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«Race Analyse»: Facebook für Rennstreckenwetzer

Von Rolf Lüthi
Wer hat’s erfunden? Die Schweizer! Man befestigt ein Kästchen am Motorrad und hat sogleich Zugriff auf eine Vielzahl an Daten und mannigfache Möglichkeiten zu deren Darstellung und Analyse.

Wenn von elektronischer Datenaufzeichnung am Motorrad die Rede ist, winken Elektronikmuffel und Hobbyfahrer dankend ab. Dazu besteht beim «Race Analyse» kein Grund. Man klebt den mitgelieferten Klett auf eine ebene Fläche am Motorrad und befestigt das kleine Kästchen daran. Damit ist die Installation des Race Analyser beendet!

Nach dieser eindrücklichen Demonstration kam auch für mich, der ich kein Digital-Native bin, die weitere Verwendung dieses Hilfsmittels in Frage. Race Analyse, entwickelt vom Schweizer Ingenieur Andres Tschupp, erhebt Daten am fahrenden Motorrad und speichert diese in der Cloud, also auf einem Datenspeicher, dessen genauer Standort der Nutzer nicht zu wissen braucht. Erhoben werden die Daten per GNSS-Sensor, der eine Position mit Schweizer Präzision auf 50 cm genau definiert, und übermittelt in Echtzeit über das 2G-Mobilfunknetz. Zusätzlich werden mit einem Gyrosensor, einem Winkelmesser und einem Magnetfeldsensor weitere Daten erhoben.

Tönt etwas kompliziert, doch die Bedienung ist kinderleicht. Zwei Fehler kann man machen: Das Gerät nicht einschalten oder aber das Ladegerät nie anschließen, dann ist nach etwa acht Stunden die interne Batterie leer. Neben dem Race Analyse, einem 100 g leichten Kästchen (100 x 60 x 25 mm), dem Ladegerät samt Kabel und dem Klett bekommt man beim Kauf auch eine Seriennummer zugeteilt. Mit dieser hat man über die Website des Herstellers Zugang zu den persönlichen Daten und hat in der Folge mehrere Möglichkeiten zu deren grafischer Darstellung und Auswertung.

Das tönt etwas metaphysisch-abstrakt, hat aber handfeste Vorteile. Zunächst einmal ist auf einen Blick erkennbar, in welchen Passagen man inkonstant fährt und darum eventuell auch in Sturzgefahr ist. Race Analyse zeigt mit Flags (Flaggen) in jeder Passage einer Rennstrecke die tiefste und die höchste Geschwindigkeit an. Das sind die Bremspunkte und jene Punkte, an denen nach dem Anbremsen wieder beschleunigt wird. Man kann sich mit einem anonymen Referenzfahrer vergleichen oder aber seine eigenen Runden übereinanderlegen. Sind die Flags verstreut platziert, hat man in der betreffenden Passage Orientierungs- und Linienprobleme. Es bietet sich an, sich beim weiteren Training zunächst auf die Verbesserung jener Passagen zu konzentrieren, in denen die Flags am weitesten verstreut liegen, weil das auch die Abschnitte sind, in denen man (vielleicht unbewusst) in Sturzgefahr ist.

Man kann sich aber nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern seine Daten ähnlich wie bei Facebook selektiv freigeben und sich so mit anderen Race-Analyse-Benutzern vergleichen. Dabei kann man jeden Streckenabschnitt soweit heranzoomen, dass Linienwahl, Brems- und Beschleunigungsverhalten im Detail zu erkennen sind. So kann man sich mit Fahrern vergleichen, die eine etwas schnellere Rundenzeit haben oder die in einzelnen Passagen besser zurechtkommen und so von anderen lernen. Man kann die Runden zweier Fahrer auch als Video ablaufen lassen. Dabei fahren zwei Punkte um die Strecke, und man erkennt klar, wo und wie der Vordere seinen Vorsprung ausbaute oder in welchen Passagen der Verfolger Meter gutmachen konnte.

Den Vergleich zweier Fahrer kann man auch als Grafik darstellen, mit den Geschwindigkeiten in Bezug zum Streckenverlauf und einer zusätzlichen Linie, die Zeitgewinn oder -verlust darstellt. Die Darstellung ist responsiv, passt sich also an Mobiltelefon, Tablet oder Computer-Bildschirmgröße an. Der Einstieg in die Welt des gläsernen Fahrers kostet 595 Franken, anschließend fallen jährliche Gebühren für das 2G-Mobilfunknetz in der Höhe von 40 bis 50 Franken an.

Erfunden hat das Race Analyse der Schweizer IT-Fachmann Andres Tschupp, der für diese Erfindung mit dem Innovationspreis der Schweizer Kommission für Technologie und Innovation ausgezeichnet wurde. Tschupp hat noch viel weitergehende Ideen und entwickelt das Race Analyse in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften weiter. Denn nach seiner Einschätzung werden derzeit noch längst nicht alle Möglichkeiten genutzt. «Alle modernen Motorräder mit Onboard-Diagnose erheben über Sensoren eine Vielzahl an Daten, etwa Bremsdruck, Gasgriffstellung, Motordrehzahl oder Gangwahl. Mit einem einfachen Dongle könnte man diese Daten rausholen und ebenfalls in die Analyse einfließen lassen», erklärt Tschupp. «Da Race Analyse mit einem Bewegungssensor ausgerüstet ist, könnte man die Schräglage messen, diese ins Verhältnis zum Kurvenspeed setzen und so die Effizienz des Hang-off des betreffenden Fahrers berechnen. Es ist wie bei der Einführung des iPhones vor zehn Jahren. Das löste Entwicklungen aus, die nicht vorhersehbar waren.»

Tschupp arbeitet weiterhin als Angestellter in der IT-Branche, das Race Analyse ist nur ein Nebenjob. «Bereits haben sich Trainingsveranstalter für Race Analyse interessiert, weil es im Gegensatz zu einer herkömmlichen Transponderanlage keine Installationsarbeiten braucht», erzählt Tschupp. «Und Race Analyse kann zusätzlich viel mehr: Mit der Analysefunktion könnte man sturzgefährdete Fahrer erkennen und sie auf die Gefahr aufmerksam machen. So ließen sich Stürze und Verletzungen und auch Wartezeiten der anderen Teilnehmer vermindern.»

Weitere Anwendung wäre bei allen Sportarten denkbar, bei denen Geschwindigkeit und Linienwahl eine Rolle spielen: Die meisten Motorsportarten, Downhill, Ski und…?
Gesehen und ausprobiert bei Moto Mader, Oberentfelden, Schweiz. Infos und Bezug über www.raceanalyse.com.

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