitteln weitermachen wolle, greife zum Alkohol, so der Mechaniker.

Besonders belastend sind die schweren Momente ohne die Familie oder Freunde, und diese Momente gibt es in Zeiten der sogenannten Triple-Header immer öfter. Dann finden drei Rennwochenenden hintereinander statt, Pause ist ein Fremdwort, die Belastung eine dauerhafte.

Tausende Kilometer durch elf Zeitzonen

So ging es zum Beispiel im vergangenen November innerhalb von drei Wochen von Mexiko nach Brasilien und anschließend nach Katar – tausende Flugkilometer durch elf Zeitzonen inklusive. Das ergibt dann auch eine logistische Herausforderung für die gesamte Truppe. Und damit während eines Triple Headers 80-Stunden-Wochen.

«Der Höhepunkt der Müdigkeit ist, wenn er eintritt, echt schrecklich. Wenn du so weit weg von deinen Liebsten und auf Achse bist, kannst du dich echt alleine fühlen», schreibt der Mechaniker, der auch verrät, dass immer mehr Mitarbeiter ans Aufhören denken, und dass die Atmosphäre leidet. Das Verständnis der Fahrer ist vorhanden. «Das Ziel sollte sein, dass wir eine nachhaltige Art und Weise haben, unsere Saison durchzuführen, nicht nur für unsere Umwelt, sondern auch mit Blick auf die menschlichen Ressourcen», sagte Aston-Martin-Fahrer Sebastian Vettel.

Wohlbefinden muss Vorrang haben

Den Job mache man, weil man den Rennsport liebe, so der Mechaniker, und natürlich wissen alle um den exklusiven Kreis, in dem sie sich bewegen: «Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem unser geistiges und körperliches Wohlbefinden Vorrang vor den Bedürfnissen des Sports haben muss, damit wir weiterhin Rennen fahren können.»

Wie haben die Teams auf die rasante Fahrt in Richtung Belastungsgrenze reagiert? Beim Vettel-Team Aston Martin wurde zum Beispiel versucht, die Reisen angenehmer zu gestalten, es wurden mehr Aufgaben in die Fabrik verlagert, dazu gab es Rotationen. Generell arbeiteten Teams auch mit finanziellen Anreizen, Einzel- statt Doppelzimmern vor Ort oder festen Auszeiten nach den Rennwochenenden.

Andere helfen ihren Leuten, sehen es aber pragmatischer. «Was die Leute an der Rennstrecke angeht, sind wir in erster Linie ein Rennstall, sie sollten alle froh sein, dass wir so viele Rennen wie möglich haben», sagte Alpha-Tauri-Teamchef Franz Tost, der auf eine Rotation verzichtet. Eine doppelte Truppe sei sündhaft teuer, erklärte er. Und: «Jedes Mal, wenn es eine Rotation gab, gab es einfache Fehler», erklärte Tost. Denn auch die sind in der Formel 1 sündhaft teuer.

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