Formel 1: Aus für Perez bei Red Bull Racing

Dr. Helmut Marko: «So ist Max Verstappen unschlagbar»

Von Dr. Helmut Marko
Lando Norris, Max Verstappen, Sergio Pérez und Paul Monaghan von Red Bull Racing

Lando Norris, Max Verstappen, Sergio Pérez und Paul Monaghan von Red Bull Racing

​Exklusiv auf SPEEDWEEK.com: Dr. Helmut Marko, Motorsport-Berater von Red Bull, analysiert den jüngsten Grand Prix. Max Verstappen mit Saisonsieg No. 4, auf dem Weg zur erfolgreichen Titelverteidigung.

Fünf GP-Wochenenden, fünf verschiedene Rennstrecken, fünf Pole-Positions von Max Verstappen, vier Siege. Wir können an diesem Punkt bedingt behaupten, dass wir ein Auto haben, das auf jeder Art Strecke schnell ist.

Denn einschränkend müssen wir festhalten, dass in Melbourne der Reifenverschleiß für Red Bull-Verhältnisse ungewöhnlich hoch war. Wir wissen beim Wagen von «Checo» Pérez nicht genau, ob die Beschädigung an seinem Auto dazu beigetragen hat. Aber auch die Erkenntnisse aus den Long-runs deuten darauf hin – zu hoher Verschleiß. Bedeutet also: Schnell ja, aber Straßenbelag und Streckenführung können da schon Unterschiede machen.

Rennstrecken, wo uns die Gegner ein wenig näher rücken könnten, sind Miami oder Monaco, zumal die Konkurrenz besonders im Quali-Trimm nähergekommen ist. Dort, kann ich mir vorstellen, wird es nicht einfach sein, auf Pole-Position zu stehen.

In China gab es kurz vor der karierten Flagge einen kritischen Moment beim Max, als er bei Tempo 300 über Trümmerteile gefahren ist. Karbon zersplittert und schlitzt im schlechtesten Fall einen Reifen sofort auf. Uns war nicht bewusst wie viele Teile dort lagen und in welcher Art und Weise Max davon betroffen ist, weil er als Erster zu jener Stelle hingekommen ist. Das ist immer eine Sorge.

Und dann hat er noch in seiner letzten Runde einen Quersteher eingebaut, auch da ging unsere Herzfrequenz nochmals in die Höhe.

Max befindet sich auf strammem Kurs Richtung erfolgreicher Titelverteidigung. Er wird immer besser, auch wenn dies nach der vergangenen Saison schwer vorstellbar ist. Das zeigt sich auch beim Abstimmen seines Autos. Wir kommen selbst an einem Wochenende im Sprintformat wie in Shanghai Schritt um Schritt weiter, im freien Training und dann gleich in der Sprint-Quali. Da herrscht Harmonie zwischen Max und GP, also seinem Renningenieur Gianpiero Lambiase.

Max ist zudem nicht mehr ungeduldig, sondern er verfolgt jeweils ruhig und konzentriert zwei Ziele: Das Auto nach Möglichkeit auf Pole stellen, aber das Hauptaugenmerk gilt dem Rennen. Diese Kombination, diese Übersicht, gepaart mit einem hervorragenden Reifen-Management, das alles macht ihn derzeit unschlagbar.

Wir hatten nun das erste Sprintwochenende des Jahres, das zweite wird gleich folgen, in Miami. Ich stehe dem Sprintformat zweigeteilt gegenüber.

Red Bull veranstaltet ja den Großen Preis von Österreich. Da ist es für die Zuschauer und damit für den Veranstalter einfach ein Bonus, dass den Fans schon am Freitag ein Qualifying geboten wird und am Samstag ein Rennen. Somit sind diese zwei Tage besser zu vermarkten als das klassische Wochenendformat. Das ist die kommerzielle Seite.

Auf sportlicher Seite bin ich eher ein Freund des traditionellen Ablaufs, weil ein Sprint vom Hauptereignis etwas wegnimmt. Dazu kommt: Weil die Wettbewerber nur ein freies Training haben, kann man mit der Abstimmung mal daneben liegen, so wie uns das vor zwei Jahren in Brasilien passiert ist. Mit dem damaligen Reglement, unter welchem kaum mehr Änderungen am Wagen erlaubt waren, war damit ein Rennen so gut wie verloren.

Fazit zum Sprint: als Veranstalter ja, als Rennfan nein.

Hinter Red Bull Racing erleben wir ein Auf und Ab zwischen den Verfolgern. Das freut mich. Denn das bedeutet, dass unser Vorsprung wächst, wenn ständig jemand Anders hinter uns ins Ziel kommt.

Wir haben in China gestaunt darüber, dass dieses Mal Lando Norris mit McLaren zweite Kraft war. Wir hatten erwartet, dass Ferrari stärker auftreten würde. Aber die waren weder in den Long-runs noch im Qualifying und auch nicht in den Rennen in der Lage, in die Nähe der ersten Drei zu kommen.

Was mich auch freut: Sergio Pérez zeigt in diesem ersten Teil der Saison stärkere Leistungen als vor einem Jahr. «Checo» geht nicht mehr mit dem Anspruch ins Rennen, Max unbedingt schlagen zu wollen. Darunter verstehe ich auch, dass er 2023 in Sachen Abstimmung fast verzweifelt eigene Wege gegangen ist, wenn der Speed nicht gestimmt hat. Er versuchte also, auf technischem Weg mit einem anderen Set-up an Max heranzukommen. Das hat er aufgegeben.

Pérez geht bei der Abstimmung nun ungefähr den gleichen Weg wie Verstappen. Dadurch verliert er weniger Zeit und ist vor allem in den Qualifyings deutlich besser als 2023.

In den Rennen gibt es auch wenig zu monieren: Ohne das für ihn unglückliche Timing der Safety Car-Phasen wäre er in China wohl Zweiter geworden. Aber wenn er im Verkehr feststeckt, kann er seine Qualitäten als Reifenflüsterer weniger ausspielen. Stattdessen musste er sich nach vorne arbeiten, und das geht im Normalfall immer auf die Reifen.

Wenn wir die Red Bull-Fahrer mal einen Moment ausklammern: Von den anderen Piloten macht uns Lando Norris großen Eindruck, der den Oscar Piastri bei McLaren deutlicher im Griff hat als im Vorjahr.

Dann kommt Carlos Sainz, der bei Ferrari bis auf China immer vor Charles Leclerc war. Auch im Qualifying. Das hat mich überrascht. Selbst im Qualifying fährt Sainz sehr aggressiv und hat in Australien eindrucksvoll gewonnen.

Und dann natürlich Fernando Alonso, der in den Abschlusstrainings Unglaubliches leistet und in den Rennen seine enorme Zweikampfstärke beweist, wie sich im Duell mit Pérez in Shanghai einmal mehr gezeigt hat – er schenkt keinen Zentimeter her.

Ein Wort zu den Racing Bulls.

Daniel Ricciardo wurde in China von Lance Stroll getroffen und leider aller Chancen beraubt. Bei Yuki Tsunoda hat sich in Shanghai gezeigt: Wenn wir uns einen anderen Shanghai-Rookie ansehen, den Oscar Piastri, dann sehen wir – der Australier war im Rennen eine halbe bis eine ganze Sekunde langsamer als Lando Norris. Also ist Shanghai gewiss eine Strecke, auf welcher Erfahrung zählt, zumal die Neulinge im Sprintformat ja noch weniger Fahrzeit erhielten.

Die Racing Bulls haben vielleicht den Fehler gemacht, Tsunoda im einzigen freien Training mit harten Reifen fahren zu lassen, da bot die Strecke noch so gut wie keine Haftung, und Yuki ist mit diesen Walzen nur herumgeschlittert.

Im Rennen waren die Rundenzeiten von Tsunoda auf Ricciardo-Niveau. Er hätte eine Punkte-Chance gehabt, aber diese Hoffnung hat Magnussen zunichte gemacht.

Daniel Ricciardo hatte in China ein neues Chassis zur Verfügung, und das Ganze war von Anfang an geplant, denn es handelt sich um unser drittes Chassis, das wir auf die Bahn bringen wollten. Aber natürlich spielte dieser Wechsel nach den enttäuschenden Leistungen von Daniel an den Wochenenden zuvor auch in die Psychologie hinein.

Es lief in China deutlich besser bei Ricciardo. Dass er nach dem Fallen der Zielflagge von Lance Stroll als Idiot betitelt worden ist, finde ich unglaublich. Und dass er obendrein noch eine Strafversetzung für Miami kassieren musste. Das war wahrlich nicht sein Wochenende.

Derzeit wird in der Formel 1 über die Vergabe von Punkten für die ersten Zwölf geredet, nicht nur für die Top-Ten wie heute. Der Grund: Es hat sich eine Zweiklassengesellschaft gebildet. Wenn die Fahrer der besten fünf Teams keine technischen Probleme haben und Herr Stroll einen normalen Tag hat, dann gibt es für die anderen fünf Rennställe keine Punkte.

Durch den Kostendeckel ist das Feld zusammengerückt, was zu überaus spannenden Mehrkämpfen im Mittelfeld führt. Das sollte man in irgendeiner Form belohnen. Wenn zehn Fahrer so hart kämpfen, aber keine Aussicht auf einen Punkt haben, dann ist es vielleicht an der Zeit, etwas zu ändern.

Dazu kommt die enorme Zuverlässigkeit, die wir im Startfeld erkennen. Früher haben wir es erlebt, dass ein Fahrer auf Rang 15 vom Leader zwei Mal überrundet wurde. Heute ist das nicht mehr der Fall. Punkte für die ersten Zwölf sehe ich daher als richtige Entwicklung.

Als nächstes wird die Formel 1 nach Florida ziehen. Ich gehe davon aus, dass wir auch in Miami wettbewerbsfähig sein werden. Aber die Bedingungen sind wieder ganz anders, warm und feucht. Und wir sehen, wie empfindlich die Reifen auf Veränderungen der Bedingungen reagieren.

Wir werden um den Sieg kämpfen, aber dann wird auch eine große Rolle spielen, wer von den Verfolgern den besten Tag hat, und das wird auch weiterhin streckenspezifisch variieren.

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