Harold Daniell schrieb vor 75 Jahren WM-Geschichte
Die Tourist Trophy auf der Isle of Man ist anders. Schon die Länge des Snaefell Mountain Course von über 60 Kilometern stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar. Aber auch an welchen Tagen die einzelnen Rennen durchgeführt werden, unterscheidet sich im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, wo an Wochenenden gefahren wird, und so fand der erste Weltmeisterschaftslauf der Halbliterklasse vor 75 Jahren nicht an einem Sonntag, sondern an einem Freitag statt, genauer gesagt am 17. Juni 1949.
Am Morgen des Renntages war die Spitze des hohen Snaefell noch in eine Wolke gehüllt, als Schiffe abertausende Zuschauer aus Schottland, Wales, Großbritannien und Irland auf die Insel gebracht hatten. Die aufgehende Sonne schickte sich bereits an, sie auf ihrem Weg zu den besten Plätzen entlang der Strecke zu erwärmen und letzte Reste des Dunstes, der sich über die Isle of Man gelegt hatte, aufzulösen. Alles sah nach optimalen Bedingungen für ein spannendes Rennen aus.
Sogar Besuch aus dem britischen Königshaus hatte sich für den Höhepunkt der Tourist Trophy angesagt. Der Duke of Edinburgh, der Ehemann der späteren Königin Elizabeth II., mischte sich vor dem Start unter die Fahrer und unterhielt sich mit ihnen zwanglos. Pünktlich um 11.00 Uhr Ortszeit schwenkte er für Artie Bell, der als Vorjahressieger die Ehre der Startnummer 1 hatte und alleine starten durfte, die Fahne. Hinter ihm wurden die Piloten paarweise ins Rennen geschickt.
Sieben körperlich und mental anstrengende Runden lagen vor den 59 Aktiven, von denen 35 ins Ziel kommen sollten. Im Vorfeld wurde ein heißer Kampf zwischen den Werksteams von Norton und Velocette erwartet, aber auch den AJS- und Moto Guzzi-Fahrern wurden durchaus Chancen auf den Sieg eingeräumt.
Für den ersten Umlauf benötigten Leslie Graham und Ted Frend auf ihren AJS 25 Minuten und 31 Sekunden und lagen damit zeitgleich an der Spitze des Feldes, Harold Daniell hatte auf seiner Norton bereits elf Sekunden auf seine Gegner verloren und Bob Foster (Moto Guzzi) lag zu diesem Zeitpunkt weitere neun Sekunden zurück. Bill Doran (AJS) und Norton-Werksfahrer Johnny Lockett teilten sich den fünften Platz. Ihr Zeitrückstand betrug bereits 26 Sekunden auf das führende Duo.
Graham und Frend absolvierten auch die zweite Runde in der gleichen Zeit. Von seinen Signalposten von seinem Rückstand informiert, hatte hinter ihnen Foster auf seiner roten Guzzi das Tempo erhöht. Unglaublich, aber wahr, nun lag sogar ein Trio zeitgleich in Führung. Mit Respektabstand lagen immer noch Daniell, Doran und Lockett auf den Plätzen 4 bis 6. Freddie Frith (Velocette), der vier Tage zuvor den ersten WM-Lauf der Geschichte gewonnen hatte, lag hinter Artie Bell (Norton) auf Rang 8.
Foster war jetzt so richtig in Fahrt gekommen. Er übernahm vor den drei AJS-Piloten Frend, Graham und Doran die erste Position, dahinter lauerte das Norton-Trio Daniell, Lockett und Bell. In der Zwischenzeit wurden erste Ausfälle gemeldet. Der spektakulärste betraf dabei Syd Lawton (Triumph), der bei Union Mills zu Sturz gekommen war und dabei einen Zaun abgeräumt hatte. Er kam mit dem Schrecken davon. Frith musste dagegen sein Motorrad mit einem Motorschaden abstellen.
Nach der vierten Runde fehlte auf der Anzeigetafel auch Frend, der bis dahin mit geringem Abstand auf Foster an der zweiten Stelle gelegen war. Foster «flog» förmlich um die Strecke. Zwei Runden vor Rennende hatte er Graham um 57 Sekunden distanziert. Der Drittplatzierte Doran lag weitere 27 Sekunden zurück. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit Foster. Er hatte seinem Motorrad zu viel zugemutet. Im Bereich von Sulby zwangen ihn Problem mit der Kupplung zur Aufgabe.
Weil auch Doran nicht von Problemen verschont blieb, lautete die Reihenfolge bevor die letzte Runde in Angriff genommen wurde: Graham eine Minute und 38 Sekunden vor Daniell, Lockett lag seinerseits weitere 46 Sekunden zurück auf dem dritten Rang, hatte aber einen beruhigenden Vorsprung von über eineinhalb Minuten auf Lyons. Doran, der nach kurzer Reparatur an der Strecke das Rennen wieder aufgenommen hatte, lag vor Bell an der fünften Stelle.
Es sah alles nach einem ungefährdeten Sieg von Leslie Graham aus. Nur noch ein paar Meilen lagen vor seinem größten Triumph, doch dann wendete sich die Glücksgöttin von ihm ab. Nur wenige Meilen vor der Zielflagge wurde er gesehen, wie er sein Motorrad schob. Rasch wurde vermutet, dass dem Unglücksraben das Benzin ausgegangen sein könnte. Doch nach dem Rennen, das er noch auf Platz 10 beenden konnte, stellte sich heraus, dass ein Teil im Zündmagnet gebrochen war.
Mit Harold Daniell stand ein Sieger fest, der sich durch seine Erfahrung im gesamten Rennverlauf nicht aus der Ruhe bringen ließ. Nur wenige Monate vor seinem 40. Geburtstag gewann der Brite, der mit Glatze und Brille eher wie ein Oberstudienrat und nicht wie ein verwegener Motorradrennfahrer aussah, nach 1938 und 1947 zum dritten Mal die prestigeträchtige Senior-TT. Für die Renndistanz von 425,044 Kilometern benötigte Daniell 3:02:18,6 (139,900 km/h).
Der zweite Platz ging an seinen Norton-Teamkollegen Johnny Lockett, dessen Rückstand beachtliche 1:33,8 Minuten betrug. Ernie Lyons auf seiner Velocette wurde vor Artie Bell (Norton) Dritter. Der fünfte Platz ging an den neuseeländischen Privatfahrer Syd Jensen (Triumph)
Mit dem Ausgang der Halbliter-Weltmeisterschaft hatte dieses Ergebnis übrigens keinen Einfluss. Nach seinen Siegen in der Schweiz und Irland sowie dem zweiten Platz in den Niederlanden ging der WM-Titel an den Briten Leslie Graham. Nur einen Punkt dahinter musste sich der Italiener Nello Pagani – er siegte in den Niederlanden und Italien – mit dem Vize-Titel abfinden. WM-Endrang 3 ging an seinen Landsmann und Gilera-Teamkollegen Arciso Artesiani. Harold Daniell beendete die WM an der sechsten Stelle.