Rennfahrerwahl mit Nebengeräuschen
Als im Laufe des Jahres 1969 die Sportredaktion der in Köln ansässigen «Auto Zeitung» beschloss, eine Leser-Wahlaktion zum Rennfahrer des Jahresdurchzuführen, ahnte noch niemand, dass uns das nicht nur viel Arbeit bescheren würde. Dass auch kriminalistische Recherche gefragt war, wurde erst im Laufe der Abstimmung deutlich.
Inspiriert vom englischen Vorbild «Autosport», deren Redakteure alljährlich den «Driver of the Year» wählen ließen, sollten die Leser der neu gegründeten «Auto Zeitung» (die anfangs Deutsche Auto Zeitung hieß und wöchentlich, später 14-tägig erschien, siehe Folge 1 der Kölner Kult-Geschichten vom 27. Februar 2024, «Redaktion mit Rennstall») für den ihrer Meinung nach besten Rennfahrer hierzulande votieren.
Chefredakteur Hans Wilhelm Gäb fand die Idee gut und übertrug mir als Leiter des Sportressorts auch gleich die Aufgabe, die Wahl zu organisieren und für einen korrekten Ablauf zu sorgen. Die Aktion fand bei den Lesern, um diese Zeit immerhin schon über 100.000, sofort großen Anklang.
Kaum war die Ausschreibung mit Kandidaten-Vorstellung im Heft, schleppte die Post ab Mitte Oktober Stimmkarten in erstaunlicher Zahl ins Haus. Bald zeichnete sich ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen BMW-Werksfahrer Hubert Hahne und Porsche-Sportwagen-Pilot Rolf Stommelen ab. Gerhard Mitter, Hans Herrmann und Kurt Ahrens pendelten zwischen Platz 3 und 5.
Als mit Porsche-Privatfahrer Jürgen Neuhaus aus Wuppertal plötzlich ein weiterer Kandidat den schon gefestigten Top 5 annäherte und dann relativ zügig überholte, kamen erhebliche Zweifel darüber auf, ob da alles mit rechten Dingen zuging.
Stutzig gemacht hatte uns die tägliche Flut der Neuhaus-Stimmen vor allem deshalb, weil nahezu alle Karten in Wuppertal abgestempelt waren und sich auch alle verdächtig ähnlich sahen.
Und schon bald gingen in der Redaktion erste anonyme Hinweise ein, denen zufolge die wundersame Vermehrung der Neuhaus-Stimmen ihren organisierten Ursprung in dessen Diskothek «Dudelsack» in Wuppertal haben soll. «Schaut doch da mal abends um», so empfahl einer der Anrufer, «danach seid ihr schlauer.»
Also wurde nach Abstimmung mit der Chefredaktion beschlossen, dem «Dudelsack» mal einen diskreten, abendlichen Besuch abzustatten.
Zur Verstärkung und quasi als Zeugen habe ich den Ressort-Kollegen Franz Fedler mitgenommen (der sich übrigens nach seiner Zeit als Rennsport-Experte erfolgreich dem Luft- und Raumfahrt-Journalismus zugewandt hat).
Schon an der Garderobe des «Dudelsack» wurden wir fündig. Stapelweise lagen da vorgedruckte und schon fertig frankierte Postkarten bereit. Die diensthabenden Damen nahmen uns die Mäntel ab und erklärten unsere gezielte Nachfrage so: «Das ist für unseren Chef, der ist ein großer Rennfahrer und soll da irgendeine Wahl gewinnen.»
Aha.
Eilfertig drückten uns die Mädels die Karten in die Hand. «Sie brauchen nur noch den Namen Jürgen Neuhaus einzusetzen, dazu ihren eigenen Namen und ihre Adresse. Und bitte nicht vergessen zu unterschreiben», so die Garderoben-Mädels mit freundlichem Animierlächeln. Ergänzend ließen sie noch wissen, dass wir gerne auch mehrere Karten mit verschiedenen Namen ausfüllen können.
Wir stellten uns dumm und ließen uns erst noch ein bisschen erklären, wer denn der Herr Neuhaus sei und welche Leistung ihn für die Wahl favorisiert. Da mussten die Damen aber passen, sie wussten lediglich zu berichten, «dass das unser Chef ist, der einen Porsche fährt, viel gewonnen hat und uns jeden Abend die Postkarten hinlegt.»
«Der Chef» hätte die Wahl wohl gewonnen, haushoch sogar. Aber wir hatten genug gesehen und gehört und zogen schnell wieder ab. Vor allem wollten wir dem lieben Herrn Neuhaus nicht in die Arme laufen, denn er kannte uns beide ja von der Rennstrecke.
Nach erneuter Rücksprache mit der Redaktionsleitung und dem Hausanwalt wurden alle auf Neuhaus ausgestellten Stimmkarten wegen vorsätzlicher Verfälschung des Wahlergebnisses für ungültig erklärt und ein Wertungsausschluss verfügt.
Zwar hat Neuhaus sofort damit gedroht, seinen aberkannten Wahlsieg vor Gericht einzuklagen, aber das hat er sich dann wohl doch nochmal anders überlegt. Wir haben dann zu diesem Thema außer anfangs wüsten Beschimpfungen nichts mehr gehört. Er hätte nicht die geringste Chance zur Rehabilitierung gehabt.
In Heft 28 vom 12. Dezember 1969 erschien dann das Ergebnis der ersten Rennfahrer-Leserwahl. Die meisten Stimmen erhielt Formel 2-Vize-Europameister Hubert Hahne deutlich vor Rolf Stommelen und posthum Gerhard Mitter, der Anfang August am Nürburgring tödlich verunglückt war.
Insgesamt wurden etwa 50 Namen genannt, darunter auf einem beachtlichen neunten Rang die bestplatzierte Renn-Amazone und couragierte Formel V-Dame Hannelore Werner.
Im Rahmen der Essener Motor Show überreichte Formel 1-Weltmeister Jackie Stewart dem strahlenden Wahlsieger Hubert Hahne den Siegerpokal.
Damit war eine Leser-Aktion geboren, die mehr als zehn Jahre lang Bestand haben sollte und große Rennfahrer-Namen zu den Siegerehrungen nach Köln oder wahlweise zur Motor Show nach Essen lockte.