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Gustav Brunner (Ex-Ferrari): Was die Formel 1 braucht

Von Mathias Brunner
Gustav Brunner mit Firmengründer Giancarlo Minardi

Gustav Brunner mit Firmengründer Giancarlo Minardi

​Die Formel 1 geht in eine neue Ära: geänderte Aerodynamik, fette Reifen. Wird alles gut? Frühere GP-Asse bezweifeln das. Wir wollten vom langjährigen Formel-1-Techniker Gustav Brunner (66) wissen, was Sache ist.

Gustav Brunner hat in der Formel 1 fast alles erlebt: Der Grazer arbeitete bei grossen Teams wie Ferrari und Toyota und bei eher kleinen wie ATS, Rial und Minardi. Seine Handschrift als Designer war immer die Gleiche: Schnörkellose, hübsche Entwürfe, benutzerfreundlich für das Team und für den Piloten. Seine Autos sahen schnell aus und sie waren es auch. Brunner war in der Formel 1, als mit 1400-PS-Turbomotoren gefahren wurde und als Hersteller wie Toyota Millionen im dreistelligen Bereich pro Jahr verpulverten.

Was Gustav Brunner, der heute im Ruhestand in Italien lebt, ebenfalls auszeichnete – er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Wir wollten vom Grazer wissen, was die neue Formel 1 auslösen wird.

Gustav, breitere Reifen, um vier bis fünf Sekunden pro Runde schnellere Autos, aggressiveres Aussehen, Betonung wieder mehr auf der Aerodynamik. Was waren deine ersten Gedanken, als du von der neuen Formel 1 gehört hast?

Meine ersten Gedanken waren: Die Reifenbreite ist etwas übertrieben, die Hälfte und eine Breite von 190 Zentimeter hätten auch gereicht. Weniger gut finde ich die damit verbundene Gewichtszunahme: Panzergewicht spart kaum Kosten. Mit einer neuen Aerodynamik wollten einige wohl die Mercedes-Dominanz brechen. Da sind für mich Zweifel angebracht, denn Mercedes war in den letzten Jahren auch in Sachen Aerodynamik sehr gut.

Wie werden sich deiner Meinung nach die Änderungen auf den Sport auswirken?

Mit schnelleren Autos sind Fahrkünste mehr gefragt. Nicht jeder Neuling wird auf Anhieb mit dieser Generation von GP-Rennern zurechtkommen.

Der frühere Ferrari-Werkspilot Stefan Johansson glaubt aber, die Rennen würden fader – weil die Autos mit mehr Anpressdruck schwieriger zu überholen seien.

Auch bisher war das Windschattenfahren mit Strömungsabriss und Anpressdruckverlust verbunden. Daher war oft Überholen nur auf der Geraden dank DRS möglich, also dank des verstellbaren Heckflügels. 2017 wird das dank mehr Windschatten etwas besser.

Bereits bahnt sich ein Streit um die Aufhängungen an. Wie schätzt du die Situation ein? Müssen wir in Australien mit tüchtig Ärger rechnen?

Ich glaube nicht an den grossen Aufhängungsstreit in Australien, in Melbourne wird wohl jeder so ein System im Auto haben.

Was ist aus Sicht des Designers bei den 2017er Autos die grösste Herausforderung?

Die grösse Herausforderung für den Designer besteht darin, die Aerodynamik auf die Reifen anzupassen. Die Aero-Balance und die Gewichtsverteilung werden sicher anders sein als 2016.

Hättest du das Sagen, wo würdest du in der Formel 1 den Hebel ansetzen? Wo ortest du den grössten Handlungsbedarf?

Ich fürchte, meine Wunschliste ist ziemlich lang! Was ich zunächst einmal gerne sehen würde: mehr Autos am Start, am liebsten 26, also ein volles Feld wie früher. Ich hätte gerne einige Nichtqualifizierte, wieso also nicht von jedem der inzwischen zehn Teams ein B-Team mit je einem Auto? Dann hätten wir dreissig Renner in Aktion, und jeweils vier Teilnehmer müssten nach dem Qualifying zuschauen.

Einnahmen hat die Formel 1 genug, aber die Aktionäre nehmen mir zu viel aus dem Sport heraus. Ich möchte auch keine Inflation bei der Anzahl der Rennen erleben.

Lieber möchte ich weniger vorhersehbare Rennergebnisse. Erreichen könnten wir das, indem auf Spritsparrennen verzichtet wird, dank variabler Spritmengen je nach Strecke. Zu überlegen wäre auch ein so genannter Boost-Button zum Überholen. Auch dies würde natürlich einen höheren Verbrauch bedingen.

Ich möchte keine Motorspar-Taktik in der Formel 1. Wir bräuchten mehr Motoren pro Fahrer und Jahr, die höher gedreht werden dürfen.

Bremsschonende Fahrweise ist mir auch zuwider, dafür gäbe es grössere oder dickere Bremsscheiben, Problem gelöst. Ich will ferner keine Pflicht-Boxenstopps – für manche wäre es aus taktischen Gründen besser, ohne Stopp durchzufahren.

Ich glaube, eine freie Reifenwahl, unabhängig von den verwendeten Walzen im Training, würde dem Sport gut tun. Die oft einheitlich vorhersehbare beste Rennstrategie erzeugt in meinen Augen mehr eine Fronleichnamsprozession, ohne Überraschungen.

Ich würde mir weniger Regeln betreffend Zickzack-Fahrens wünschen, und die blauen Flaggen können wir getrost in Pension schicken. Warum soll ein Nachzügler auch noch Platz machen?

Ich sähe an den Autos gerne Einheitsflügel vorne und hinten, die sehr uneffektiv sind und daher weniger empfindlich auf Luftturbulenzen. Das würde die Entwicklungskosten für die Aerodynamik drastisch senken. Den Teams bliebe der Wagenkörper zur freien Gestaltung. Der Unterschied zwischen dem Besten und dem Hintersten wäre viel geringer. Solche oder ähnliche Vorschläge wurden übrigens schon vor zwanzig Jahren diskutiert. Aber welcher Aero-Ingenieur schreibt schon gerne seine eigene Entlassung?

Jeder Teamchef glaubt doch, den besseren Windkanal zu haben. Auf keinen Fall darf die Formel 1 eine reine Motorenformel sein.

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