Hervé Poncharal (GASGAS Tech3): «Das ist respektlos»

Von Günther Wiesinger
GASGAS-Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal ist begeistert vom 4. Platz von Augusto Fernández in Le Mans. Er lobt den Spanier, erklärt dessen Aufwärtstrend und wünscht sich mehr Respekt der Berichterstatter.

Nach den enttäuschenden Resultaten der Rookies Remy Gardner und Raúl Fernández in der MotoGP-WM 2022 hoffte GASGAS-Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal auf eine deutliche Steigerung für 2023. Mit dem routinierten Spanier Pol Espargaró, der am 10. Juni (hoffentlich in Mugello) seinen 32. Geburtstag feiert, und Moto2-Weltmeister Augusto Fernández stand eine aussichtsreiche und vielversprechende Fahrerpaarung bereit.

Doch Pol Espargaró erlitt schon am ersten Trainingstag beim Saisonstart in Portimão (24. bis 26. März) acht Knochenbrüche, er hofft auf eine Rückkehr beim GP von Italien. Ersatzfahrer Jonas Folger (29) zog sich in Austin, Jerez und Le Mans tapfer aus der Affäre und heimste bei den drei Sonntags-Rennen einen zwölften und einen 13. Platz ein.

Doch der großartige und überraschende vierte Platz von Augusto Fernández beim GP de France vor zehn Tagen stellte alles in den Schatten. Denn der 25-jähriger Spanier heftete sich trotz der zwei Stürze im Sprint und im Warm-up unerschrocken und respektlos an die Fersen der Spitzengruppe und ließ sich in den 27 anspruchsvollen Runden im Sonntags-Rennen nie richtig abschütteln.

Im Interview mit SPEEDWEEK.com sprach Teambesitzer Hervé Poncharal, der mit Daniel Holgado auf der Red Bull-KTM auch in der Moto3-WM führt, über die Situation in der MotoGP-Klasse und den eindrucksvollen Auftritt seines Rookies.

Hervé, niemand durfte erwarten, dass Rookie Augusto Fernández schon beim fünften Grand Prix so ein Durchbruch gelingt.

Nein, wir waren auch vorher sehr, sehr happy mit dem Saisonstart von Augusto. Er hat überall gepunktet, in Portugal, in Argentinien, in Texas und in Jerez.

Nur beim ersten Sprint in Portugal ist Augusto in der Aufregung des ersten Rennens bei der Aktivierung der Launch Control ein kleiner Patzer passiert. Er war etwas nervös, es kam dann zu einem Elektronikproblem. Aber das ist längst vergessen und verziehen.

Wir haben bei Augusto schon erste Anzeichen des Durchbruchs beim Montag-Test in Jerez gesehen. Dort ist ihm klar geworden, wie stark ihn die Pierer Mobility unterstützt. Er hat dieselben neuen Teile testen können wie Brad Binder und Jack Miller. Und es gab wirklich interessante Komponenten zu testen, besonders in der Aerodynamik-Abteilung. Er war happy, denn diese Tests sind positiv verlaufen.

Außerdem war Augusto dankbar, dass er nicht einfach als Rookie betrachtet wird. Das hat seine Motivation weiter beflügelt.

Wenn du dich erinnerst: Die Moto2-Saison 2022 ist für Augusto erst in Le Mans richtig losgegangen; er hat dort seinen ersten Saisonsieg erobert. Bis dahin hatte er etwas Mühe.

Augusto liebt die Piste in Le Mans. Als wir seine zweitbeste Zeit im Q1 gesehen haben und er mit dieser ausgezeichneten Rundenzeit ins Q2 gekommen ist, waren wir begeistert. Denn er hat Fabio Quartararo hinter sich gelassen, der in Le Mans immer schnell ist, besonders auf einer einzelnen schnellen Runde. Das war wirklich eine vortreffliche Performance.

Leider hatten wir für das Q2 keine idealen neuen Reifen mehr, also sind wir auf Platz 12 gelandet. Es war aber trotzdem unsere beste ‘grid position’ in diesem Jahr.

Dann ist der Sturz im Sprint Race passiert – nach sechs Runden auf Platz 17.

Ja, vielleicht war Augusto ein bisschen zu ambitioniert. Aber das habe ich ihm nicht übelgenommen, denn der Sprint war nicht unser vorrangiges Ziel; da bekommen nur die Top-9 Punkte.

Ich habe mir erst etwas Sorgen gemacht, als er im Warm-up gestürzt ist. Denn das Motorrad war stark beschädigt, und aus Sicherheitsgründen haben wir dieses Bike, das Augusto benutzen wollte, im Rennen nicht an den Start gebracht.

Das ist üblicherweise nicht vorteilhaft für das Vertrauen des Fahrers.
Augusto war zweimal mit dem Medium-Vorderreifen gestürzt, deshalb haben wir entschieden, ihn am Sonntag mit dem Soft ins Rennen zu schicken. Es war ziemlich heiß, aber wir wussten nicht, was wir in den 27 Runden in Le Mans wirklich erwarten konnten.

Doch Augusto gelang ein sehr guter Start, er kam sofort in eine gute Gruppe. Obwohl er durch den Sturz von Marini und Alex Márquez Zeit verloren hat, hat er wieder aufgeholt.

Wir waren beeindruckt. Aber wir dachten, in der zweiten Rennhälfte wird er zurückfallen, auch wegen des weichen Vorderreifens. Doch er hat nie nachgelassen. Im Gegenteil: Von Runde zu Runde kam er näher an die Spitzenfahrer heran.

In manchen Runden war Augusto der schnellste Fahrer auf der Strecke. Wir grübelten, wie lange er diesen Speed durchhalten könnte, und drückten die Daumen. Wir hofften, dass er nicht allzu viel riskieren würde. Denn wenn du auf P4 oder 5 liegst, denkst du an der Boxenmauer: Dieses Ergebnis müssen wir uns Ziel bringen!

Als Aleix Espargaró hinter ihm viel Druck machte, hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn Augusto ihn vorbeigelassen hätte. Wir wären auch mit P5 oder P6 zufrieden gewesen.

Aber Aleix hat nachher gesagt: «Augusto hat gekämpft wie ein Löwe

Auch Jorge Martin hat im TV-Interview zu ihm gesagt: «Du bist ein Löwe. Du bist wie ein Champion gefahren, fehlerlos, sehr schnell, stark in den Bremszonen, gute Linien.»

Augusto Fernández hat in Frankreich in 27 Runden nur 6,2 sec auf den Sieger verloren.

Ja, ich war wirklich froh über dieses Ergebnis. Denn bisher haben gewisse Medien Augusto nur zu einem Thema befragt: Sie wollten wissen, ob er 2024 seinen Platz für Pedro Acosta frei machen muss.

Ich halte das für respektlos. Denn Augusto Fernández ist der aktuelle Moto2-Weltmeister. Er schlägt sich in der MotoGP wacker und hat als Neuling bei acht von zehn Rennen gepunktet; das ist in der Vergangenheit manchen Rookies nicht gelungen.

Ich meine, er hätte es verdient, von den Medien ein paar persönliche Fragen gestellt zu bekommen, nicht über Spekulationen, was für 2024 im Team passieren könnte oder auch nicht.

Durch den vierten Platz in Le Mans konnte Augusto sein Niveau beweisen. Und obwohl er nur 1,5 sec auf Johann Zarco und 2 sec auf Jorge Martin verloren hat, obwohl er die siebtschnellste Rennrunde gedreht hat, hat es geheissen, er ist nur Vierter geworden wegen der vielen Stürze. Aber viele Fahrer hat Augusto einwandfrei überholt, sie sind erst nachher gestürzt.

Was mir an ihm gefällt: Er kommt fast immer ins Ziel – und er ist nicht langsam!

Danach wurde debattiert: Wollen die Fans Fahrer wie Augusto Fernández siegen sehen? Diese Frage wurde mit «nein» beantwortet. Da vermisse ich den nötigen Respekt dem Fahrer gegenüber.

Man spricht gern über den Kampf der Giganten. Aber auch die Giganten waren früher namenlos und unbekannt. Wenn du jungen Talenten wie Bezzecchi, Marini, Augusto und so eine Möglichkeit gibst, sich zu entfalten, können sie eines Tages zu Giganten werden. Das weiß man nie.

Trotzdem wird das Thema Pedro Acosta in den nächsten Wochen nicht verschwinden. Bei Pedros nächsten Moto2-Sieg wird es wieder akut werden.  

Ich kann nur wiederholen: Ich habe volles Vertrauen zu Stefan Pierer, Hubert Trunkenpolz und Pit Beirer. Sie werden manchmal als arrogant und herzlos beschrieben.

Ich haben den genau gegenteiligen Eindruck. Wenn du Zugang zur Pierer-Mobility-Familie bekommst, bist du Familienmitglied. Und sie haben ein grosses Herz; das kann ich nach viereinhalb Jahren getrost sagen.

Und den drei erwähnten Personen liegt Augusto am Herzen. Sie haben Freude an seinen Leistungen. Das ist klar. 

Ergebnisse MotoGP-Rennen Le Mans/F:

1. Marco Bezzecchi (I), Ducati, 27 Runden in 41:37,970 min
2. Jorge Martin (E), Ducati, +4,256 sec
3. Johann Zarco (F), Ducati, +4,795
4. Augusto Fernández (E), KTM, +6.281
5. Aleix Espargaró (E), Aprilia, +6,726
6. Brad Binder (ZA), KTM, +13,638
7. Fabio Quartararo (F), Yamaha, +15,023
8. Fabio Di Giannantonio (I), Ducati, +15,826
9. Takaaki Nakagami (J), Honda, +16,370
10. Franco Morbidelli (I), Yamaha, +17,828
11. Danilo Petrucci (I), Ducati, +29,735
12. Lorenzo Savadori (I), Aprilia, +36,125
13. Jonas Folger (D), KTM, +49,808
– Marc Márquez (E), Honda, 2 Runden zurück
– Jack Miller (AUS), KTM, 3 Runden zurück
– Alex Rins (E), Honda, 13 Runden zurück
– Joan Mir (E), Honda, 15 Runden zurück
– Luca Marini (I), Ducati, 22 Runden zurück
– Alex Márquez (E), Ducati, 22 Runden zurück
– Francesco Bagnaia (I), Ducati, 23 Runden zurück
– Maverick Viñales (E), Aprilia, 23 Runden zurück

MotoGP-Ergebnis Sprint, Le Mans (13.05.):

1. Martin, Ducati, 13 Rdn in 19:59,037 min
2. Brad Binder, KTM, + 1,840 sec
3. Bagnaia, Ducati, + 2,632
4. Marini, Ducati, + 3,418
5. Marc Márquez, Honda, + 3,541
6. Zarco, Ducati, + 4,483
7. Bezzecchi, Ducati, + 5,224
8. Aleix Espargaró, Aprilia, + 6,359
9. Viñales, Aprilia, + 8,336
10. Nakagami, Honda, + 9,439
11. Rins, Honda, + 12,388
12. Di Giannantonio, Ducati, + 14,125
13. Morbidelli, Yamaha, + 15,121
14. Mir, Honda, + 15,383
15. Alex Márquez, Ducati, + 15,591
16. Petrucci, Ducati, + 19,415
17. Savadori, Aprilia, + 26,992
– Quartararo, Yamaha, 4 Runden zurück
– Folger, KTM, 5 Runden zurück
– Augusto Fernández, KTM, 8 Runden zurück
– Miller, KTM, 12 Runden zurück

WM-Stand nach 10 von 40 Rennen:

1. Bagnaia, 94 Punkte. 2. Bezzecchi 93. 3. Binder 81. 4. Martin 80. 5. Zarco 66. 6. Marini 54. 7. Viñales 49. 8. Miller 49. 9. Quartararo 49. 10. Rins 47. 11. Aleix Espargaró 42. 12. Alex Márquez 41. 13. Morbidelli 40. 14. Augusto Fernández 30. 15. Di Giannantonio 25. 16. Oliveira 21. 17. Nakagami 21. 18. Dani Pedrosa (E), KTM, 13. 19. Marc Márquez 12. 20. Folger 7. 21. Mir 5. 22. Petrucci 5. 23. Michele Pirro (I), Ducati, 5. 24. Savadori 4. 25. Raúl Fernández (E), Aprilia, 3. 26. Stefan Bradl (D), Honda 2.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati, 174 Punkte. 2. KTM 103. 3. Aprilia 80. 4. Honda 73. 5. Yamaha 58.

Team-WM:

1. Mooney VR46 Racing, 147 Punkte. 2. Prima Pramac Racing 146. 3. Red Bull KTM Factory Racing 130. 4. Ducati Lenovo Team 104. 5. Aprilia Racing 91. 6. Monster Energy Yamaha 89. 7. LCR Honda 68. 8. Gresini Racing 66. 9. GASGAS Factory Racing Tech3, 37. 10. CryptoDATA RNF 28. 11. Repsol Honda 17.

Diesen Artikel teilen auf...

Mehr über...

Siehe auch

Kommentare

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Nachbehandlung mit dem Doktor: Japan

Dr. Helmut Marko
Exklusiv auf SPEEDWEEK.com: Dr. Helmut Marko, Motorsport-Berater von Red Bull, analysiert den jüngsten Grand Prix. Diesmal: Suzuka, ein fast perfektes Rennen, und warum wir keinen Stress haben.
» weiterlesen
 

TV-Programm

  • Di.. 23.04., 08:30, Eurosport
    Motorradsport: 24-Stunden-Rennen von Le Mans
  • Di.. 23.04., 08:40, Motorvision TV
    Super Cars
  • Di.. 23.04., 09:10, Motorvision TV
    Top Speed Classic
  • Di.. 23.04., 10:00, Hamburg 1
    car port
  • Di.. 23.04., 11:00, Eurosport 2
    Motorsport: FIA-Langstrecken-WM
  • Di.. 23.04., 11:30, Motorvision TV
    Classic Ride
  • Di.. 23.04., 12:00, Motorvision TV
    Bike World
  • Di.. 23.04., 14:00, Eurosport
    Motorsport: FIA-Langstrecken-WM
  • Di.. 23.04., 14:30, Motorvision TV
    Gearing Up
  • Di.. 23.04., 15:00, Motorvision TV
    Car History
» zum TV-Programm
13