Dieter Glemser: Der Virtuose am Lenkrad
Dieter Glemser
Was für ein Großer Dieter Glemser zu seiner aktiven Zeit war, hat ihm auf den ersten Blick keiner angesehen. Dafür war er viel zu bescheiden, fast schüchtern. Keineswegs schüchtern war er hinter dem Lenkrad. Er fuhr schon mit der Prominenz der Nachkriegszeit, mit Hans Herrmann und Eugen Böhringer, unter dem Regime von Karl Kling im Mercedes-Werksteam. Das war Anfang bis Mitte der 60 Jahre.
Später ist Dieter Glemser (geb. am 28. Juni 1938) dann selbst wirklich ein ganz Großer geworden. Der gelernte Gärtner – die Medien hatten ihn sehr bald zum «schnellsten Rosenzüchter Deutschlands» hochstilisiert – diente sich über Rallyes, Rund- und Langstreckenrennen in klobigen Mercedes-Limousinen, als BMW- (im 1800 TISA) und Porsche-(u. a. im 906-Sportwagen) Werksfahrer bis in die erste Garde deutscher Rennfahrer hoch.
Als er 1969 mit dem Werks-Escort Twin Cam seinen ersten Titel «deutscher Rundstreckenmeister» einfuhr – übrigens im entscheidenden Rennen hart bedrängt von dem Newcomer Jochen Mass -, hatte Glemser also bereits eine beachtliche Laufbahn hinter sich. Zugleich hatte er sich zum Maß der Dinge als Virtuose am Lenkrad von Tourenwagen etabliert. Grandiose Siege wie beim Tourenwagen-Grand Prix 1963 auf dem Nürburgring oder bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps waren fast an der Tagesordnung.
Noch immer war er der stille, bescheidene, frei von Starallüren einfach sauschnell und dabei auch noch ökonomisch mit der ihm anvertrauten wertvollen Gerätschaft umgehende Allrounder. Kein Wunder also, wenn Jochen Neerpasch den schnellen Mann fest einplante, als er in Köln eine schlagkräftige Rennabteilung aufbaute. Zu der gehörte auch Martin Braungart, ein Sportskamerad aus alten Stuttgarter Zeiten, der sich mittlerweile einen Namen mit dem Entwickeln besonders schneller Fahrwerke gemacht hatte.
Mit Braungart verband Glemser ein außergewöhnliches Abenteuer: Das Ford-Werks-Rallyeteam Glemser/Braungart war mit einem 17M (!) unterwegs beim Marathon London – Sydney Ende 1968, einem der ganz großen Rallye-Abenteuer jener Zeit. Und die beiden waren, wie es ihre Art war, als Dritte im Gesamtklassement sehr flott unterwegs. Im tiefsten Hindukusch, irgendwo in der Nähe von Kabul, ging der 17M kaputt.
Jochen Neerpasch und seine Leute mussten eingestehen, unser Team ist verloren gegangen. Fast eine Woche keine Spur, keine Nachricht, nichts. Eines Tages kam ein anderer Rallyefahrer des Wegs und konnte im Ford-Einsatzzentrum wenigstens die Meldung deponieren, dass die beiden guter Dinge seien. Derweil hatten die sich bei einer Truppe von Hippies eingeklinkt, die sie mit ihrem VW-Bus am nächsten Flughafen absetzten, von wo aus sie in die Zivilisation zurückkehrten.
Dem deutschen folgte 1971 – auf dem damals unschlagbaren Werks-Capri RS - der Titel als Tourenwagen-Europameister. Nach einer langen, von ungewöhnlich vielen großen Erfolgen gekennzeichneten Karriere folgte deren spontanes Ende: Ein unverschuldeter schwerer Unfall in Macao mit verletzten Zuschauern veranlasste Glemser, mit der aktiven Laufbahn endgültig abzuschließen. Der Rennszene blieb er treu: Als Betreuer jüngerer Fahrer, als Berater und Instruktor gibt er bereitwillig vieles von dem weiter, was ihn so erfolgreich gemacht hat.
Wen man ihn heute anruft, meldet er sich quietschfidel und erzählt gleich, dass er gerade vom Nürburgring und einer Sammlung neu aufgebauter alter Renn-Capris kommt und eine gute Zeit hatte. Dem Autofahren gilt nach wie vor seine große Liebe und «ich fahr´ viel Rad; die Ski sind auch schon gewachst». Während der Pandemie blieben viele seiner Einsätze als Mercedes-Markenbotschafter aus. In seinem Haus in Warmbronn bei Leonberg freut er sich immer gemeinsam mit seiner Frau Helga auf Weihnachten: «Da kommen alle drei Töchter mit den sieben Enkelkindern aus aller Welt zu uns.» Hoffen wir mit ihm, dass das auch in diesem Jahr klappt!