Honda im Niemandsland: «Alle besser, nur wir nicht!»
Fabio Quartararo fuhr seine Yamaha M1 in Assen auf den ersten Startplatz. Marco Bezzecchi erreichte für Aprilia in den Niederlanden in beiden Rennen Podiumsplätze und im Grand Prix schien sogar ein Sieg zwischenzeitlich in Reichweite. KTM-Tech3-Pilot Maverick Vinales war zuvor in Mugello zweimal in Reichweite zum Podium. Im Sprint schrammte der Spanier nur um eine halbe Sekunde daran vorbei, im Grand Prix musste er eine Top-Platzierung wegen einer Kollision mit Franco Morbidelli vorzeitig abschreiben. Und die Ergebnisse der Ducati-Piloten befinden sich ohnehin seit Langem in eigenen Sphären. Kurz: Fast alle Hersteller waren in den letzten drei MotoGP-Events in der Lage, Highlights zu setzen. Einzige Ausnahme: Honda.
Der Hersteller aus Japan schien sich aus der Talsohle herausgearbeitet zu haben. Der Aufwärtstrend fand in Le Mans mit dem Heimsieg von LCR-Pilot Johann Zarco seinen Höhepunkt. War der Triumph in Frankreich noch den Wetterkapriolen zuzuschreiben, so bestätigte der 34-Jährige seine und die Form des Motorrads Ende Mai in Großbritannien: Beim Grand Prix in Silverstone fuhr der Fahrer mit der Nummer 5 den zweiten Platz ein.
Seither jedoch scheint Honda im Niemandsland. Ein siebter Platz für Werksfahrer Joan Mir im Sonntagsrennen von Aragon war bei den letzten drei Rennwochenenden die einzige Platzierung einer RC213V in den Top 10! Was sind die Gründe für die aktuelle Ergebniskrise bei den Japanern? Offenbar gibt es nicht die eine Ursache, sondern, wie so oft in der komplexen MotoGP, eine Reihe davon.
Joan Mir deutete im Rahmen des Rennwochenendes in Assen an, dass die Weiterentwicklungen zuletzt nicht wie gewünscht gezündet hätten: «Die restlichen Hersteller konnten sich seit den Testfahrten in Aragon alle verbessern, aber wir nicht. Das macht im Moment den Unterschied!» HRC-Testfahrer Aleix Espargaro blies ins gleiche Horn: «Wir kommen nicht voran. Ich hätte erwartet, dass wir unser Motorrad zu diesem Zeitpunkt schon weiterentwickelt haben würden.» Selbst kleine Vorteile der Konkurrenten im Entwicklungsrennen sind dabei teuer für die RC213V-Piloten: Nur zwei Zehntelsekunden Unterschied machen im engen Mittelfeld, in dem sich die Honda-Piloten zuletzt bewegten, im Mittel fünf Plätze in der Startaufstellung aus.
Neben ungenutztem Potenzial am Motorrad war auch der Charakter der Strecken in Assen und Mugello zuletzt ein Hindernis für die Fahrer. Die Schwächen der RC213V traten auf diesen Kursen in den Vordergrund, ihre Stärken ließen sich kaum nutzen. Dazu Espargaro: «Unser Motorrad ist in engen Kurven und bei harten Bremsmanövern außergewöhnlich gut. Schnelle Kurven sind dagegen unser Kryptonit!» Davon gab es auf den Kursen in Holland und Italien überdurchschnittlich viele. Joan Mir dazu: «Kurse mit flüssigem Streckenverlauf, auf denen man weniger bremsen muss, offenbaren unsere Schwächen. Auf solchen Strecken werden wir ohne neue Teile in nächster Zeit keine besseren Ergebnisse erwarten können.»
Ein weiteres Problem für die Japaner ist, dass sich ihr Zugpferd zuletzt unter Wert verkaufte. LCR-Pilot Johann Zarco ist seit fast einem Jahr der wichtigste Punktelieferant für Honda. Der Franzose war es, der in der zweiten Saisonhälfte 2024 anfing, den Aufwärtstrend des japanischen Herstellers einzuläuten, indem er sein Motorrad in den Qualifikationstrainings erst vereinzelt, und dann immer regelmäßiger im Q2 platzieren konnte. Er war es auch, der in dieser Saison in Le Mans den ersten Sieg mit einer RC213V seit Alex Rins in Austin 2023 feiern konnte. Entsprechend ist der in Cannes geborene Zarco auch noch immer der bestplatzierte Honda-Pilot in der WM-Wertung, satte 63 Punkte und neun Plätze vor Werkspilot Luca Marini. Seit Zarcos zweitem Platz im Grand Prix in Silverstone folgten für ihn jedoch sechs Nullrunden bei drei Stürzen. Die Ergebniskrise für Honda ist auch eine Ergebniskrise für Johann Zarco.
Für bessere Ergebnisse braucht es gleichzeitig das Vertrauen der Fahrer in ihr Arbeitsgerät und die passenden Einstellungen. Daran haperte es zuletzt für die Piloten des Motorrads aus Tokio. Zarco haderte nach dem Sprintrennen in Assen mit seinem Bike – das Verständnis für die besten Einstellungen seines Motorrads habe ihm gefehlt: «Wir wussten nicht, ob wir schon die Grenzen des Motorrads auf dieser Strecke erreicht haben, oder ob wir uns beim Setup falsch entschieden haben. In der Folge haben wir uns gegenüber den vorherigen Sessions zurückentwickelt.»
Neben dem fehlenden Verständnis beim Setup gibt es Schwächen bei Aerodynamik und Antrieb. Dazu Zarco: «Wenn ich hinter anderen Motorrädern fahre, habe ich das Gefühl, dass ich wieder auf dem Motorrad vom letzten Jahr sitze. Ich muss unheimlich viel Energie aufwenden, um an meinen Vorderleuten dranbleiben zu können und dann kann ich trotzdem nicht überholen.» Dem V4-Motor fehlt es an Kraft, das beschränke die Möglichkeiten zusätzlich, auf den Geraden zu überholen. HRC-Tester Aleix Espargaro legt den Finger in die Wunde: «Seit ich hier bin, sage ich, dass wir den Motor verbessern müssen. Inzwischen haben wir ihn verbessert, aber noch nicht genug! Auf schnellen Kursen macht es das äußerst schwierig für unsere Piloten, gegen die anderen zu kämpfen, denn man verliert allein auf den Geraden schon zu viel Zeit.» Dazu kommt: «Auf mehreren Strecken haben wir noch immer Probleme mit Chattering. Hoffentlich gelingt uns in der Sommerpause diesbezüglich ein Schritt nach vorn.»
Die Hoffnung auf weitere neue Teile in der Sommerpause, die nach dem Rennwochenende in Brünn im Juli ansteht und bis zum 15. August reicht, hört man unisono von allen Piloten. Gleichzeitig wurden im Laufe dieser Saison schon viele Updates in die Motorräder eingebaut und weitere warten darauf, im Rennbetrieb getestet zu werden. Nicht alle davon versprechen immer direkten Erfolg. Das richtige Zusammenspiel zwischen den einzelnen Komponenten zu ergründen, erfordert zusätzliche Anstrengungen. Gleichzeitig betreibt kein anderer Hersteller so viel Aufwand bei der Entwicklung – die Japaner leisten sich gleich zwei Testteams mit insgesamt drei Testfahrern (Taka Nakagami, Aleix Espargaro und Stefan Bradl).
Genügend Ressourcen, um gleich mehrere Lösungsansätze auszuprobieren. Espargaro berichtet: «Seit ich bei Honda bin, wurde alles, was ich angeregt habe, ausprobiert. Wir haben alles Mögliche ausgetauscht, vom Rahmen bis zum Aerodynamik-Paket. Das Motorrad, mit dem wir jetzt in den Rennen antreten, hat nichts mehr mit dem Bike zu tun, das wir zu Saisonbeginn hatten.» Das Projekt sei wie ein Puzzle und mit der Führungskultur, die der von Aprilia gekommene MotoGP-Rennchef Romano Albesiano zu Beginn des Jahres eingeführt habe, sei es nur eine Frage der Zeit, bis Honda dauerhaft ganz vorn mitmische.