Formel 1: «Darauf kann man nicht stolz sein»

Grand Prix Saudi-Arabien: Gestern, heute, morgen

Von Mathias Brunner
​Wer 2021 zum ersten Grand Prix in Saudi-Arabien reiste, braucht vor allem eines – Geduld. Was und damals verblüfft hat, was sich seit damals geändert hat, wie die Vision für die Zukunft aussieht.

Vor dem ersten Großen Preis von Saudi-Arabien 2021 merkte ich ziemlich schnell: Es ist nicht ganz einfach, nach Saudi-Arabien zu gelangen.

Das Land steckte in Sachen Tourismus nicht in den Kinderschuhen, es war gewissermaßen eben geboren – die ersten Touristen-Visa wurden im September 2019 ausgestellt, dann kam Corona und das Neugeborene verstummte für eine ganze Weile.

Das Formel-1-Rennen von Anfang Dezember 2021 sollte die Bestrebungen des Landes in die Auslage stellen, den Anschluss an die moderne Welt zu schaffen, vor dem Hintergrund traditioneller Werte. Von den Glitzerwelten Dubai, Abu Dhabi oder Doha ist Saudi-Arabien noch sehr weit entfernt.

Jeddah am Roten Meer, also an der Westküste des Landes, ist eine Stadt, welche den meisten Lesern noch immer wenig sagt – aber hier leben mehr Menschen als in Hamburg, München und Köln zusammen, mehr als 4,7 Millionen.

Jeddah gilt als Tor nach Mekka, dem religiösen Zentrum des Islam, und wurde vor 2500 Jahren gegründet, die natürliche Lage an einer Bucht war für Fischer wie gemacht.

Wieso Jeddah? Zum einen steht dieses Wort für «Seeküste» (naheliegend), zum zweiten für «Grossmutter», weil hier angeblich das Grab von Eva liegt (die mutmaßliche Grabstätte wurde 1975 zugeschüttet), zum dritten hieß ein Stammesführer Jiddah bin Jarm bin Rayyan bin Helwan bin Ali bin Issac bin Qued’ah (in der Kürze liegt die Würze).

Jeddah gilt innerhalb von Saudi-Arabien als fortschrittlich, und als Prunkstück – neben der reichen Tradition – gilt die Corniche, die Küstenstraße, an welcher die Formel-1-Strecke aus dem Boden gestampft worden ist.

Viele Hürden

Aber, Öffnung hin oder her, er erwies sich als nicht ganz einfach, nach Jeddah zu kommen; die Vorbereitung wara nur unwesentlich leichter, als den derzeitigen Schachweltmeister zu schlagen.

Ein Beispiel: Alleine die Buchung des Medienhotels nahm einen Schriftverkehr in Anspruch, einer Irrfahrt mit zahlreichen Umfahrungen, Sackgassen und Staus gleich.

Ein Bezahlportal funktionierte nicht. Dann klappte es mit dem Aufschalten, war aber nur in Arabisch zu lesen. Ich bedaure, aber trotz Bahrain, Abu Dhabi und zuletzt Doha war mein Arabisch nicht massiv besser geworden. Letztlich gaben die Betreiber auf und baten, die Zeche via Banktransfer zu begleichen. Es folgte die Ermahnung, auch ja zu zahlen, andernfalls man ohne Zimmer dastehen werde. Was einigen Journalistenkollegen übrigens wirklich passiert ist. Trotz vorgängiger Überweisung der Zeche.

Um überhaupt in die Nähe des Landes zu kommen, mussten wir uns für ein Visum bewerben. Es fing harmlos an: Name, Publikation, Nationalität, Reisepassnummer, Geschlecht, Handynummer, Einreisedatum, Ausgangsflughafen, Flugnummer, Ankunftszeit, dann natürlich Details zu den Impfdosen. denn ohne Piks ging hier gar nichts. Das alles in ein Formular gefüllt, dazu Foto des Passes, Foto vom Antragsteller beigelegt und elektronisch eingereicht.

Das Datenpaket ging ans Ministerium für Sport, das kurz darauf grünes Licht gab und ein eVisa ausstellte. Runde frei für die nächsten Hürden, der Menschengeißel Corona geschuldet.

PCR-Test, nicht älter als 72 Stunden: Gut, das kannten wir inzwischen von Flugreisen und war keine große Sache mehr.

Herunterladen der Tawakkalna App: Hier wurden die Gesundheitsdaten samt Impfung hinterlegt, ohne diese App würden die Reisenden im Land vor allem eines sehen – ihr Hotelzimmer. Die Applikation konnte aber erst nach Einreise aktiviert werden.

Ausfüllen eines Erklärungsformulars zur eigenen Gesundheit.

eVisa.

Registrierung auf der Mugeem-Plattform, auf welcher alle Details zum Impfstatus hinterlegt wurden (als hätten wir das nicht schon geschickt, aber gut).

Herunterladen der Saudi Bio Bubble App: Hier wurden die Ergebnisse der regelmäßigen Corona-Tests hinterlegt. Sie konnte nur mit Benutzer und Password individualisiert werden, wenn schon ein eVisa vorliegt und war unerlässlich, um aufs Gelände des Jeddah Corniche Circuit zu kommen.

Was macht damals eigentlich ein Mensch, der kein Handy besitzt?

Vergleich zu heute: Impfungen interessieren hier niemanden mehr. Nur das eVisum muss noch beantragt werden, und der Schriftverkehr zum Buchen des Medienhotels ist ähnlich aufwändig geblieben

Endlich im Flugzeug

Der Flug damals von Dubai nach Jeddah verlief reibungslos. Abgesehen davon, dass einige meiner Nachbarn die Maske am Kinn trugen oder am Ellenbogen. Ich schätze, sie wollten sich vor einem unerwarteten Kinnhaken schützen oder litten an einem Tennis-Arm. Der Passagier zur Linken trug neben der Maske auch seine Schuhe nur ungern und zog sie, kaum an Bord, sofort aus. Der Wunsch nach einer Käseplatte regte sich in mir.

Wir flogen über Mekka. Einige Passagiere begannen zu beten. Für alle Anderen wurde ein Gebet über Bordlautsprecher verlesen. Die Übersetzung erhielten wir per Englisch auf den Schirm.

Vergleich zu heute: 300 Passagiere an Bord, zwei oder drei Masken, sonst interessiert das niemanden mehr.

Wir landeten auf dem König Abdul Aziz International Airport. 2019 wurde dieser Terminal 1 eröffnet, auf einer Fläche von 114 Fußballfeldern. Der Vorzeige-Flughafen hat mehr als vier Milliarden US-Dollar gekostet.


Ankunft in Jeddah

Nach der Ankunft wurden wir vom Fachpersonal des Veranstalters begrüßt. Die Dame sprach zu meiner Verblüffung Deutsch: «Ich war ein Jahr lang in Köln tätig.» Respekt! Ich bezweifle, dass ich nach einem Jahr in Jeddah so gut Arabisch sprechen würde.

Das Bild 2021 und jenes von 2024 ist das gleiche: Dutzende Fachleute am Airport, einige schwenken karierte Flaggen, überall freundliche Gesichter.

Bei den Einreiseformalitäten kann sich so manches Land eine Scheibe abschneiden: Also sehr viel schneller geht das nicht. Visa betrachten, den Einreisenden betrachten, Stempel in den Reisepass, das war’s.

Da war 2021 ein wenig kniffliger.

Erster Posten: Check des mitgebrachten PCR-Tests, das gab einen Kleber mit einem grünen Haken. Das passte nicht nur als internationales Okay-Zeichen: Grün ist die Farbe des Islams, genauer: die Farbe Mohammeds.

Zweiter Posten: Check des PCR-Tests und des grünen Hakens und des Reisepasses. Nein, wir waren noch nicht bei der Immigration angelangt, es geht nur um Posten 3.

Dritter Posten also: Zwei Abstriche genommen, einer im Rachenraum («Sagen Sie aaaaaaaaa»), einer, gefühlt, im hinteren Bereich des Grosshirns («Versuchen Sie, an nichts zu denken»).

Vierter Posten: Check der Saudi Bio Bubble App. Zur Belohnung gab es eine Rose in Zellophan (nein, wirklich!).

Fünfter Posten: Die offizielle Einreise. Mit Studium des PCR-Tests und des eVisa und obigen Hakens. Meine Frage, wer das Mugeem-Formular sehen wolle, rief milde Verwirrung hervor. Auch die Selbsteinschätzung in Sachen Gesundheit interessierte niemanden. Die Einreise-Fachkraft wollte lieber ein Foto von mir machen, ohne Maske und ohne Brille, bitteschön.

Sechster Posten: Koffer holen (schon da) und zu einem Info-Schalter des Veranstalters gehen, um sich einzutragen. Nun wurde die Tawakkalna App auf Vordermann gebracht. Schließlich galt ich als qualifiziert, ins Hotel gebracht zu werden.

Was damals dreißig Minuten dauerte, ist heute in zwei erledigt.

Im Ankunftsbereich steht auch dieses Jahr ein Modell eines 2022er Formel-1-Flügelwagens, in den Landesfarben von Saudi-Arabien. Auf dem Frontflügel das Motto des Grand Prix von Saudi-Arabien: Overtake the Future – überhol die Zukunft.

Als netter Hintergrund des Boliden: das größte Aquarium in einem Flughafen weltweit, mit einer Million Liter Wasser und 2000 Fischen Inhalt. Der 14 Meter hohe Tank mit 10 Metern Durchmesser zeigt eine Korallen-Landschaft aus dem Roten Meer, samt Haien.

Wir strebten 2021 dem Ausgang zu. Ach halt, ich wollte ja noch Geld wechseln! «Money change?» fragt mein Begleiter. Da muss er jemanden zu Hilfe rufen. Der ruft einen Dritten an. Ein längeres Gespräch entsteht, bei welchem klar wird, dass der exakte Ort einer Wechselstube an diesem Flughafen zunächst etwas undurchsichtig ist (Merke: kein Geld im Hotel wechseln, die bieten lausige Kurse).

Es stellte sich heraus: Wir müssen von der Ankunftshalle in den Abflugbereich. Eine der Hilfskraft sagt: «Sie können Koffer und Aktenkoffer ruhig hier stehen lassen.» Äh, nein, das wohl eher nicht, an diesem Punkt endet mein Vertrauen in die Menschen dann doch.

Nach dem Wechsel von US-Dollar in Saudi-Riyal (auf den Noten ein Bildnis von Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud, König seit 2015) ging es mit einem klapprigen Hyundai Richtung Medien-Hotel.

Ein Land im Aufbruch

Das Bild war damals eher trist: viel Abfall lag herum, schlechter Zustand von schmutzigen Straßen und Gehwegen und Gebäuden, welche ihrem Verfall entgegendämmern. Die Verkehrsteilnehmer erwiesen sich als spontane Spurwechsler und freudige Benutzer ihrer Hupe, was unter Anderem an vielen Fahrern liegt, welche sich eher für ihren Status auf sozialen Netzwerken zu interessieren scheinen als für den Verkehr. Vier Fast-Unfälle kamen wir im Medienhotel an.

Vergleich zu heute: Generell ist hier sehr viel getan worden. Der Fahrer verfährt sich trotz Navi trotzdem, was er mit Knurren quittiert.
Wie viele Ausländer sich derzeit in der Stadt befinden: schwer zu sagen. Die Vision 2030 des Königsreichs Saudi-Arabien ist ein strategisches Ziel, um die Abhängigkeit des Landes von der Ölförderung zu verringern, die Wirtschaft breiter aufzustellen und in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung, Infrastruktur und Erholung Gas zu geben – und eben beim Tourismus.

Saudi-Arabien will bis 2030 pro Jahr 55 Millionen Ausländer ins Land locken, vor allem aus Asien und Europa, der Tourismus soll eine Million zusätzlicher Jobs erzeugen.

Im Jahr 2019 reisten – vor Corona – 20,3 Millionen Menschen nach Saudi-Arabien, nach Angaben der Regierung. 2023 waren es 27 Millionen Ausländer.

Im Hotel darf ich am Abend der Anreise zwischen sieben verschiedenen Fruchtsäften wählen. Wer in Saudi-Arabien Alkohol konsumiert, kann mit Strafen, Gefängnis, öffentlichem Auspeitschen und Deportation rechnen. Dann vielleicht doch lieber ein Orangensaft oder eine Pepsi.

Die Saudi wollen, dass die Menschen ihr Land kennenlernen. Für das Medienzelt scheint das nicht zu gelten: Die herrlich großen Fensterflächen mit Blick auf Strecke, Meer und Himmel sind verschwunden, wir sitzen 2024 in einem fensterlosen Bunker. Fortschritt geht anders.

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