Zweierlei Mass
loeb09 aus09 service
Citroën feierte am späten Sonntagabend (australische Ortszeit) den sechsten Saisonsieg seines Stars Sébastien Loeb. Diesmal noch etwas mehr, denn für den fünfmaligen Rekord-Champion war eine für ihn etwas ungewohnte lange Durststrecke in der Siegerliste zu Ende gegangen. Seinen letzten und damit den fünften Saison-Triumph in Folge hatte der 35-jährige Elsässer zuletzt am 26. April in Argentinien feiern dürfen. Nicht nur sein 53. Rekordsieg hob die Stimmung im Citroën-Lager, der Titelverteidiger reduzierte auch seinen Rückstand zum Tabellenführer Mikko Hirvonen, der im Ford Focus beim Zieleinlauf Zweiter wurde, von drei auf nur einen Punkt bei noch zwei ausstehenden Entscheidungen.
Die Feier war noch in vollem Gang, als gegen 22.30 Uhr (Ortszeit) die Hiobsbotschaft reinplatzte. Am Loebs Citroën C4 wurde bei der technischen Nachuntersuchung vorne ein Stabilisator festgestellt, der nicht mit dem im Homologationsblatt abgebildeten identisch war. Der Technische FIA-Delegierte meldete diese Diskrepanz ganz nach Vorschrift den Sportkommissaren, die hierfür alle drei Werks-Citroën mit einer Strafminute belegten. Gegen diese Zeitstrafe ist keine Berufung möglich.
Die Folge: Loeb fiel auf den zweiten Rang hinter dem nun zum Sieger erklärten Hirvonen zurück, mit Konsequenzen für die WM-Tabelle und wahrscheinlich für das Championat insgesamt. Statt einem Punkt hat der Weltmeister Loeb nun fünf Zähler Rückstand auf seinen Titelrivalen Hirvonen. Betroffenheit bei Citroën und speziell bei Loeb. Die Rallye sportlich gewonnen, dennoch nur die Silbermedaille für ihn. «Natürlich bin ich sehr enttäuscht, ich muss aber diese Entscheidung akzeptieren, so schmerzlich sie auch ist. Jetzt wird meine Hoffnung auf meinen sechsten Titel komplizierter», sagte Loeb sichtlich betroffen.
Sein Chef Oliver Quesnel erklärte: «Wir akzeptieren diese Entscheidung. Wir müssen gestehen, dass das eingebaute Teil nicht dem Foto im Homologationsblatt übereinstimmt, das hatte aber keinen Einfluss auf die Leistung oder die Haltbarkeit unseres Autos. Es war ganz einfach ein verwaltungstechnischer Fehler, der uns nicht zu Betrügern machen sollte.»
«Es ist eine Schande, dass nach einem solch überaus spannenden Kampf über drei Tage das Ergebnis im Raum der Sportkommissare entschieden wird. Ich habe vor zwei Jahren in Portugal Punkte verloren, daher weiss ich, wie sich Sébastien fühlt», sagte Hirvonen, der in Portugal wegen zu dünner Seitenscheiben wie Marcus Grönholm mit fünf Strafminuten belegt worden war.
Fünf Strafminuten für Ford wegen einer hinteren Seitenscheibe, die 0,5 (!) Millimeter zu dünn war, statt 3,5 Millimeter war diese nur 3,0 Millimeter dick. Eine Strafminute für Citroën wegen eines nicht homologierten Stabilisators. Da muss einfach die Frage aufkommen, wo liegen die möglichen Vorteile der beanstandeten Teile. Selbst dem grössten Laien dürfte einleuchten, dass eine um 0,5 mm zu dünne Seitenscheibe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Vorteil bringt. Anders aber bei einem Stabilisator, der sehr wohl das Fahrverhalten verändern und auch verbessern kann, auch wenn Quesnel dem widerspricht und das als einen verwaltungstechnischen Fehler hinstellt.
Fünf Strafminuten für ein Teil ohne Merkmale für eine Verbesserung, eine Strafminute für ein Teil mit Merkmalen eines möglichen Wettbewerbsvorteils. Die Sportkommissare haben in beiden Fällen mit zweierlei Mass bestraft und den Ermessensgrundsatz verletzt. Aus objektiver Sicht hätte die Strafe in Australien für Citroën im Vergleich zu der von Ford 2007 in Portugal höher ausfallen müssen, bis hin zu einer möglichen Disqualifikation.
Loeb scheint bei der FIA eine Art «Ferrari»-Bonus zu haben. Schon auf Sardinen haben die Sportkommissare den Pfad der Objektivität zu Gunsten von Loeb verlassen. Auf der Mittelmeerinsel wurde Loeb nachträglich mit einer Zwei-Minuten-Strafe belegt, die ihn vom dritten auf vierten Platz zurückfallen liess. Der Grund für diese Strafe: Beifahrer Daniel Elena war bei einem Reifenwechsel in einer Prüfung vor dem Stillstand des Fahrzeugs nicht mehr angeschnallt. Laut Reglement müssen die Piloten auf einer Prüfung angeschnallt sein, solange das Fahrzeug noch in Bewegung ist. Anders entschieden die Offiziellen bei der gleichen Sachlage im Fall seines Teamkollegen Dani Sordo 2006 in Japan. Der nämlich wurde wegen des gleichen Verstosses von der Rallye ausgeschlossen. Dieses zweierlei Mass in den erwähnten Fällen erfüllt durchaus das Kriterium einer Wettbewerbsverzerrung.
2007 hatte Grönholm wegen der Portugal-Strafe drei WM-Punkte eingebüsst. Am Ende der Saison wurde Loeb mit 116 Punkten gegenüber 112 Zählern von Grönholm zum vierten Mal in Folge Weltmeister. Beim WM-Finale 2007 in Wales gewann Hirvonen vor Grönholm und Loeb. Wenn es in Portugal nur eine Strafminute für Ford gewesen wäre, hätte Grönholm auch seine acht statt später fünf Punkte behalten. Er wäre mit einem Rückstand von drei Punkten auf Loeb ins Finale gestartet. Ford hätte mit Sicherheit auf diese Situation reagiert und Grönholm zum 31. Sieg verholfen. In diesem allerdings theoretischen Fall hätte sich dieser mit 117 Punkten gegenüber 116 von Loeb mit seinem dritten WM-Titel in den selbst gewählten Ruhestand verabschiedet.