Ein Fall für den Sondermüll
Flügel im Formelsport sorgten schon immer für Gesprächsstoff
Es war eine der ältesten technischen Regeln im Motorsport und eine, die sich über Jahrzehnte bewährt hat. Aerodynamische Hilfsmittel dürfen während der Fahrt nicht verstellbar sein. Nun will die FIA davon abweichen und unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, dass jemand, der über eine gesamte Runde dem Vordermann im Getriebe hängt (Abstand kleiner als eine Sekunde) bestimmte Teile Aerodynamik, im Regelfall also der Heckflügel, vom Cockpit aus flacher stellen kann, um ihm das Überholen auf der Geraden zu erleichtern. Mit einem Tritt auf die Bremse dann wird die Änderung automatisch wieder rückgängig gemacht.
Auf langen Geraden in Monza oder Montreal ist dann plötzlich der Hintermann um 10-15 km/h schneller und fährt am hilflosen Gegner vorbei. Wenn das tolles Racing sein soll, dann gute Nacht.
Auf Kursen mit kürzeren Geraden wird es nicht allzu viel bringen. Und schon gar nicht auf Strecken wie Valencia, wo es kaum echte Geraden gibt und alle Vollgasstücke eigentlich langgezogene Kurven sind. Aber das ist eigentlich auch egal, denn wo auf der Strecke verstellt werden darf, bestimmt ja ebenfalls die FIA in der Race-Control. Was soll dies überhaupt? Die Rennleitung bestimmt, was überholt werden darf? Das ist ja fast, als ob der Schiedsrichter bestimmt, wer das nächste Tor schiessen darf.
Die angedachte Neuerung birgt auch Gefahren: Die nächste Kurve wird generell mit einer höheren Geschwindigkeit erreicht, damit muss er früher bremsen als der gerade überholte Kollege. Und was passiert, wenn sich der Heckflügel eben nicht wieder steiler stellt, wenn der Pilot die nächste Kurve anbremst? Er kommt dann mit einer weit höheren Geschwindigkeit an seinen Bremspunkt und gleichzeitig fehlt der Anpressdruck im Heck?
Wie auch immer, Verbremser sind ebenso zu erwarten wie Auffahrunfälle, möglichweise auch ähnlich gefährliche wie der von Webber in Valencia. Denn nicht immer sind es ja nur Zweikämpfe, es kann ja auch mal nur der vierte in einer Kampfgruppe grünes Licht zum Betätigen des Wunderknopfes erhalten.
Der sportliche Nutzen ist mehr als nur zweifelhaft: Wenn ein Pilot im Rennen vor einem anderen liegt, dann hat dies in der Regel seinen Grund. Dann war er schneller im Training, hatte einen besseren Start oder sonst was. Warum soll der nun benachteiligt werden? Das widerspricht dem Grundgedanken eines Autorennens. Wenn jemand am Vordermann vorbei will, soll er ihn bitteschön überholen. Und zwar ohne technische oder sonstige künstliche Vorteile. Dass dies geht, haben die Formel 1-Piloten in diesem Jahr schon oft bewiesen. Doch immer wird es nicht gehen, schliesslich winkt der Vordermann nur ungern vorbei, dazu ist es auf manchen Strecken einfacher zu überholen, auf manchen weniger einfach, auf anderen ohne Fehler des Vordermanns sogar unmöglich. Auch das ist Teil des Rennsports.
Alles in allem klingt der Vorschlag nach Aktionismus, der bei weitem nicht zu Ende gedacht wurde. Man kann nur hoffen, dass irgendwer mit entsprechender Verantwortung noch erkennt, was für ein Schwachsinn diese Regelung ist und sie dann so schnell wie möglich im Sondermüll entsorgt.