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Emerson Fittipaldi: Stressiger Besuch in Köln

Von Rainer Braun
Anfang Dezember 2022 ist es genau 50 Jahre her, dass Emerson Fittipaldi als frischgebackener Formel-1-Weltmeister 1972 die rheinische Metropole Köln besucht hat.

Nicht ohne Grund natürlich – sein umtriebiger Manager Domingos Piedade, gebürtiger Portugiese, Wahl-Kölner und Fittipaldi-Freund, organisierte und betreute höchstpersönlich eine ebenso denkwürdige wie unterhaltsame PR-Tournee seines Schützlings. Ich war seinerzeit in die Vorbereitungen mit eingebunden und habe das Duo von Termin zu Termin begleitet.

Drei Tage lang trieb Domingos seinen Schützling gnadenlos von einem Termin zum nächsten. Geduldig ertrug der Brasilianer die Hetzjagd. Und immer führte Domingos Regie und Oberaufsicht, sorgte für geordnete Abläufe und für sofortige Zahlung der vereinbarten Honorare («nur Bargeld, keine Schecks bitte»). Bei einem solch strammen Dreitage-Programm hätte jeder aktuelle F1-Weltmeister schon am ersten Tag nach zwei Terminen hingeschmissen und seinen Manager zum Teufel gejagt. Aber «Fitti» ließ den Dauerstress mit unglaublicher Gelassenheit und permanentem Lächeln über sich ergehen.

Schon bei der Abholung am Flughafen in Köln bricht die Hölle los. Kaum ist «Emo» gelandet, gerät der halbe Airport aus den Fugen. Zöllner, Counter-Personal und Fluggäste strömen im Terminal zusammen und bitten um Autogramme vom neuen F1-Weltmeister. Nach einer halben Stunde befreit Domingos ihn aus der Menschentraube mit dem Hinweis, «dass wir jetzt dringend zu einem Termin mit Ford müssen». Das entspricht sogar der Wahrheit, denn der Vorstand hat zu einem Abendessen geladen. Dem Anlass entsprechend hat uns Ford einen Granada in Luxusausführung zur Verfügung gestellt. Brasilianische Flaggen zieren die vorderen Kotflügel.

Nach Einchecken im Kölner «Esso Motor Hotel» geht’s gleich weiter ins «El Gaucho» zum Ford-Dinner, wo neben dem Gastgeber auch noch Lokal-Reporter und ein TV-Team des WDR warten. Auch Ford-Sportchef Mike Kranefuss und die Werkspiloten Rolf Stommelen, Jochen Mass und Dieter Glemser sind da. Nach Mitternacht liefern wir unseren Gast im Hotel ab. Vor dem Haupteingang warten ein paar Unentwegte, um sich Alben und Fotos signieren zu lassen. Emo nimmt sich auch dafür noch Zeit, bevor ihn Domingos mit sanfter Gewalt durch die Hotel-Lobby in den Aufzug schiebt.

Gewaltige Hetzjagd

Der 1. Dezember, ein Freitag, ist prall gefüllt mit Terminen. Es beginnt eine gewaltige Hetzjagd: Autogrammstunde bei einem Garagentor-Hersteller, in einem Supermarkt, Redaktionsbesuche bei den Kölner Tageszeitungen und der Deutschen Welle, wieder Autogrammstunde an diversen Texaco-Tankstellen der Stadt und des Umlands.

Am Abend schnell Umziehen für den Auftritt beim «Kölner Sportpressefest», wo ARD-Moderator Werner Zimmer und rund 6000 Zuschauer auf den Weltmeister warten. Als Überraschung wird sein WM-Lotus 72-Ford in die Halle geschoben – ausgeliehen bei der Motor Show in Essen.

Den Transport nach Köln und zurück hat der junge Harald Grohs mit einem Kumpel bei Schnee und Eis erledigt. Klare Ansage von Wolfgang Schöller: «Das Auto muss am Samstag bei Öffnung der Hallen wieder an seinem Platz stehen.» Bis tief in die Nacht muss Fitti wieder Autogramme schreiben, bevor er geschafft und müde ins Hotelbett sinkt.

Hektik am Samstag

Der Samstag wird noch hektischer. Da ist zunächst die Motor Show in Essen, die Emerson als Ehrengast eröffnen soll. Aber er kommt deutlich zu spät, weil er erstens verpennt hat und zweitens ihn in der Hotelhalle auch noch ein 14 Jahre alter Schüler aufhält. Den kann er nicht einfach stehen lassen, denn der Bub ist für ein Autogramm per Anhalter von Bonn nach Köln gekommen. Für die ebenso aufregende wie rekordverdächtige Fahrt nach Essen brauchen wir 35 Minuten und fangen uns zwei Anzeigen wegen Geschwindigkeitsübertretungen ein. Was ein Glück, dass das Auto Ford Köln zugelassen ist.

Mit deftiger Verspätung betritt der Eröffnungsgast den Festsaal der Messe Essen. Die offiziellen Reden sind schon vorbei, was Fitti hocherfreut zur Kenntnis nimmt: «Da komme ich ja genau im richtigen Moment.» In Englisch säuselt er ein paar freundliche Worte und erklärt die Ausstellung für eröffnet.

Danach geht’s mit Nina Rindt, Motorrad-Weltmeister Giacomo Agostini, Rolf Stommelen, Organisator Wolfgang Schöller und Essens OB Katzor zum obligatorischen Hallenrundgang. Journalisten, Fotografen und Kameraleute folgen der Gruppe. Am JPS-Lotus angelangt, wird das Gedränge beängstigend. Zehn Minuten Blitzlicht-Dauerfeuer, Interviews, Autogramme. Gage für den turbulenten Auftritt: 4000 Mark, von Domingos an Ort und Stelle einkassiert.

Nach einem kurzen Imbiss geht’s über die A 52 rüber nach Düsseldorf zur Autogrammstunde in den Lamborghini-Salon von Ex-Rennfahrer Hubert Hahne. Domingos verlangt die vereinbarte Gage von 4000 D-Mark im Voraus, Hahne möchte aber mangels Bargeld lieber überweisen oder einen Scheck ausstellen. Domingos stellt ihn vor die Alternative: «Barauszahlung oder sofortige Abreise.» Auf wundersame Weise ist dann doch Bargeld da, Domingos zählt nach und gibt grünes Licht.

Am selben Tag Weiterreise nach Leverkusen, Autogrammstunde im «City-Supermarkt». Der Supermarkt ist schwarz vor Menschen, ein Riesengedränge. Kaum hat der Champion seinen Platz zum Schreiben bezogen, wird er schon samt Tisch und Stuhl an die Wand gedrückt. Angesichts der eskalierenden Situation springt Domingos auf den Tisch und droht mit Abbruch der Autogrammsitzung. Der Markt-Chef ist entsetzt und verspricht sofort Abhilfe. Hilfskräfte eilen herbei und sorgen so gut es eben geht für einigermaßen geordnete Verhältnisse. Doch die Lage bleibt chaotisch, die Leute drängeln und schreien hysterisch. Wir sind froh, als die Stunde endlich rum ist, schnell noch 4000 Mark Honorar kassieren und nix wie weg.

Nach TV-Auftritt ausgetrickst

Weiterfahrt nach Wiesbaden, wo Emo abends als Gast im ZDF-Sportstudio erwartet wird. Nach 90 Minuten fahren wir am Studio «Unter den Eichen» vor, es folgt ein Vorgespräch mit Moderator Arnim Basche «Und bitte keine Werbung am Mann», schickt Kurt Meinicke als Leiter der Sendung noch händeringend hinterher. Was auf dem Lotus während der Saison drauf war, darf auch drauf bleiben. Zusatzkleber nur für diese Sendung sind strikt verboten. Es ist eine kritische Zeit in Sachen Sport und Werbung, zu diesem Thema hat es bei anderen Gelegenheiten schon so manchen Eklat im Vorlauf zum Sportstudio gegeben.

Im ZDF-Casino essen wir mit Fitti in Ruhe, Störungen gibt es kaum – hier ist man an die Anwesenheit von Sport-Stars gewöhnt. Eine Aufnahme-Assistentin bringt die Einheitsgage von 500 D-Mark für Sportstudio-Auftritte vorbei – Domingos muss eine Quittung unterschreiben. Gegen 21.00 Uhr wird der WM-Lotus ins Studio geschoben, erneut ausgeliehen in Essen und wieder transportiert von der gleichen Truppe wie am Vortag. Und wieder ein Ultimatum von Motorshow-Chef Schöller: «Sonntag früh muss das Auto wieder am Platz stehen.»

Gegen 22.30 Uhr beginnt die Sendung, der schnelle Gast kommt auf eigenen Wunsch schon früh dran, weil ihm die Warterei auf den Keks geht. Er ist müde und will auf dem schnellsten Weg ins Bett. Nach seinem Auftritt schleichen wir uns durch eine Hintertür aus dem Studio und fahren ins gebuchte Hilton-Hotel nach Mainz. Was keiner ahnt – hier geht der Zirkus erst richtig los. Einchecken gegen Mitternacht, und genau jetzt beginnt neues Ungemach.

In der Lobby erspäht uns ausgerechnet der Werbemanager des Mainzer Automobil Clubs (MAC). Der kommt augenscheinlich gerade vom Pinkeln, kämpft noch mit einem klemmenden Reisverschluss der Smoking-Hose und ist auf Weg zurück in den Ballsaal. Als er Fittipaldi sieht, ändert er freudig erregt den Kurs und breitet die Arme aus: «Welch ein prächtiger Zufall, wir haben gerade unseren Jahresabschlussball hier im Hause, würden Sie wohl einen Moment bei uns reinschauen?»

Noch bevor Domingos und ich rettend eingreifen können, wird der verdutzte Brasilianer unter tatkräftiger Mithilfe weiterer MAC-Herrschaften blitzschnell in den Festsaal gedrängt. Sie schieben den armen Kerl auf die Bühne und stellen in der Festgesellschaft als «Formel 1-Weltmeister einer neuen Generation» vor. Die etwa 600 Gäste in Smoking und Abendkleid sind entzückt und völlig aus dem Häuschen. Obwohl stocksauer, vergisst Emo seine guten Manieren nicht und begrüßt die «Ladies and Gentlemen» kurz und knapp, wünscht «everybody here a nice evening». Während der Moderator des Abends sich anschickt, mit dem prominenten Gast wider Willen ein Gespräch zu beginnen, stehen Domingos und ich fassungslos im Saal und überlegen krampfhaft, wie wir unseren Schützling hier ebenso schnell wie diskret wieder rausbugsieren können.

Bevor wir eine Entscheidung treffen können, tritt der Mainzer Oberbürgermeister Jockel Fuchs, als Ehrengast im Saal, auf den Plan. Bewaffnet mit dem «Goldenen Buch der Stadt Mainz» bittet er Fittipaldi um Verewigung in selbigem. So was kann man natürlich nicht ablehnen – dafür gibt’s dann auch noch das Ehrenzeichen der Stadt Mainz und eine lebenslange Ehrenmitgliedschaft im MAC.

Zur Krönung des Abends pirscht sich dann noch eine Klatsch-Kolumnistin älteren Semesters heran: «Sie sind also ein richtiger Weltmeister – einfach toll. Stimmt das denn, dass Sie ein Auto ohne Kotflügel fahren?» Jetzt hat Fitti endgültig genug und flieht förmlich aus dem Saal.

Die nächtliche Vereinnahmung des Weltmeisters ist aber immer noch nicht zu Ende. Im Hotel-Foyer wird er noch mal schnell von einem cleveren Werbemanager abgefangen und geschickt durch eine Sonder-Ausstellung des Mainzer Opel-Autohauses Reichert dirigiert. Rein zufällig ist natürlich auch ein Fotograf zur Stelle. Auch das lässt der genervte Fitti noch diplomatisch, aber deutlich angefressen über sich ergehen, bis Domingos und ich ihn in einem günstigen Moment endgültig aus dem kostenlosen Werbemarsch zwischen den Opel-Modellen befreien können.

Als wir unseren Mann gegen halb drei endlich ins Bett verfrachtet haben, beschließt Domingos den Tag mit einem Wutausbruch: «Fast drei Stunden PR-Zirkus zum Null-Tarif – das ist ganz große Scheiße. Die haben uns wunderbar geleimt und wir zwei stehen wie die Deppen daneben.» Und auf dem Weg zu unseren Zimmern setzt er noch mal nach: «Du kennst doch diese MAC-Fuzzis, können wir da nicht wenigstens noch nachträglich was an Honorar rausholen?»

Risiko am Flughafen

Sonntag, 3. Dezember 1972. Emerson Fittipaldi und sein Manager lassen sich von Frankfurt aus in einer Cessna der berühmt-berüchtigten Kölner Rennfahrer-Bedarfsfluglinie «Arcus Air» nach Bologna transportieren, weil er bei den Kollegen von «Autosprint» mit dem traditionellen Goldhelm geehrt werden soll.

Obwohl die Airports Bologna und Mailand wegen dichten Nebels nur 30 Meter Sicht melden, startet die Cessna. Ich bleibe in Frankfurt und warte auf die Rückkehr der beiden am Abend. Domingos erzählt mir später, dass die Flugsicherung des Bologna-Airports die Verantwortung für eine Landung abgelehnt habe. «Aber mit unserem ausdrücklichen Einverständnis riskierte der schmerzfreie Pilot den Anflug auf eigene Faust. Beim dritten Versuch glückte die Landung.»

Der Start zum Rückflug nach Frankfurt gestaltete sich genauso abenteuerlich, der Nebel war noch dichter als beim Anflug. «Aber wir mussten unbedingt starten, sonst hätte Emo seinen gebuchten Anschlussflug um 20 Uhr ab Frankfurt nach São Paulo nicht gekriegt», so Domingos. Nach langem Disput mit dem Tower startet der Pilot die Cessna wieder auf eigene Faust – nach Stoppuhr und Gefühl.

Alles geht gut, eine Stunde vor Weiterflug setzt die Cessna sicher in Frankfurt auf. Im VIP-Bereich des Flughafens gibt die brasilianische Fluggesellschaft VARIG noch schnell einen improvisierten Empfang für den hohen Gast. Anschließend wird er direkt übers Rollfeld zur Maschine gebracht. VARIG-Flug 032 nach Sao Paulo hebt kurz nach 21.00 Uhr ab – tschüss Emo.

Auf der Rückfahrt von Frankfurt über die A3 nach Köln sind wir beide total geschafft.

Unterwegs zieht Domingos lächelnd Bilanz: «Was wir beide in den letzten drei Tagen mit unserem Brasilianer erlebt haben, das glaubt uns in 20 oder 30 Jahren kein Mensch mehr.»

Jetzt sind’s halt 50 Jahre geworden. Schade, dass Domingos Piedade das alles nicht mehr bestätigen kann, er ist am 30. November 2019 mit knapp 75 in seiner Heimat Portugal gestorben. Ironie des Schicksals: Der 30.11. ist jener Tag, an wir Fittipaldi abends am Airport in Köln abgeholt hatten.

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