Valentino Rossi: Der Charme des Champions
Diese Geschichte kam auf einem Umweg zu mir. Sie wurde einer Quelle aus der japanischen Industrie zugeordnet – tatsächlich von Yamaha. Und sie traf mich unerwartet von der Seite. Lag ich all die Jahre in meinem Beharren darauf falsch, dass sich unter dem polierten Charme und dem wachen Geist von Valentino Rossi ein rücksichtsloser Killer versteckt?
Die Geschichte geht zurück auf das letzte Rennen 2013 in Valencia. Dort sickerte die schockierende Nachricht durch: Rossi hatte sich von seinem treuen Crew-Chief Jerry Burgess getrennt. Burgess war selbst ein Held im Paddock.
Burgess’ Lebenslauf beinhaltet die Tätigkeit als Crew-Chief für die Australier Wayne Gardner und 500-ccm-Seriensieger Mick Doohan. Nicht zu vergessen, dass er auch von 1983 bis 1985 Teil der Crew von «Fast Freddie» Spencer war.
Burgess arbeitete mit Rossi zusammen, seit der 125-ccm- und 250-ccm-Weltmeister im Jahr 2000 in die Königsklasse aufstieg. Er folgte ihm, mit seiner hauptsächlich australischen Crew, von Honda zu Yamaha, dann zu Ducati und zurück zu Yamaha. Zusammen gewann sie sieben Titel, überlebten die Ducati-Krise und gewannen danach gelegentlich wieder Rennen. Es war sicher das, was Rossi auch in der Dämmerung seiner Karriere noch erwarten konnte.
Die Entscheidung kam völlig unerwartet und schockierte jeden. Für mich war das einfach nur die Bestätigung seines tödlichen Programms. Rossi schreckte während seiner gesamten Karriere vor nichts zurück. Hinter dem Lächeln liegt eine tödliche Absicht. Er wirkte gereizt, sogar verzweifelt. Eine selbstbetrügerische Entschuldigung für seine schwindende Leistungsfähigkeit. Dies war auch der Hintergrund seines verärgerten Ausbruchs gegen Márquez im letzten Jahr.
Im letzten Jahr war natürlich jede Frage nach der «schwindenden Leistungsfähigkeit», in Anbetracht der Welle von Stärke und Konstanz, während seine jüngeren Rivalen Fehler machten, krank waren oder stürzten, beiseitegeschoben worden.
Zurück zur Geschichte. Hinter den Kulissen gab es Gerüchte, dass es einen besonderen Grund für Rossis Aktion gab – einer von besonders aufopfernder Art. Burgess’ Vertrag wäre erst ein Jahr später ausgelaufen. Rossi wusste, dass das Werk im Fall eines Rauswurfs durch den Fahrer, den Vertrag anerkennen und auch das nächste Jahr zahlen würde.
Zu dieser Zeit war Burgess’ Frau Claudine ernsthaft an Krebs erkrankt, wovon sie sich inzwischen glücklicherweise wieder sehr gut erholt hat. Der Australier hatte unerwartet bereits ein Rennen verpasst – das erste in 40 Jahren oder mehr.
Die Geschichte lautet: Er musste das Team ohnehin verlassen. Durch den Vorwand des Rauswurfs tat ihm Rossi tatsächlich einen großen Gefallen, da er ihm einen frühen und lukrativen Abgang ermöglichte. Eine barmherzige Handlung. Noch viel mehr als das. Er war bereit, sich als den Bösewicht hinstellen zu lassen und behielt die Fakten für sich.
Gerücht oder Wahrheit?
Es gab nur eine Möglichkeit. Ich rief Burgess zuhause in Australien an. Wenig überraschend tat er die Geschichte mit einem Lachen als unwahr ab. Rossis Entscheidung kam unerwartet, betonte er. Tatsächlich entschuldigte sich Rossi bei ihm bei der Ankunft in Valencia, weil die Nachricht bereits zur italienischen Presse durchgedrungen war, bevor er seinen alten Weggefährten informiert hatte. Der Vertrag mit Yamaha war ohnehin schon in Stein gemeißelt.
Wenn diese Geschichte wahr ist, dann ist es ein Komplott der beiden. Daher erwarten wir, dass auch ihr sie leugnet.
Mehr zum Lachen und eine Enthüllung: Yamaha, sagte er, bezahlte ihm das Gehalt für ein weiteres Jahr, obwohl er nicht arbeitete, doch die Entlohnung für den von Valentino ausgewählten Ersatz zahlten sie nicht. Das erste Jahresgehalt von Silvano Galbusera zahlte Rossi also aus eigener Tasche.
Es gab kein Komplott. Burgess, der ohnehin das japanische Rentenalter von 60 Jahren überschritten hatte, war nicht einmal besonders überrascht. «Ich war nur so lange dort, wie er mich brauchte.» Er wiederholte, was er damals schon gesagt hatte: «Ich habe genug Sportler-Biographien gelesen, um zu wissen, dass Sportler oft am Ende ihrer Karriere ihren Trainer wechseln.» Doch diesmal er fügte nicht, wie er es damals auf eine Suggestivfrage hin getan hatte, hinzu: «Es funktioniert nur selten.»