Der beste Teilzeitpilot: Stumpen-Herbie
Zwei Piloten, gleiches Schicksal: Herbert Müller (re.) und Helmut Koinigg (aus dem Jahr 1974)
30 Jahre ist es nun her, dass ich erstmals, aber leider nicht zum letzten Mal, bei einem Autorennen mit der übelsten Schattenseite des Motorsports überhaupt konfrontiert wurde. Ein Pilot fährt an dir vorbei und wenige Minuten später ist er nicht mehr unter uns. Beim 1000km-Rennen 1981 starb Herbert Müller.
Seine ersten Geh- oder besser Fahrversuche machte der 1940 als ältestes von drei Kindern geborene Herbert auf dem Hof des väterlichen Metallveredelungsbetriebes, nicht ohne auch den Blechschaden zu verursachen. Dass er sich dann auch gleich mit anderen messen wollte, lag in der Natur der Dinge, sein motorsportverrückter Vater unterstützte dies nach anfänglicher Zurückhaltung.
Ende 1960 startete er dann erstmals in der Schweizer Meisterschaft, die wie heute ein Mix aus Rundstrecken- und Bergrennen war. Bereits beim vierten Lauf, dem ersten der Saison 61 am Kandersteg konnte er mit seinem Cooper F3 erstmals siegen.
Ein Jahr später wurde ein Porsche RSK 1600 angeschafft, mit dem er neben der Schweizer Meisterschaft auch sein erstes großes Langstreckenrennen fuhr, nämlich die 1000km am Nürburgring, wo er aber ausfiel. Die sieben Klassensiege verhalfen ihm dann für ein Cockpit bei der Scuderia Filipinetti, damit war der Weg in den großen, internationalen Motorsport geebnet. Das Team von Georges Filipinetti, Sohn eines Industriellen, war einer der angesehensten und charismatischsten Rennställe in den sechziger Jahren, vor allem jüngere Piloten konnten dort ihre ersten Sporen im internationalen Rennsport verdienen, u. a. auch Jo Siffert.
So richtige Markentreue gab es bei Filipinetti nicht, die meisten Rennen in den nächsten Jahren aber fuhr Herbert Müller in erster Linie auf Ferrari und Porsche. Herbie, wie er genannt wurde, galt als sehr schnell und es gelang ihm immer wieder, auf sein eigenes Leistungsvermögen aufmerksam zu machen. So wurden ihm zwischendurch auch erstmals Werkswagen zur Verfügung gestellt, so auch von Porsche fürs Schauinsland-Bergrennen, was er dann 1963 gewinnen konnte.
1964 aber ein privater Schicksalsschlag, Vater Arthur starb unerwartet und aus dem Rennfahrer wurde mit nur 24 Jahren zusätzlich der Unternehmer Herbert Müller. Seit 1960 war er mit Ehefrau Marianne verheiratet, die ihm 1961 Sohn Daniel (später übrigens u.a. in der dt. Formel3 unterwegs) schenkte. Die Doppelbelastung Rennfahrer / Unternehmer brachte eine hohe zeitliche Belastung für den Reinacher, was nicht immer einfach war. 1965 dann sein erster Titelgewinn, er wurde Berg-Europameister. Diese Meisterschaft führte damals bei weitem nicht das Schattendasein von heute, sondern die besten Sportwagenpiloten ihrer Zeit fuhren auf Werkswagen diverser Fabrikate um die Serpentinen diverser Alpenpässe und Mittelgebirge.
Diese Fähigkeit kam ihm bei seinem größten internationalen Triumph bis dahin zu Gute: Mit dem Belgier Willy Mairesse siegte er 1966 bei der Targa Florio. Dieses Rennen, was bis 1973 zur Marken-WM zählte, ist mit einem normalen Rundstreckenrennen überhaupt nicht vergleichbar. Die Fahrzeuge werden einzeln auf die 72km lange Strecke durch die Berge Siziliens gelassen, die Zuschauer stehen auf der Strecke wie bei Rallye-Sonderprüfungen. Elf Runden waren zu fahren. Der einheimische Nino Vaccarella und Gerhard Mitter lieferten sich ein packendes Duell, bis beide kollidierten. Der Ferrari 330 blieb gleich auf der Strecke, der Wagen des unvergessenen Böblingers schied kurze Zeit später aus. Damit war im strömenden Regen der Weg frei für den Porsche 906 von Herbie und Mairesse. Mit Mairesse bestritt er alle Langstreckenrennen der Saison 66, egal ob sie einen Ford GT 40, einen Porsche oder Ferrari von Filipinetti vorgesetzt bekamen. Mairesse` Leben endetet ebenfalls tragisch, von einem Unfall in Le Mans 1968 erholte er sich psychisch nie und wählte später den Freitod.
Der Sieg bei der Targa Florio war typisch für Herbert Müller auf der Langstrecke. Knapp unterhalb des Limits konnte er den Wagen stundenlang bewegen und somit den Druck auf die Vorderleute immer aufrecht halten. Das war in den damaligen Zeiten ohne Fahrhilfen eine außergewöhnliche Gabe. Und all dies, obwohl er nie Full-time-Profi war. Die Firma liess ihm dazu nicht die Zeit. Was aus Herbert Müller geworden wäre, wenn er Vollzeit-Werksfahrer gewesen wäre, die Frage lässt sich nicht beantworten. Auch das Thema Formel1 kam bei ihm immer wieder auf, Formel1-Autos bewegte er in seiner Karriere aber nur am Berg. Es gab auch immer wieder Möglichkeiten einzelner Grand Prix, die erforderten aber Mitgift seitens Herbie. Das kam für ihn nicht in Frage, was nicht heißt, dass er nie eigenes Geld in den Rennsport investiert hat, aber dies zumeist in eigene Rennwagen, die er auch schon mal unter eigener Bewerbung einsetzte.
1970 endete die Ära Fillipinetti. In Le Mans gehörte Müllers Wagen zu jenen vier Ferrari, die bei einem einzigen Unfall in den Abendstunden aus dem Rennen gerissen wurden. Doch einen der berühmten 512M nannte Müller ab 71 sein Eigen und setzte ihn in der Marken-WM ein. Nicht jedoch an der Sarthe, da wurde er von John Wyer ins Gulf-Porsche-Team berufen. Zusammen mit Vorjahressieger Dickie Attwood machte er im schnellsten Le Mans bis 2010 Druck bis zur letzten Runde auf Helmut Marko / Gijs van Lennep, die sich jedoch keine Blösse gaben.
1972 setzte sein Rennstall zwei Wagen ein, ein Ferrari 512M, in erster Linie in der Interserie, und einen 5,7 ltr. de Tomaso-Pantera, mit der er viele Klassensiege erringen konnte. Zu Saisonende aber erreichte der Schweizer dann mehr weltweite Popularität als ihm selbst lieb war: Nach Problemen im Training nur im Mittelfeld gestartet, wurde Müller beim Indy-Start vom McLaren des Deutschen Frank Pesch gerammt. Sein Ferrari stieg auf, fing noch in der Luft Feuer und explodierte regelrecht beim Aufprall auf die Leitplanke. Die Bilder des brennenden Piloten, der sich von einem Streckenposten ablöschen ließ, gingen um die Welt. Er erlitt erhebliche Verbrennungen, an Kopf und Händen, konnte aber das Krankenhaus kurz darauf wieder verlassen. Ein bisschen Feuer war für Stumpen-Herbie, wie er mittlerweile wegen seiner Zigarrenleidenschaft genannt wurde, kein Grund, die Karriere zu beenden. Im Gegenteil, die drei kommenden Jahre wurden zu den erfolgreichsten seiner Karriere.
Er wurde ins Porsche Werksteam berufen und bestritt 1973 die Marken-WM auf einem Carrera RSR. Der langjährige Porsche-Ingenieur Norbert Singer beantwortet ungern Fragen über ehemalige Piloten, wenn er aber gefragt wird, mit wem er am liebsten zusammenarbeitete, fällt meist sehr schnell der Name Herbert Müller. Der Carrera RSR war zwar normalerweise gegen die Matra, Alfa oder Ferrari nicht fähig um Gesamtsiege zu fahren, aber die Klasse wurde fast immer eine Beute von ihm und seinem Co-Piloten Gijs van Lennep. In Sizilien bei der Targa Florio zerfleischten sich die schnellen Sportwagen vor dem Duo selbst, so dass er den letztmalig als WM-Lauf ausgetragenen Klassiker zum zweiten Mal als Gesamtsieger gewinnen konnte.
1974 hätte es auch fast zum Le Mans-Gesamtsieg gereicht, doch just als man deutlich Boden auf den mit Getriebeproblemen kämpfenden Matra gut machte, ließen sich auch die Gänge am RSR-Turbo nicht mehr richtig einlegen und es wurde wieder "nur" Rang zwei. Porsche hatte aber noch eine Freude für Müller, man stellte seinem Team einen 917/30 zur Verfügung, den Entwicklungsträger für das spätere CanAm-Wunder. Damit siegte er in der Interserie 1974 und stellte auch einen ewigen Rundenrekord auf der Betonschleife des Nürburgrings auf. Seine 47,8 Sekunden wurden ein Jahr später zwar von Tim Schenken (Porsche 917/10) eingestellt, aber niemals mehr unterboten, bis die Strecke Ende 82 den Baggern zum Opfer fiel. Drei Jahre hintereinander, von 74 bis 76, hiess der Champion der Interserie Herbert Müller.
Nach zwei weiteren Jahren auf diversen privaten Porsche und sogar Formel2-Rennen verkündete Stumpen-Herbie 1979 seinen Rücktritt. So ganz lassen konnte er es aber nicht, immer mal wieder trieb es ihn in den Rennwagen, so auch beim 1000km-Rennen am Nürburgring 1981. Aus ungeklärter Ursache, vielleicht irritiert durch einen Dreher vor ihm, kam er während einer Aufholjagd mit seinem Porsche 908/3 Turbo in der schnellen Rechtskurve im Klostertal von der Strecke ab und prallte frontal gegen den Porsche 935 von Bobby Rahal, der nach einer Kollision in der ersten Runde dort mit vollen Tanks in mitten der Schusslinie parkte. Herbert Müller hatte keine Chance!
Herbert Müllers Sohn Daniel hat vor einigen Jahren eine Website zur Erinnerung an seinen Vater ins Leben gerufen, auf der sich immer wieder einmal noch unbekanntes, aber sehr lesenswertes findet. www.herbertmueller.ch