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100 Jahre MV Agusta: Vom Anfang bis zum KTM-Einstieg

Von Thorsten Horn
MV Agusta ist eine der bedeutendsten Motorradmarken. Im 100. Jahr des Bestehens wechselte der Besitzer hin zur österreichischen KTM AG. Ein guter Anlass, auf die Firmen-Historie zurückzublicken.

MV steht für «Meccanica Verghera». Die Motorradmarke MV Agusta wurde 1923 als Familienunternehmen im nordwestlich von Mailand gelegenen Gallarate gegründet. Schwerpunktmäßig schrieb man sich die aufstrebende Luftfahrt auf die Fahnen, doch ab 1927 widmete man sich auch der Herstellung von Motorrädern. Während des Zweiten Weltkrieges war MV den Mächtigen in Italien mit seiner mittlerweile langjährigen Erfahrung in der Flugzeugproduktion sehr dienlich.

Nachdem Italien 1943 den Krieg verloren hatte und sich zurückzog, entschlossen sich die Brüder Domenico und Corrado Agusta erneut zur Motorradproduktion. In der Nachkriegszeit konkurrierten rund 150 Motorradhersteller in Italien, denn der Bedarf an motorisierten Fortbewegungsmitteln beschränkte sich auf schlichte und vor allem billige Fahrzeuge. Der ältere Conte Domenico Agusta entpuppte sich als der Engagiertere. Rennmotorrädern gehörte seine große Leidenschaft.

Bis 1950 verschrieb man sich in Gallarate der zu diesem Zeitpunkt nicht ausgereiften Zweitakttechnik, doch schon bald stellte man auf Viertakttechnik um und blieb dieser über zwei Jahrzehnte, man könnte auch sagen bis zum ersten bitteren Ende, treu.

In den kleinen Hubraumklassen gelangte man ziemlich schnell an die Weltspitze. So errang Cecil Sandford 1952 den ersten Sieg beim Debüt von MV Agusta auf der Isle of Man in der Lightweight-Klasse, was gleichzeitig den ersten GP-Sieg bedeutete. Nach einem weiteren Sieg sowie vorderen Platzierungen in den vier verbleibenden Rennen sprang am Saisonende zusätzlich die Fahrerweltmeisterschaft für den Briten heraus. Die Doppelnocken-MV mit 125 ccm wog 76 kg und erreichte mit ihren 15 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h.

Bis Anfang der Sechzigerjahre dominierte MV die Klassen 125 und 250 ccm und errang zehn WM-Titel. Allein Carlo Ubbiali holte acht seiner insgesamt neun Titel auf einer Gallarater Maschine. Doch das eigentliche Ziel des Grafen waren die beiden großen Hubraumklassen. So verpflichtete er für 1951 den ersten Halbliter-Weltmeister Les Graham. Der brachte neben seiner Erfahrung auch wichtige Kenntnisse seines Freundes Ernie Earles, dem Erfinder der gleichnamigen Vorderradgabel, mit. In den großen Hubraumklassen hatte MV auf dem Fahrwerkssektor einigen Nachholbedarf. Anfangs kam man der Konkurrenz nur langsam näher. 1952 gewann Graham schließlich die beiden letzten Saisonrennen bei den 500ern, sodass man in das darauffolgende Jahr große Erwartungen setzte. Doch zum Saisonbeginn verunglückte er bei der englischen TT tödlich.

Für 1955 wurde der Rhodesier Ray Amm verpflichtet. Aber auch dieser Spitzenfahrer verlor auf einer MV sein Leben, und zwar bei seinem ersten Rennen für den Grafen, einem nationalen Lauf in Imola. 1956 erlebte das Team aus Gallarate im belgischen Spa-Francorchamps einen der schönsten Tage der Firmengeschichte. In allen vier Rennen des Tages überqueren MV als erste den Zielstrich. Carlo Ubbiali gewann die beiden kleinen Klassen, John Surtees die beiden großen. Ähnliches gelang vorher nur Norton, die ebenfalls in Spa die drei ausgeschriebenen Klassen 350 ccm, 500 ccm und Seitenwagen durch Geoff Duke und Eric Oliver gewannen.

1956 holte John Surtees die langersehnte erste Halbliter-WM für MV Agusta, obwohl er nur an der Hälfte von insgesamt sechs Saisonrennen teilnehmen konnte. Nach drei Siegen in Folge verletzte er sich bei einem Sturz auf der Stuttgarter Solitude so schwer, dass er für den Rest des Jahres ausfiel. Nachdem er weitere sechs WM-Titel für die Italiener gewonnen hatte, wurde Surtees 1964 Formel 1-Weltmeister auf Ferrari, dem Pendant zu MV Agusta im Automobil-Rennsport. Dieses Kunststück zu wiederholen, war bislang keinem weiteren Piloten beschieden.

Zum Ende der 1957er-Saison stiegen Gilera, Mondial, Moto Guzzi und Norton werksseitig aus dem GP-Sport aus. Auch DKW und NSU waren nicht mehr dabei. Als Gründe nannte man die gestiegenen Kosten sowie das Verbot der Vollverkleidungen. Somit hatte MV leichtes Spiel und stellte in den folgenden drei Jahren sämtliche Weltmeister der vier Soloklassen. Im Laufe der Zeit mehrten sich die Stimmen, die behaupteten, MV würde dank fehlender Konkurrenz WM-Titel sammeln, wie andere Leute Briefmarken. Aufgrund des damit einhergehenden Verlustes der Werbewirksamkeit kündigte auch Conte Agusta für 1961 den werksseitigen Ausstieg an.

Nachdem man Gary Hocking lediglich zwei Mechaniker aus Gallarate zur Verfügung gestellt hatte, konnte der Graf zu Saisonmitte seiner großen Leidenschaft nicht mehr widerstehen und kehrte in den Grand-Prix-Zirkus zurück. Nun allerdings nur noch in den beiden großen Soloklassen 350 und 500 ccm. Im darauffolgenden Jahr ließ Domenico Agusta seine 350er-Renner beim Heim-GP in Monza nicht an den Start gehen. Die Konkurrenz aus Fernost in Gestalt von Honda war mittlerweile in dieser Klasse überlegen. Dieses könnte man nun als Unsportlichkeit oder gar Feigheit kommentieren, doch sollte bedacht werden, dass nach dem Ausstieg der großen Gegner die Weiterentwicklung nicht mehr mit letzter Konsequenz vorangetrieben wurde.

1965 holte Conte Agusta Giacomo Agostini zu MV. Der hatte im Jahr zuvor die italienische 250er-Meisterschaft vor seinem Stallgefährten, dem erfahrenen Ex-Weltmeister Tarquinio Provini, gewonnen. Um sich auf die Formel 1 zu konzentrieren, stieg Honda Ende 1967 wieder aus. Damit wurde es für MV wieder relativ einfach, gegen Privatfahrer auf ihren Matchless, Norton, Metisse, Seeley, Linto, Paton usw. zu gewinnen. So wurde Giacomo Agostini auf MV zum Seriensieger bzw. -weltmeister, der bei manchem Rennen sämtliche Mitstreiter überrundete. Aber Motorradrennsport war jedoch das Ein und Alles des Grafen, zumal er es sich als Marktführer bei der Hubschrauberproduktion auch finanziell leisten konnte.

In der konkurrenzlosen Zeit versuchte er, vorrangig bei Heimrennen, künstlich Spannung zu erzeugen. So beispielsweise 1968 in Monza. Hier engagierte er noch einmal Mike Hailwood, der nach  «spannendem Kampf» schließlich hinter «Ago Nazionale» einlaufen sollte. «Mike the Bike» lehnte dankend ab und verabschiedete sich noch zwischen den Trainingsläufen in Richtung Benelli.

Anfang der 1970er-Jahre gab es durch zunächst privat eingesetzte Yamaha endlich wieder ernsthafte Gegner. Anfänglich bei den 350ern, später auch in der Königsklasse.

Im Februar 1971 starb Graf Domenico Agusta überraschend an Herzversagen. Die Leitung von Firma und Rennteam übernahm sein Bruder Corrado und wenig später eine Holding. Die mittlerweile konkurrenzfähigen Zweitakter von Yamaha und Suzuki rüttelten immer stärker am Thron der Vierzylinder-MVs.

Mitte der Siebzigerjahre reglementierte die FIM die maximal zulässige Phonzahl auf 116 Phon. Die Viertakt-MVs schafften locker 130 Phon bzw. heute dB(A). Die Geräuschdämpfung wäre aber nur in Verbindung mit gravierendem Leistungsverlust möglich gewesen, sodass man sich in Gallarate zum endgültigen Rückzug entschloss.

1976 setzte Giacomo Agostini, mithilfe von sich zaghaft vermehrenden Sponsoren (in diesem Fall api und Marlboro) die 350er und 500er MV privat ein. Beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring holte Ago am 29. August den letzten GP-Sieg auf einer reinrassigen MV Agusta.

Nach zahlreichen Besitzerwechseln und von mäßigem Erfolg gekrönten Rückkehr im Motorradrennsport ist MV Agusta in der jüngeren Vergangenheit in der Moto2-WM sowie aktuell in der Supersport-WM engagiert. In der seriennahen Weltmeisterschaft durchaus erfolgreich: Zwischen 2014 und 2023 wurde mit der F3 675 und der F800 (ab 2022 im Einsatz) elf Rennen gewonnen.

In diesem Jahr wurde bekannt, dass die österreichische KTM AG, eine Tochter der Pierer Mobilty AG, zu der auch die Marken Husqvarna und GASGAS gehören, schrittweise die Aktienmehrheit an MV Agusta übernehmen wird. Dies schürte die Hoffnungen, dass die Edelmarke in die Königsklasse des Grand-Prix-Sports zurückkehren könnte.

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