Wildcard-Einsätze: Warum die Kosten exorbitant sind
In den letzten Jahren der 125-ccm-Einzylinder-Zweitakt-Weltmeisterschaft, die 2012 durch die neue 250-ccm-Einzylinder-Viertakt-Moto3-Klasse abgelöst wurde, traten pro Event bis zu fünf Wildcard-Fahrer an, in Ausnahmefällen sogar sechs. Denn in fast allen Ländern in Europa wurden nationale 125-ccm-Meisterschaften betrieben, ein einzelner GP-Einsatz mit einem talentierten Nachwuchsfahrer konnte also mit einem überschaubaren finanziellen Aufwand abgewickelt werden.
In der Moto3-Weltmeisterschaft sind die Wildcard-Einsätze spärlicher geworden, und das hat vielfältige Gründe. Erstens sind die Kosten wesentlich höher, zweitens erschwert die komplizierte Einheits-Elektronik von Dell’Orto die Einsätze, drittens dürfen sie nur noch von bestehenden GP-Teams durchgeführt werden, viertens finden nur in ganz wenigen Ländern nationale Moto3-Meisterschaften statt.
Nationale Moto3-Meisterschaften mit Prototypen wie im GP-Sport existieren nur in Spanien. In Italien gibt es zwar eine Moto3-Meisterschaft, zum Einsatz kommen allerdings Prototypen-Chassis mit Standard Yamaha YZ450F-Motoren.
Die italienische Föderation hat aus Kostengründen diesen Yamaha YZ450F-Motor eingeführt, für den aber ca. € 6000.- in Rechnung gestellt werden und der alle 1500 km revidiert werden muss. Der Motor muss aber von der Föderation bezogen werden, das Geschäft macht also der Verband, nicht der Hersteller.
In Großbritannien wird der British Talent Cup (BTC) und in Spanien der European Talent Cup (ETC) mit Honda NSF250R-Maschinen ausgetragen, also mit Moto3-Production-Racern, die in Deutschland € 13.350.- inkl. 19% Mwst. kosten.
Als das deutsche Freudenberg-KTM-Team beim Deutschland-GP 2018 wird mit Luca Grünwald einen deutscher Wildcard-Piloten in der Moto3-Klasse an den Start brachte, musste der Rennstall tief in die Tasche greifen.
Dabei wären Wildcard-Einsätze absolut sinnvoll, wenn die Teams ihre Talente auf ihre WM-Tauglichkeit hin überprüfen und ihnen einen Vergleich mit der Weltspitze ermöglichen wollen.
Wer das eigene Level ausloten möchte, für den ist ein Moto3-WM-Lauf eine geeignete Plattform, weil die Leistungsdichte höher ist als zum Beispiel in der JuniorGP (alias Junioren-WM). Und wer dabei eine gute Figur macht, kann sich bei den Talent Scouts und Teamchefs der GP-Teams empfehlen.
Die Teambesitzer Michael und Carsten Freudenberg veranschlagten 2018 für Grünwald als Wildcard-Pilot auf dem Sachsenring folgende Kosten: Ein neuer Motor auf aktuellem WM-Stand kostete etwa 12.000 Euro. Dazu kommen die aktuelle Auspuffanlage und Motoranbauteile. «Wir setzten KTM-Material auf dem Stand von 2017 mit dem neuen Motor ein», erklärte Michael Freudenberg. «Das Nenngeld lag bei 3500 Euro. Darin sind fünf Sätze Dunlop-Reifen enthalten, Sprit von eni, Öl von Liqui Moly und die Boxengebühr. Dazu kommt noch die Gebühr von 442 Euro für eine ‹One event›-GP-Lizenz.»
Diese muss von deutschen Fahrern beim DMSB beantragt werden. Als Leihgabe erhalten die Wildcard-Teams auch die Dell’Orto-ECU, die von allen Fahrern verwendet werden muss. Ein Preisgeld für eine erfolgreiche Teilnahme am jeweiligen Grand Prix ist für die Wildcard-Piloten nicht vorgesehen.
Sechs Wochen vor dem beantragten Einsatz informiert die FIM die Fahrer und Teams darüber, ob sie als Wildcard-Teilnehmer zugelassen werden. Die Kommission, die darüber entscheidet, besteht aus zwölf Mitgliedern unterschiedlicher Nationalitäten. Die FIM vergibt pro Rennen eine Wildcard, ein weiterer Wildcard-Fahrer kann vom nationalen Verband des Veranstalter-Landes bestimmt werden.
Durch 3.500 Euro für die Nenngebühr, 442 Euro Lizenzgebühr, Ersatzteile, Kosten für die Mechaniker, zusätzliche Reifen, Anfahrt, Übernachtungen, Verpflegung und weitere Ausgaben läppert sich so ein Wildcard-Einsatz auf Kosten zwischen 15.000 und 20.000 Euro zusammen.
«Der organisatorische Aufwand war für uns aber nicht größer als beispielsweise für die Junioren-WM in Spanien», schilderte Michael Freudenberg. Er erwähnte auch, dass bei diesem Betrag noch keine Testfahrten oder die Anschaffung beziehungsweise das Leasing des Moto3-Bikes eingerechnet sind. Und ein heftiger Crash reißt noch einmal ein Loch von ca. 3000 Euro ins Budget.
«Wir sind 2018 mit KTM in die Supersport 300-WM eingestiegen und haben in Assen gewonnen», blickt Carsten Freudenberg zurück. «Deshalb haben wir Luca als Bonus den Wildcard-Einsatz beim Heim-GP ermöglicht. «Mit Tim Georgi sind wir 2017 die Junioren-WM in Spanien gefahren. Wir haben ihm dann die Wildcards am Sachsenring und in Brünn besorgt. In Tschechien ist er im Regen am Freitag in beiden Trainings Bestzeit gefahren. Im anfangs nassen Rennen lag er zeitweise auf Platz 5, da fuhren wir knapp an einer Sensation vorbei.»
Die Anschaffungskosten eines Moto3-GP-Bikes liegen nach einer Saison etwas bei der Hälfte des Neupreises, bei KTM also bei ca. 45.000 EUR für das Rolling Chassis ohne Motor.
Kiefer Racing hat 2019 noch einen Moto3-Wildcard-Einsätze mit Dirk Geiger auf dem Sachsenring durchgeführt. Und in der 125er-WM gab es beim Deutschland-GP von Kiefer noch einen Gaststart mit Marvin Fritz 2009 in der 125-ccm-Klasse.
125 ccm: Wildcards waren 40 Prozent günstiger
Normalerweise schaffen die Wildcard-Fahrer bestenfalls Ergebnisse um Platz 20, WM-Punkte liegen meist außer Reichweite.
Junior-Chef Carsten Freudenberg blickt zurück: «Bei den 125-ccm-Zweitaktern waren die Wildcard-Einsätze günstiger. Damals war die Elektronik noch nicht einheitlich. Die allgemeine Vereinheitlichung in der Moto3 hat die Kosten in die Höhe getrieben, um etwa 40 Prozent. Früher lag ein Wildcard-Einsatz mit der 125er bei 10.000 bis 12.000 Euro.»
2020 wurden wegen der strengen Corona-Zutrittsbeschränkungen fürs Fahrerlager keine Wildcards für zugelassen. Doch inzwischen lassen einzelne Moto3-GP-Teams immer wieder mal ihre Talente auf Punktejagd gehen, vor allem jene, die auch Nachwuchsteams in der JuniorGP betreiben.
Beim Aragón-GP 2022 traten zum Beispiel Maria Herrera für das Angeluss MTA Team auf KTM an, Alessandro Morosi für MT Helmets MSI, ebenfalls auf KTM.
Beim Valencia-GP 2022 wurde Filippo Farioli aus dem GASGAS Aspar Team auf die WM vorbereitet, die er 2023 beim Red Bull KTM-Tech3-Team von Hervé Poncharal bestreitet. Auch David Almansa aus dem Finetwork Team BOE KTM-Team debütierte beim WM-Finale in der Moto3-WM.
In Ausnahmefällen sorgen die Wildcard-Piloten sogar für Sprachlosigkeit: Can Öncü durfte 2018 beim verregneten WM-Finale in Valencia mit 15 Jahren nach dem Gesamtsieg im Red Bull Rookies Cup sein GP-Debüt feiern – und sorgte im Red Bull Ajo-KTM-Team für einen fulminanten Sieg.
Mit 15 Jahren und 115 Tagen bleibt der Türke, der jetzt in der Supersport-WM eine Kawasaki fährt, wegen des erhöhten Mindestalters bis ans Ende aller Tage der jüngste Moto3-GP-Sieger.