Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Norton V4SS: Schrott zum Preis von 59.000 Euro

Von Rolf Lüthi
Norton V4SS: Sportmotorrad mit 1200er V4-Motor als Dekorationsgegenstand von zweckfreier Schönheit

Norton V4SS: Sportmotorrad mit 1200er V4-Motor als Dekorationsgegenstand von zweckfreier Schönheit

Die Norton V4SS der limitierten Erstserie wurden mit 35 teilweise sicherheitsrelevanten Mängeln ausgeliefert. Zunächst versicherte Norton, man würde den Besitzern helfen. Nun klemmt der neue CEO ab.

Die Vorgeschichte: Als Norton noch im Besitz von Stuart Garner war, entwickelte Norton ein Sportmotorrad mit 1200er V4-Motor. Dieser V4 ähnelt dem bekannten Motor von Aprilia so stark, dass für Renneinsätze V4-Motoren von Aprilia ins Norton-Chassis eingebaut werden konnten.

Trotz dieser Ähnlichkeit: Norton baute sämtliche Bestandteile dieses Motors selbst oder liess sie bei eigenen Zulieferern fertigen, denn Garner bestand darauf, dass ein britisches Superbike auch einen britischen Motor haben müsse.

Eine exklusive, auf 200 Stück limitierte Erstserie dieser Norton V4SS sollte gebaut werden, zum Stückpreis von 59.000 Euro. 2019 wurden die ersten Norton V4SS an Käufer in England ausgeliefert und mit dem vereinfachten Homologationsverfahren namens Motorcycle Single Vehicle Approval (MSVA) in England zum Strassenverkehr zugelassen.

Gemäss dem englischen Strassenverkehrsamt wurden 55 Norton V4SS so zugelassen. Ein Insider schätzt, dass insgesamt etwa 80 Norton V4SS gebaut und ausgeliefert wurden, was hinkommen dürfte, da ein Teil der V4SS in Sammlungen gestellt und nie auf der Strasse gefahren wurde.

Die limitierte Serie war ausverkauft, für alle 200 Stück hatte Garner mindestens Anzahlungen, teilweise den ganzen Kaufpreis erhalten. Mit diesem Geld beglich Garner fortwährend die dringendsten Verbindlichkeiten, bis Norton am 29. Januar 2020 auf Antrag der Hausbank Metro Bank unter Insolvenzverwaltung gestellt wurde.

Der Indische Hersteller TVS kaufte im April 2020 die Norton-Namensrechte und dazu die technischen Plattformen der V4- und der Atlas-Modelle. Als TVS die Produktion der V4SS wieder aufnehmen wollte, entdeckten die Norton-Techniker insgesamt 35 Konstruktionsfehler und Defektquellen. Sieben davon könnten zum Blockieren des Motors führen, drei könnten ein Feuer verursachen und weitere zu Kontrollverlust während der Fahrt führen. Moderat formuliert: Diese Motorräder sind Schrott, der allenfalls zu Dekorationszwecken dienen kann.

TVS-Norton hat alle Besitzer der V4SS angeschrieben und warnt eindringlich davor, dieses Motorrad zu fahren und empfiehlt, die Batterie von der Elektrik zu trennen. Anfänglich hatte TVS unter dem Interims-CEO John Russell noch versichert, man wolle den V4-Besitzern helfen, indem man die Defekte beseitigt und die Entschädigung dafür bei der ursprünglichen Firma Norton beziehungsweise dessen Konkursverwalter BDO einfordert.

Diese Zusage hat der neue Norton-CEO, der Deutsche Robert Hentschel, nun zurückgenommen. Verständlich, denn inzwischen steht fest: Die unter der Garner-Ära ausgelieferten V4SS tragen nicht reparierbare Konstruktionsfehler in sich.

Hentschel bietet diesen Besitzern einzig eine V4 zu einem nicht näher definierten Sonderpreis an, wenn dann bei TVS-Norton die Produktion der V4 anläuft. Dieser Produktionsstart, ursprünglich auf Juli 2021 geplant, verzögert sich wegen der 35 Konstruktionsfehler, die vorgängig zu beheben sind.

Den Besitzern einer V4SS bleibt einzig die Möglichkeit, bei der Herstellerfirma Schadenersatz einzufordern. Die Aussichten auf vollen Schadenersatz sind schlecht. Als Hersteller gilt nicht TVS-Norton, sondern Norton zur Zeit der Garner-Ära. Diese Firma gibt es noch, sie befindet sich in Abwicklung durch Insolvenzverwalter BDO, eine auf Insolvenzabwicklungen spezialisierte Firma. Der frühere Norton-Besitzer Stuart Garner hat im Dezember 2020 Privatinsolvenz angemeldet.

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