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GP-Saison 1998: Unerwartete Reise nach Japan

Kolumne von Rainer Braun
​Wie ich vor 25 Jahren zu meinem ersten und einzigen Reporter-Einsatz in der Formel 1 kam. Ein Reisebericht.

Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, es nie geschafft zu haben, mal die Formel 1 am Ring oder in Hockenheim zu kommentieren. Da wurden vom Veranstalter AvD zumeist die geschätzten Kollegen Jochen Luck oder Kalli Hufstadt engagiert. Weit über 1000 Tourenwagen-, Sportwagen-, Formel- und Markencup-Rennen habe im Lauf der Jahrzehnte kommentiert, aber keinen einzigen Grand Prix. Da fehlte schon irgendwie was.

Am 27. Oktober 1998, einem Dienstag so gegen 11 Uhr, änderte sich das schlagartig. Anruf von RTL-Sportchef Michael Lion: «Wir brauchen Sie beim Formel-1-WM-Finale in Suzuka. Der Kollege Heiko Wasser muss sich einer dringenden Operation unterziehen und fällt aus. Das Flugticket ist schon unterwegs zu Ihnen, Sie fliegen morgen ab Frankfurt, alles andere sagt Ihnen unser Guide, der sie am Flughafen erwartet und begleiten wird.»

Auf meinen Einwand, dass ich noch nie ein F1-Rennen live und schon gar nicht im TV kommentiert habe und mir das so unvorbereitet auch nicht zutraue, entgegnete der Sportchef ungerührt: «Keine Ausreden, Sie machen das. Und außerdem haben Sie den Christian Danner als Partner vor Ort. Auf dem langen Flug können Sie sich ja in alles Wichtige einlesen.»

Glücklicherweise hatte ich mir in den Jahren bis dahin die Formel-1-Übertragungen so oft wie eben möglich im TV angeschaut und war somit wenigstens oberflächlich auf dem aktuellen Stand der Dinge.

Am 28. Oktober 1998 um 14.00 Uhr begann also meine Reise mit Cathay Pacific-Flug CX 288 zum ersten und einzigen Formel-1-Einsatz meiner gesamten Reporterzeit. Und dann auch noch gleich das heiße WM-Finale mit den Titelkandidaten Mika Häkkinen und Michael Schumacher. Am Flughafen in Frankfurt empfing mich der von RTL abgestellte Reise-Guide Wolfgang Eickwinkel, Ex-Rennfahrer und ein echtes Ruhrpott-Original.

Via Honkong ging’s per Flieger nach Nagoya. Dort Einchecken im Hotel «Century Hyatt Nagoya», wo mir an der Rezeption als erstes eine nette Begrüßungsnachricht unserer RTL-Produktions-Chefin Bettina Leidiger überreicht wurde. Sie kümmerte sich vor Ort rührend um alles und jeden, koordinierte die Abläufe und war immer ansprechbar.

Ab jetzt war ich Teil eines äußerst kollegialen und herzlichen RTL-Teams, das mir das gute Gefühl vermittelte, im fremden Land und im ungewohnten Metier bestens aufgehoben zu sein. Täglich pendelte das Team mit dem Hochgeschwindigkeitszug «Shinkanse» zwischen Nagoya und Suzuka.

Bei einem Spaziergang durchs Fahrerlager stellte mir Christian Danner geduldig wichtige F1-Menschen vor. Er strahlte viel Ruhe aus und zerstreute meine Ängste hinsichtlich eventuell fehlender Fachkenntnisse. «Mach dir keine Sorgen, wir zwei kriegen das schon hin. Ich übernehme alles, was Technik, Team-Politik und Hintergrund betrifft, du erzählst im Reporterstil einfach, was du auf der Strecke siehst.»

Mit dieser Absprache haben wir Qualifying und Rennen prima überstanden. Zuvor besichtigten wir unseren Sprecherplatz in der oberen Etage der Haupttribüne mit Blick auf die Zielgerade samt Eingangs- und Ausgangskurve sowie die gegenüberliegenden Boxenanlage.

Das war zwar alles ziemlich eng in der Kabine, und der Platz reichte eben aus, dass Christian und ich gerade so nebeneinander sitzen konnten. Für Wolfgang Eickwinkel als Verbindungsmann mit Köln blieb nur noch ein Platz direkt hinter uns beiden.

Dennoch habe ich mich in jeder Sekunde am Kommentatoren-Platz wohlgefühlt, umgeben von Christian als Experten (das war übrigens sein erstes Jahr bei RTL) und Datenflüsterer Eickwinkel, der mit der Kölner Datenbank online Kontakt hielt.

Sportchef Michael Lion persönlich war mein Führungs-Redakteur vom Studio in Köln aus – seine Kommandos auf dem Ohr habe ich fast als beruhigend empfunden («Ihr macht das prima, alles läuft gut, weiter so, Werbung in 60 Sekunden»).

Leider ging die Spannung durch das Start-Missgeschick und den späteren Ausfall von WM-Kandidat Michael Schumacher im Ferrari ein bisschen verloren, aber dafür entschädigten Mika Häkkinens Jubel-Szenen über seinen ersten WM-Titel im McLaren-Mercedes.

Noch immer sehe ich das Bild vor mir, wie Mika aus dem Parc fermé heraus im Freudentaumel statt wie üblich zur Siegerehrung zu gehen erstmal mit dem Helm in der Hand seine persönliche Ehrenrunde durch die Boxengasse rauf und runter und dann auch auf der Strecke vor der Haupttribüne genussvoll zelebrierte. Dass er damit das starre Ecclestone-Protokoll sprengte, war ihm in diesem Moment sowas von egal. Der war kaum noch einzufangen, rannte immer wieder hin und her und musste mit sanfter Gewalt in Richtung Siegerehrungspodium gelenkt werden. Christian und ich haben diese wunderbare menschliche Reaktion auch gerne so kommentiert, wie wir das persönlich empfanden. Für mich war das vielleicht der schönste Moment der gesamten Übertragung.

Als wir am Abend des Renn-Sonntags mit dem Zug nach Nagoya zurückfuhren und uns mit dem harten Kern der Truppe noch ins Nachtleben stürzten, fiel eine Riesenlast von mir ab. Der Reiswein «Sake» ließ mich dann ziemlich schnell aus den Schuhen kippen und zum Gaudi der Kollegen sanft entschlummern …

Mit dem Transfer vom Flughafen Frankfurt zum RTL-Sendezentrum in der Aachener Straße in Köln endete am frühen Morgen des 2. November 1998 die Japan-Reise für die Crew und für mich. Ich war einfach nur stolz und froh, die Herausforderung angenommen und diese wichtige Erfahrung gemacht zu haben. Dass ich auch noch mit einer so kollegialen Crew in fast familiärer Atmosphäre zusammenarbeiten konnte, habe ich als glückliche Fügung angesehen.

Ich wäre ein Idiot gewesen, wenn ich diese Chance etwa aus Angst vor einer Blamage nicht genutzt hätte. Zumal auch die anschließenden Kritiken zu meiner Premiere in den Printmedien und der obligatorischen Redaktions-Nachbesprechung recht ordentlich ausfielen. Dabei habe ich beim nachträglichen, entspannten Anschauen der Aufzeichnung jede Menge kleinerer Fehler und Unaufmerksamkeiten entdeckt …

Aber meine wichtigste Erkenntnis aus dem Japan-Wochenende war die, dass die Formel 1 mein Ding nicht geworden wäre, weil sie für mein Empfinden zu kalt, unpersönlich und hektisch war und ist. Da habe ich mich bei den Tourenwagen-, GT- und Sportwagen-Rennen am Mikrofon doch deutlich wohler gefühlt. Trotzdem war das WM-Finale in Suzuka eine wichtige Station, die ich in meinem Kommentatoren-Leben nicht missen möchte.


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